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Rakel (Kristine Kujath Thorp) aus „Ninjababy“ will keine Mutter sein.

© Motlys

Berlinale für die Jugend: So fühlen und träumen Teenager

Die Filme der Reihe Generation blicken durch die Augen von Kindern und Jugendlichen auf eine komplizierte Welt.

Jungsein ist die Zeit der ersten Male – den ersten Küssen und dem erstem Kater. Wenn einem nicht gerade eine Pandemie dazwischenkommt und jedes Bierball-Spiel im Park, jedes Knutschen zum Regelverstoß gerät. Teenager und Kinder wurden in den vergangenen Monaten etwas aus den Augen verloren, dabei möchten sie doch gerade in diesem Alter gesehen werden, am besten so wie sie sind, unverstellt und echt.

Die 16-jährige Masha aus „Stop-Zemlia“, der im Wettbewerb der Reihe Generation 14plus läuft, wirkt allerdings eher, als wäre sie am liebsten unsichtbar. Die Welt lastet auf ihr. Nur wenn sie mit Yana und Senia zusammen ist, wird ihr Blick frech, ihr Lachen frei. Die Gemeinschaft mit Freund:innen hat auch die ukrainische Regisseurin Kataryna Gornostai , Jahrgang 1989, einst gerettet.

Sie kann sich noch gut an ihr 16-jähriges Ich erinnern, das wie Masha schüchtern war. Auch sie hat sich mit den großen Wer-Wie-Was-Fragen beschäftigt, hat darauf gewartet, dass das Leben endlich losgeht. „Aber im Vergleich mit einem typischen Filmteenager hätte man mein Leben damals wohl als langweilig bezeichnet“, verrät sie in der Email.

Es ist das Alltägliche im Hier und Jetzt, das sie mit ihrem Debütfilm einfängt, und sie tut es mit allergrößtem Mitgefühl und Respekt. Lässt man sich ein auf den ruhigen Erzählfluss und das Immergleiche, wirken Masha und ihre Freund:innen, allesamt von Laien dargestellt, die in dokumentarischen Sequenzen von sich selbst erzählen, einem plötzlich ganz nah. Immer wieder flirrende Momentaufnahmen und Subjektiven: prüfende Blicke im Spiegel, das Langziehen einer Laufmasche, das selbstvergessene Tanzen allein.

Dass die junge Filmemacherin damit einen Nerv getroffen hat, unterstreicht die Entscheidung der Jugendjury, die „Stop-Zemlia“ als besten Film von 14plus mit dem Gläsernen Bären ausgezeichnet hat. Der Film zeige, so die Begründung, „wie unsere Generation träumt, fühlt und erlebt“.

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Die Sektion Generation, sagte Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek am Mittwoch bei der Eröffnung des Festivals, sei ihr wichtiger als der Wettbewerb. Ein Ritterschlag, allerdings hat sich das Kinder- und Jugendprogramm schon lange als eigenständige Filmreihe der Berlinale etabliert. Sektionsleiterin Maryanne Redpath und ihr Team trauen ihrem jungen Publikum grundsätzlich etwas zu. Nicht immer stößt das auf Gegenliebe, mitunter wird kritisiert, das Programm sei zu wenig altersgerecht.

Eine Zeit der großen Umbrüche erlebt auch Tekahentahkhwa, genannt Beans. Im Sommer 1990, als Angehörige der Mohawks verhindern wollen, dass auf einem ihrer Friedhöfe ein Golfplatz gebaut wird, bewirbt sich das indigene Mädchen an einer Elite-Schule. Die Weißen reagieren auf den Protest mit offener Gewalt. Es fliegen Steine, bald fallen sogar Schüsse. Auch Beans wird Opfer rassistischer Angriffe.

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Halt sucht sie bei den falschen Freunden. „Ich möchte so stark sein wie du“, sagt sie der älteren April, die das Mädchen schlägt, um es gegen den Schmerz abzuhärten. Man bangt um Beans, kann sie den Schmeicheleien eines älteren Jungen doch kaum widerstehen. Schließlich ist sie noch mehr Kind als Teenager und wird zugleich mit so vielen Fragen konfrontiert, die selbst Erwachsenen über den Kopf wachsen würden.

Basierend auf persönlichen Erlebnissen erzählt die kanadische Dokumentarfilmerin Tracey Deer in intensiven, oft schonungslosen Bildern in ihrem Spielfilm „Beans“, der bei Kplus den Silbernen Bären gewonnen hat, von der sogenannten Oka-Krise in Quebec. Immer wieder arbeitet sie mit Archivbildern, die die wahren Begebenheiten bezeugen. Ihre junge Titelheldin findet – politisiert von den Auseinandersetzungen – langsam zu sich selbst. Und behauptet sich am Schluss mit einem einzigen Satz in einer rassistischen Welt, die für ein Mohawk-Mädchen wie sie eigentlich keinen Platz vorsieht.

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Spannend auch, dass der Kinderjury der argentinische Beitrag „Eine Schule in Cerro Hueso“ eine lobende Erwähnung wert ist. Im Mittelpunkt des fast dokumentarischen, poetisch erzählten Spielfilms steht eine Sechsjährige mit Autismus-Diagnose. Ema spricht nicht. Fast schwebt sie wie ein Geist durch ihr Leben, ein kleines Playmobil-Pferdchen immer fest umklammert. Ihre Eltern finden endlich eine Schule für sie, an der sie so sein darf, wie sie möchte; und diese neue Erfahrung zaubert ihr eines Tages völlig unerwartet ein Lächeln ins Gesicht. Ein makelloser Arthouse-Film, mit dessen Wahl die Jury zeigt, wie offen sie auch für stille, tastende Annäherungen ist.

Die Reihe bietet in diesem Jahr mit – pandemiebedingt – nur 15 Langfilmen ein kleines, inhaltlich und formal aber diverses Programm. Es gewährt trotz der übersichtlichen Auswahl Einblicke in unterschiedlichste Lebenswelten, in denen junge Menschen oft genug darum kämpfen müssen, überhaupt wahrgenommen zu werden. Der politische Blick für einengende, patriarchalisch geprägte Gesellschaftsstrukturen ist vielen Filmen zu eigen, auch beim norwegischen „Ninjababy“ von Yngvild Sve Flikke, der durch seine radikale Ehrlichkeit überzeugt.

Die Mittzwanzigerin Rakel hüpft von einem Tag zum anderen und möchte alles Mögliche sein – nur nicht Mutter. Allerdings ist sie bereits im sechsten Monat schwanger und wird von ihrem Baby, das ihr als Comicfigur erscheint und am liebsten von Angelina Jolie adoptiert werden möchte, immer wieder in Gespräche verwickelt. Rake will ihr Leben genießen, stößt dabei auf Widerstände und findet doch einen eigenen Weg. Mit ihrem forschen Sinn für Unabhängigkeit kann sie auch Jüngeren als Identifikationsfigur dienen. Nach 16 Monaten Pandemie wird es Zeit, jungen Menschen wieder Aufmerksamkeit zu schenken. Im Leben, aber auch im Kino.

Kirsten Taylor

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