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B wie Bär, ratlos.: Ausschnitt aus dem Plakat zur 71. Berlinale.

© Berlinale/Claudia Schramke

Berlinale im Juni: Warten, bangen, trauern

In sieben Wochen soll die Berlinale fürs Publikum stattfinden. Was wird angesichts steigender Infektionszahlen aus dem Sommer-Event?

Manchmal möchte man einfach den Kopf in den Sand stecken. Während nur sechs Tage vor der erstmals dezentralen Oscar-Show mit Schalten von Los Angeles nach London oder Paris unklar ist, wie die selbst auferlegte Regel der Live-Vergabe an den jeweiligen Orten erfüllt werden kann, fragt man sich bang: Was ist mit der Berlinale, der Publikums-Berlinale im Juni? Wer kann sich noch vorstellen, dass sie wie geplant stattfinden wird?

„Wir prüfen weiterhin alle Möglichkeiten, da wir als Festival in der sichersten und bestmöglichen Form stattfinden möchten“, heißt es auf Nachfrage aus dem Berlinale-Büro. Nächste, spätestens übernächste Woche wird die Prüfung abgeschlossen sein müssen. Die aufwändige Festivallogistik samt Gäste-Einladungen braucht einen zeitlichen Vorlauf, selbst eine Absage.

Die Idee war ja, dass die bei der online veranstalteten Branchen-Berlinale im März gekürten Bärengewinner ihre Preise im Sommer vor Publikum entgegennehmen. Das abgespeckte Programm dieser zweigeteilten Berlinale (rund 100 Filme) soll Open Air und in ausgewählten Kinos gezeigt werden, unter Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln. All das auch nur geringfügig umzuprogrammieren, etwa weitgehend zu Freiluft-Vorführungen oder zu einer Hybridvariante mit zusätzlichem Online-Angebot, auch das braucht Zeit. Einem rein digitalen Publikumsfestival hatte das Leitungsduo von vornherein eine Absage erteilt.

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„Wenn die Pandemie-Entwicklung es zulässt, kann unser Sommer-Event ein superschönes Festival werden. Vermutlich wird es noch Reisebeschränkungen geben, aber das betrifft dann nicht das Berliner Publikum“, hatte Carlo Chatrian dem Tagesspiegel im Februar gesagt. Aber selbst in den optimistischsten Wenn-Dann-Szenarien ist ein superschönes Festival vom 9. bis 20. Juni kaum noch denkbar. Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek meinte zum Worst-Case-Fall: „Wenn im Juni die Kinos geschlossen sind, hat die Filmwelt noch ganz andere Probleme.“

Nun sieht es ganz nach diesen anderen Problemen aus. Eine Öffnungsperspektive für die Kinos existiert ebenso wenig wie für Theater und Konzerthäuser. Kulturveranstaltungen sind bis auf Weiteres nicht zulässig, auch nicht im Freien. Auf der politischen Agenda steht außerdem die bundesweite Ausgangssperre, während für Berlin ohnehin gilt, dass man sich nach 21 Uhr nur alleine oder zu zweit im Freien aufhalten darf.

Berlins Kultursenator Lederer hatte sogar das Pilotprojekt Testing ausgebremst

All diese Vorschriften müssten für die Sommer-Berlinale aufgehoben werden. Auch die Regelungen des neuen Infektionsschutzgesetzes, das ja noch nicht einmal verabschiedet ist. Offen ist außerdem, ob das modifizierte Gesetz Kultur-Modellprojekte erlaubt oder Freiluft-Veranstaltungen bei höheren Inzidenzen, wie der Deutsche Kulturrat es in diesen Tagen fordert. Kultursenator Klaus Lederer wiederum gehört zu den besonders Vorsichtigen: Zu Ostern hatte er sogar das Berliner Pilotprojekt Testing ausgebremst, trotz ausgefeilter Sicherheitskonzepte - was er inzwischen allerdings ein wenig bereut. Zwar entscheidet er nicht über die Bundes-Berlinale, aber als Austragungsort hat das Land ein Wort mitzureden.

Fakt ist: Die aggressivere Virusvariante hat sich durchgesetzt, die schleppende Impfkampagne wird bestimmt nicht bis Juni für Herdenimmunität sorgen. Und selbst wenn die Coronazahlen wie durch ein Wunder sinken sollten, werden sie in den nächsten sieben Wochen kaum auf den Stand vom Spätsommer 2020 angelangt sein – als das Filmfest Venedig unter strengen Auflagen fürs Fachpublikum über die Bühne ging.

Cannes will am 6. Juli starten

Ach, man möchte den Kopf nur noch in den Sand stecken. Und Trauer tragen. Am Montag teilte Cannes mit, die 74. Festspiele an der Côte d’Azur würden am 6. Juli mit Leos Carax' ("Die Liebenden von Pont-Neuf", "Holy Motors") erstem englischsprachigen Film „Annette“ eröffnet, mit Marion Cotillard und Adam Driver. Erst nach ausführlicher Würdigung von Carax‘ Œuvre findet sich in der Mitteilung der Satz, das Festival arbeite „unter Beachtung der Gesundheitslage in Europa und der Welt“ zuversichtlich an der Planung seiner aktuellen Ausgabe. Die Alternative zur Trauer ist Trotz.
Keine Aussicht, nirgends? Die Berlinale 2022 ist für den 10. bis 20. Februar annonciert.

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