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© dpa

Berlinale: Hallo Berlin, ich bin’s, Mick

Deutschlands größtes Filmfestival, die Berlinale, steht bevor. Ein Abend davon steht ganz im Zeichen des Rock’n’Roll, wenn die Rolling Stones über den roten Teppich marschieren - angeführt von Mick Jagger.

Als Mick Jagger mich anrief, um mir zu sagen, dass er nach Berlin kommen würde, hatte ich es schon aus dem Radio erfahren. Aber das sagte ich ihm nicht. Toll, sehen wir uns? Dürfte sich einrichten lassen, murmelte er, meine Assistentin ruft dich an. Weiß dein Model davon? Wollte ich wissen. Ja und nein, sagte er. Ich wartete, er würde scharfsinnig sein wollen. Ja, sagte er schließlich, weil L’Wren alles weiß. Nein, weil sie es nicht so genau wissen will. Ach, Mick.

Zuletzt hatten wir uns vor einem Jahr im Olympiastadion sehen sollen. Aber dann verlief er sich in den Katakomben. Ich saß in der Umkleidekabine für die Gastmannschaften und starrte auf einen Popel von Oliver Kahn. Jemand hatte mit Filzstift einen Kreis und einen Pfeil gemalt und „Olli was here“ darübergeschrieben. Mick was never here.

Mick sagt immer, eigentlich hätte ich vier Väter. Meine Mutter findet das gar nicht lustig. Sie sagt, sie könne sich ganz genau erinnern. Außerdem hätten die Richter, die Tests, es sei bestätigt, dass … Ja, ja, unterbreche ich. Was nützen einem vier Väter, wenn sie dafür sorgen, dass nicht mal einer für einen da ist. Wir sind ein Familienbetrieb, sagt Keith Richards über die Rolling Stones. Und von Mick weiß ich, dass er bei jedem Song an eine Frau denkt, mit der er zusammen war. Mutter ist sich nicht sicher, ob er „Goddess In The Doorway“ oder "Streets of Love" für sie geschrieben hat. Wir leben jedenfalls gut. I must admit/ You broke my heart/ The awful truth/ Is really sad/ I must admit/ I was awful bad. Mick stellte nur eine Bedingung. Er wollte, dass ich Berlin heiße. Er käme sonst durcheinander.

Am Flughafen Tempelhof ist die Hölle los. Der Chauffeur rät mir auszusteigen und die paar hundert Meter zum Terminal zu Fuß weiterzugehen. Er komme hier nicht mehr weiter. Die Rolling Stones sind auf der „Mutter aller Flughäfen“ mit ihrem Privatjet gelandet, "um ein Zeichen zu setzen“, wie Mick auf dem Rollfeld sagen wird: "Man schließt keinen Flughafen, auf dem die Rolling Stones gelandet sind.“ Jugendliche Horden durchstreifen derweil die Tempelhofer Nachbarschaft, treten Gartenzäune nieder, zerstampfen Blumenbeete und wühlen mit bloßen Händen in den Regenrinnen der Häuser. Die Stones haben im Landeanflug hunderte "Bigger-Bang"-CDs aus dem Flugzeug abgeworfen.

Bislang hat Mick es vermieden, sich mit mir öffentlich zu zeigen. Jetzt könnte ich seine Geliebte sein, hat er gesagt, das falle gar nicht auf. Aber der Tross fährt mir vor der Nase davon. Mein Handy piept – eine SMS von Mick: „rough justice, gotta get away, it’s only rock’n’roll.“ Mutter hatte mich gewarnt. „Don't build your world around me“, äffte sie Micks Stimme nach. Ich wusste, welchen Song sie meinte. Mir hatte „Tell Me“ immer besser gefallen. „But this time it’s different, darling, you’ll see“, summe ich.

Am Adlon-Hotel füllen 6.000 Menschen den Pariser Platz und drängen in die umliegenden Straßen. „I känt get nooo … Satisfäckschön!“ singt die Menge und bestätigt, was Onkel Keith immer sagt: Ein Jahr Musik machen und die nächsten 39 Jahre rumhängen, das sei die Karriere der Rolling Stones gewesen. Mick zeigt sich am Fenster seiner Suite, als ich gerade einem Polizisten begreiflich zu machen versuche, wer ich bin. Die Leute um uns schreien. Mick winkt. Jemand brüllt: „Mick ist Gott!“ Mick lächelt und empfindet so etwas wie Ehrfurcht vor sich selbst.

