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Berlinale Panorama Special: Problem erkannt, Lösung doof

Tony Gatlif huldigt in „Indignados“ der Occupy-Bewegung.

Schuhe treiben an den Strand, eine junge Frau hetzt durch wogende Felder, eine Dose rollt eine Straße hinunter. Es sind schöne Bilder aus einer hässlichen Welt, die der französische Regisseur Tony Gatlif für seinen dokumentarischen Spielfilm „Indignados“ komponiert hat – der am Freitag zusammen mit „Elles“ (siehe S. 25) die Reihe Panorama Special eröffnet. Man könnte sich ganz der fortwährenden Bewegung ergeben; die Schönheit eines Güterzugs entdecken, der ein industrielles Ödland durchfährt; den Grusel genießen, den der Weg der Kamera durch ein über Tag verlassenes Matratzenlager illegaler Einwanderer hervorruft.

Dass der Zuschauer nicht allzu viel Wohlgefallen an der versehrten Welt entwickelt, dafür sorgt Gatlif indes nur zu gut: Gefühlt immer, wenn der agitpropagandistische Impetus des Films gnädig aus dem Fokus geraten ist, fahren grelle Zwischentitel – in Schablonengraffitioptik gesetzte Auszüge aus Stéphane Hessels Kampfschrift „Empört Euch!“ – ins Bild. Immer, wenn sich die Kamera gerade an einem Ort verliert, herrscht schon wieder Aufbruchsstimmung, geht es hinein in ein neues Elend, zu einer neuen Anklage.

Dass der Film, dessen Handlung der jungen illegalen Einwanderin Betty (Mamebetty Honoré Diallo) auf ihrer Irrfahrt durch Europa folgt, damit seinem Anspruch gerecht wird, steht außer Frage. Ganz im Sinne Hessels und der „Indignados“, der Empörten, klagt er mit filmischen Mitteln die Bigotterie des westlichen Wirtschaftssystems an. Mehr noch: Gerade die fortwährende Durchbrechung des filmischen Rhythmus – durch die Zitate, durch Pausen in der Kamerabewegung – verfehlt nicht ihre Wirkung. So wohlgefällig einige der Bilder sind, so wenig lässt es ihr Fortlauf zu, sich darin versöhnlich einzurichten.

Die große Schwäche des Films ist, dass er diese Versöhnung anderswo erzwingen will. Wo die Protagonistin gegen Ende des Films ihr – wenn auch kurzes – Glück bei einer Demo der „Indignados“ findet und sich zwischen seligen Sambagruppen mit afrikanischen Tänzen einbringt, pervertiert die Schönheit der Bilder zum Kitsch. Mit einer die Distanz zu den Demonstranten zunehmend aufgebenden Kamera bietet Gatlif hier diejenigen als Problemlöser an, die doch bekanntlich – diesen Part hat bereits Hessel verweigert – keine Lösung haben. Dass deren Geist dabei auf den Film überspringt, ist in diesem Kontext keinesfalls ein Kompliment wert. Es ist der Geist der Selbstherrlichkeit.

10.2., 18 Uhr (International), 11.2., 10.30 Uhr (Cinemaxx 7), 12.2., 17 Uhr (Cubix 9), 17.2., 22.30 Uhr (Colosseum 1)

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