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Tipps für den Nachwuchs: Mike Leigh.

© Reuters

Berlinale-Jury: Humorlose müssen draußen bleiben: Jury-Chef Mike Leigh

Der Präsident der internationalen Jury gibt Tipps beim Talent Campus.

Mike Leigh ist kein Mann, der um klare Worte ringen muss. Ob er wisse, so der Fragesteller schmeichelnd, dass es Schauspieler gibt, die unbedingt bei einem seiner Filme dabei sein wollen, nur weil es ein Mike-Leigh-Film ist. „Stimmt“, sagt er. „And they can go fuck themselves.“

Mit Mike Leigh als ihrem Präsidenten werden die Sitzungen der Internationalen Jury eines gewiss nicht: langweilig. Am Dienstag schaute er für eine Master Class beim Talent Campus vorbei. Das Hebbel Am Ufer war voll; wer Mike Leigh schon mal hat sprechen hören, der weiß, dass hier ebenso erhellende wie unterhaltsame 90 Minuten zu erwarten waren. Und der britische Filmemacher, mehrfach preisgekrönt für Filme wie „Vera Drake“ und „Happy-Go-Lucky“, geizte vor den jungen Filmschaffenden nicht mit Einblicken in seine Arbeit. „Einen Spielfilm zu machen, bedeutet herauszufinden, was dieser Film eigentlich ist.“ Erst wird improvisiert, dann fixiert, schließlich geprobt, Szene für Szene, bis es ein präzises Ergebnis gibt. „Die Handlung entsteht am Drehort. Wir erfinden den Film beim Machen.“

Leigh ist eher klein von Wuchs. In den Ledersessel auf der Bühne sinkt er tief ein, rutscht ein wenig nach vorne und schlägt die Beine übereinander, die Schultern fast auf Ohrenhöhe. In der einen Hand das Mikro, gestikuliert er mit der anderen, den gestreckten Arm weit vor dem Gesicht. Fast wie ein Magier.

Doch bei Mike Leigh hat der Schaffensprozess nichts mit Magie zu tun. Es ist konzentriertes Handwerk. Vor Drehbeginn wird mit den Schauspielern gearbeitet, manchmal bis zu sechs Monate lang. Eine Handlung gibt es da – wenn überhaupt – nur in Umrissen. „Zuerst erschaffen wir gemeinsam eine Welt, einen kompletten Mikrokosmos. Meine Aufgabe ist es dann, daraus eine Geschichte zu extrahieren.“

Meist sind es Mikrokosmen aus der modernen britischen Arbeiterklasse. Aber auch wenn Leigh historisch wird, wie in seinem Film über die britischen Operettenmacher Gilbert & Sullivan („Topsy Turvy“, 1999) behält er den Blick für die Details. „Diese Leute haben doch auch gelebt und gearbeitet.“ In den 1880er Jahren war das Telefon noch neu, die Übertragung über Draht nicht gerade verlustfrei. Also lässt Leigh, wie damals üblich, seine Figuren hineinschreien.

Die back stories der Charaktere, die bei den Vorarbeiten entstehen, werden im Film meist nicht mal erwähnt. „Aber sie sind alle da, implizit.“ Und wenn es schließlich ans Drehen geht, haben die Darsteller alles so weit verinnerlicht, dass sie mit Leichtigkeit in die Rolle hinein- und wieder hinausschlüpfen. Auch bei einem ernsten Film wie „Vera Drake“, so Leigh, wird zwischen den Takes herzlich gelacht. „Mit humorlosen Schauspielern kann ich nicht arbeiten.“

Wenn Mike Leigh Darsteller rekrutiert, sagt er ihnen nichts über die Handlung. Er kennt sie ja selbst kaum. So hält er es übrigens auch mit Geldgebern – was die Finanzierung seiner Filme gelegentlich erschwert. Auch während des Drehs wissen Darsteller nur, was ihre Figuren wissen können. „Daraus entsteht eine Dynamik, die wir brauchen, um gemeinsam improvisierend Dinge zu entdecken.“ Und am Ende haben die Schauspieler das Gefühl, wirklich am Film beteiligt zu sein.

Hat Leigh am Theater gelernt, so zu arbeiten? Als er in jungen Jahren nach London kam, gab es in Großbritannien keine nennenswerte Filmindustrie. Also ging er zum Theater. „Dort lernte ich, wie man probt. Wahrscheinlich habe ich von dort auch den Hang zur Erschaffung von Mikrokosmen. Aber ich würde das Kino immer vorziehen. Das Schöne am Filmemachen ist, dass man hinausgeht und echte Luft atmet.“

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