"Hey, Keith", fragt er, "wie oft waren wir schon in der Stadt mit dieser komischen Mauer?"

"Zwei Mal, aber an eine Mauer kann ich mich nicht erinnern."

"Stimmt, die ist weg. Haben wir die nicht sogar zum Einsturz gebracht? Doch, doch, ich erinnere mich: Als du auf der Urban-Jungle-Tour im Olympiastadion eines deiner unhöflichen Riffs gespielt hast, ich glaube, es war bei „Honky Tonk Woman“, fiel sie in sich zusammen. Sicher, sie war ganz schön brüchig wegen all der Kerle, die sie mit Hämmern traktiert hatten. Aber umgeworfen haben wir sie.“

"Darf ich mich vorstellen?, Angie"

"Es ging wohl nicht anders.“ Ron Wood schneidet den Dialog mit seinem Handy mit und wird das Video später ins Internet stellen. In einem zweiten Mitschnitt stöhnt Charlie Watts über Scorseses Dokumentation „Shine A Light“, wegen dem sie hier sind: "Ich weiß nicht, wie ich 122 Minuten im Kino durchhalten soll.“

"Warum sollte Dir das schwerfallen?", faucht Mick. "Du sitzt doch sonst auch die ganze Zeit nur hinter deinem Schlagzeug herum.“ "Da muss ich euch aber nicht ins Gesicht sehen.“

"Unsere Ärsche sind dir lieber?“ "Dein Arsch ist das Beste, was du hast, Mick.“ Man sieht wie Charlie sich die Hemd-Manschetten zurechtrückt, aufsteht und geht.

Als die Wagenkolonne vom Hotel aufbricht, säumen Tausende den Weg und winken abgedunkelten Fensterscheiben zu. Dabei sitzen die Stones gar nicht drin. Die Band benutzt das Bunkersystem der alten Staatskanzlei, um zum Potsdamer Platz zu gelangen. Ein Bodyguard hat mich zum Einstieg gelotst. Mick fühlt sich von der Tunnelakustik zu ein paar Zeilen inspiriert "I rode a tank, held a general’s rank, when the blitzkrieg raged, and the bodies stank“, singt er. "Riecht ihr das?“ "Witzbold", sagt Keith, "als wenn ich noch irgendwas riechen könnte nach allem, was ich mir durch die Nase gezogen habe.“ "Mick wittert den Führer“, wirft Charlie ein. "Dem fühlte er sich schon immer am nächsten.“

Am Berlinale-Palast klettern die Stones aus einem Kanalisationsschacht und stehen wie hingezaubert auf dem roten Teppich. Keith muss Mick festhalten, damit der nicht über den Läufer hastet, sich das Hemd vom Leib reißt und auf den Einsatz der Band wartet. Eine Frau im feuerroten Jacket zupft ihm am Ärmel: "Sie haben einen Song über mich geschrieben.“ "Das behaupten viele“, entgegnet er kühl und wundert sich, warum die Dame eines seiner alten Bühnenoutfits trägt. Jedenfalls hat sie mehr Bodyguards als er. "Darf ich mich vorstellen? Angie“, flüstert sie. "Angie? Angie", stottert Mick, "where will it lead us from here?" Sie weiß es: "Reihe 5, Platz 11 und 12.“

Am nächsten Tag werden die Zeitungen die schöne blonde Frau nicht erwähnen, die hinter der Kanzlerin und Sir Mick die Bühne des Berlinale-Palasts betritt. Niemandem wird auffallen, dass ich seine vollen Lippen, aber leider auch seine Brust habe. Mick wird kein einziges Wort mit mir wechseln. Nicht in dem Fahrstuhl, in dem die Stones und ihre Bodyguards, die Kanzlerin und ihre Bodyguards, Dieter Kosslick und ich darauf warten, dass die Massenschlägerei unter den zur Pressekonferenz drängenden Journalisten durch den Einsatz von Spezialkräften der Polizei beendet ist. Auch kein Wort bei der Session mit Neil Young und Patti Smith in einem Mitte-Club, nicht mal beim Mitternachtsbankett im Hotel. Aber das ist okay. You can't always get what you want.

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