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Transsiberian

© Promo

Berlinale: Kurz & kritisch

Rezensionen zu Filmen in Forum und Panorama.

FORUM

Zarte Berührungen:

Aditya Assarats „Wonderful Town“

Zuerst das Meer, dann das Mädchen, schließlich der Fremde. Das Meer schläft nie, das Mädchen am Empfang im Hotel wacht langsam auf, der Mann kommt aus Bangkok und mietet ein Zimmer. Um diese drei wird es im Film gehen, und dafür nimmt er sich viel Zeit und wenig Worte. „Wonderful Town“: Dieser kleine Ort ist kaum eine Stadt und noch weniger wundervoll. Die Straßen sind ausgestorben, im Zimmer funktionieren Fernseher und Wasserhähne nicht richtig, und die Landschaft bietet schöne Totalen. Aber bei langsamen Kamerafahrten gleitet der Blick an verrotteten Villen, geisterhaft leeren Gebäuden entlang, paradiesisch und gespenstisch.

Thailand nach dem Tsunami. Er ist Architekt, sie Hotelbesitzerin. Eigentlich hat sie kaum noch etwas zu tun, weil alle Reisenden an diesem langweiligen Ort vorbei an den Strand ziehen. Und er muss eigentlich nur kontrollieren, ob die Pläne des Architekten für ein neues Touristenhotel auch richtig ausgeführt werden. Das teilen die beiden einander uneitel mit, aber wichtiger als das, worüber sie reden, ist von Beginn an das, worüber sie schweigen – und wie sie dabei schauen. Am Ende ihrer kurzen Konversationen geht einer aus dem Bild, und die Kamera verharrt auf dem anderen, lange genug, um zu zeigen, wie das eben Gesagte nachwirkt. Wenn sie sein Zimmer aufräumt, streicht ihre Hand über die Bettdecke, wenn er sie auf dem Fahrrad entdeckt, holt er sie so langsam wie nur möglich ein. Wenn ihre Hände sich das erste Mal berühren, zeigt die Kamera das nur von Weitem durch die Autoscheibe, und wenn sie sich näher kommen, wird der Abstand noch größer, so dass im Hintergrund wieder das Meer zu sehen ist. So zart geht es zu zwischen Na und Ton, doch ebenso unausweichlich wächst die Bedrohung um das Paar herum. Erst der Mann, dann das Mädchen, zuletzt das Meer: Die Verwüstungen durch den Tsunami versucht man zwar zu verdrängen, aber die Boten des Bösen dräuen schicksalhaft aus der Vergangenheit an die Oberfläche. Helmut Merker

Heute 20 Uhr (Cubix 9), 10.2., 17.30 Uhr (Cinestar 8)

PANORAMA

Drangvolle Enge:

Brad Andersons „Transsiberian“

Die Transsibirische Eisenbahn taugt, wie der Orient-Express, noch immer zur Mythenbildung: Der Traum vom Durchqueren ganzer Kontinente, um dabei wechselnde Landschaften, Wetterlagen und Ethnien zu passieren, ist so alt wie die Eisenbahn selbst. Ihm sind auch der von Woody Harrelson in wunderbar schlichter Gutmütigkeit verkörperte Amerikaner Roy und seine etwas prätentiöse Frau Jessie gefolgt; sie starten in Peking und reisen westwärts. Bald freunden sie sich mit ihren Abteilgenossen Abby und Carlos an. Der beginnt hemmungslos, mit Jessie zu flirten, hat dabei jedoch anderes im Sinn als sie sexuell zu verführen. Durch Carlos’ kriminelle Verstrickungen wird der Trip zum Desaster. Die Kamera fährt durch die langen Gänge der Waggons, streift Passagiere bei intimen Aktivitäten, en passant darauf verweisend, dass es in dieser drangvollen Enge keine Privatheit gibt. Sie fragmentiert die Körper der Protagonisten, übernimmt damit abwechselnd die Perspektiven der gleichmäßig über den engen Raum verteilten Figuren. „Transsiberian“ ist ein klaustrophobischer Film über das Fremdeln, in dem Sir Ben Kingsley eine unheilvolle Rolle spielt. Daniela Sannwald

Heute 21.45 (Zoo-Palast), 10. 2., 13 Uhr (Cinemaxx 7), 11. 2., 17 Uhr (Cubix 9); 12. 2., 22.30 Uhr (Cubix 7 & 8), 15. 2., 22.30 Uhr (Colosseum 1)

PANORAMA

Aristokratische Anarchisten:

Die Doku „With Gilbert and George“

Großbritannien, das Land der Exzentriker, hat natürlich auch unter den Künstlern seine verrückten Vögel. Doch keiner von ihnen verkörpert so perfekt wie Gilbert & George die Rolle der Anarchisten, die gleichwohl in bester angelsächsischer Manier die Form zu wahren verstehen. Der britische Filmemacher John Cole traf das Duo vor über 20 Jahren zum ersten Mal: da war er Modell für ihre lebensgroßen Foto-Tableaux. Aus der zufälligen Begegnung wurde Freundschaft und daraus wiederum ein künstlerisches Werk. Diesmal jedoch produziert von John Cole, der das Paar über 18 Jahre mit der Kamera begleitete und 2007 auf dem Höhepunkt seiner Karriere – der Retrospektive in der Londoner Tate-Gallery – einen Porträtfilm aus dem angesammelten Material schuf.

Versprochen war die erstmalige Offenbarung der Individuen hinter den Künstlerfiguren, gegeben wird allerdings wie beim Babuschka-Prinzip die identische Hülle. Gilbert & George bleiben Gilbert & George; dafür ist das Duo nach 40 Jahren zu sehr mit seiner Rolle des „odd couple“ verwachsen, das stets im identischen Maßanzug durch die Straßen East- Londons spaziert und sich selbst auf überdimensionalen Bildtafeln reproduziert – mal in Verbindung mit Körpersäften und Exkrementen, die sie ornamental um sich drapieren, mal im Verein mit jungen Burschen aus ihrer Nachbarschaft. Die vollkommene Aufhebung der Grenze zwischen Leben und Kunst, die totale Selbstaufgabe in der Rolle als „living sculptures“ hat zu maskenhafter Erstarrung geführt, die auch der mit freundschaftlichem Gestus gedrehte Film nicht lösen kann. Nur einmal kommt Leben in die beiden, als sie sich kichernd erinnern, wie der Düsseldorfer Galerist Konrad Fischer zu Beginn ihrer Karriere glaubte, ihre ersten Wandzeichnungen verkaufen zu können. „Drei Tage später hatten wir 1000 Pfund in der Tasche“, freuen sich die heutigen Bigseller noch immer über diesen ersten Coup. Nicola Kuhn

Heute 17.30 Uhr (Cubix 7), 10.2., 20 Uhr sowie 11.2., 14.15 Uhr und 17.2., 20 Uhr (jeweils Cinestar 7)

FORUM

Verlorene Seelen:

„The Exiles“ von Kent Mackenzie

Er war schon halb vergessen. Kent Mackenzies Klassiker „The Exiles“, 1966 auf dem Filmfest von Venedig preisgekrönte Dokumentation, schlummerte bereits in den Archiven. Dabei handelt es sich bei den schwarz-weißen Bildern um ein unvergleichliches Zeugnis amerikanischer Alltagsgeschichte. Der Dokumentarfilmer porträtiert Jugendliche indianischer Herkunft im Los Angeles Anfang der sechziger Jahre. Es ist ein trostloses Leben zwischen Jukeboxes und Bars, Tankstellen und Liquor-Stores. Die jungen Männer lassen sich ziellos durch die urbanisierte Welt treiben, Zigaretten im Mundwinkel und eine Hand am Gürtel. Ihre Haare haben sie nach Art der Halbstarken mit Brillantine zurückgegelt, die Jacken tragen sie offen bis zum Gürtel: „The Exiles“ ist in mancher Hinsicht das rare, semidokumentarische Äquivalent zu den Längst-Klassikern des Halbstarken-Genres, untrennbar verbunden mit den Namen James Dean und Marlon Brando. Die Jungsbande fährt gemeinsam im offenen Straßenkreuzer um die Häuser und lässt keine Prügelei aus. Dazu erklingt die Musik von Jerry Lee Lewis, Sam Cooke und Brenda Lee. Doch die Attitüde kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Coolness nicht mehr ist als das symbolische Kapital des Perspektivlosen. Zwischendurch erzählt eine schwangere junge Frau von ihren Wünschen und Sorgen. Die Protagonisten des Filmes spielen sich selbst – in zeittypischer Vermischung aus Dokumentation und Spiel. Zwischendurch werden die Eltern und Großeltern in den Reservaten gezeigt, wo noch Reste historischer indianischer Identität überlebt haben. „The Exiles“ ist ein in grobkörnigem Schwarz-Weiß fotografiertes bewegtes Geschichtsbild – nicht nur für eine verlorene ethnische Identität, sondern auch für die Epoche der amerikanischen fünfziger Jahre. Bodo Mrozek

Heute 10.30 Uhr (Cinestar 8), 12. 2., 21.30 Uhr (Delphi), 14. 2., 22.30 Uhr (Arsenal)

Helmut Merker

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