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Berlinale: Schwenks und Schwänke

Halbzeitbilanz: Warum der Eröffnungsfilm doch überzeugt. Und wie die Liebe durch den Magen geht – gerade im Kino.

Werfen wir, da diese Berlinale ihrer zweiten Hälfte entgegenwandelt, zur Abwechslung einen Blick ganz weit zurück, zum Eröffnungsfilm „Tuan Yuan“. Was war dieses Werk nicht überall sanft bespöttelt worden, als zwar lieb, aber für die Eröffnung des großen Berlinale-Jubiläums denn doch zu unscheinbar. Das war vorschnell, müssen wir heute zerknirscht erkennen. Und es war zutiefst ungerecht obendrein.

Tatsächlich stellt sich, im eher trüben Lichte der bisher verflossenen Wettbewerbsfilme, heute eher die bange Frage: Was hätten Dieter Kosslick und die Seinen denn sonst nehmen sollen? „The Ghostwriter“, von einem berühmten Regisseur mit internationalen Stars in Deutschland produziert, war ursprünglich der perfekte Titel für einen glamourösen Start – wenn da das Polanski-Problem nicht gewesen wäre. Einerseits die Verhaftung des Regisseurs und damit seine Abwesenheit vom Festival; andererseits die schnelle Solidaritätsadresse der Berlinale-Leitung, die im Lichte der folgenden Debatte nicht mehr gar so glücklich aussah. Da erschien es wohl in jeder Hinsicht opportun, Polanskis Film einen Platz am allemal prominenten ersten Festivalwochenende zu reservieren.

Die einzige Alternative, die die Berlinale in dieser Kampfklasse aufbieten konnte, war Martin Scorseses „Shutter Island“. Wenn da, abgesehen von der Überlänge, das „Shutter Island“-Problem nicht gewesen wäre. Nicht, dass ein Genie wie Martin Scorsese nicht auch mal einen schlechten Film drehen darf. Aber „Shutter Island“ ist eben ein richtig schlechter Film, was man von Wang Quan’ans allseits austarierter Old-Love-Story „Tuan Yuan“ gewiss nicht behaupten kann.

Inzwischen sind zwei weitere Wettbewerbsfilme aus Fernost gelaufen – doch hat in der internationalen Cineastengemeinde bisher noch niemand so recht die Hand dafür rühren mögen, einen davon rückwirkend als Eröffnungsalternative in Betracht zu ziehen. Zhang Yimou, der mit seinem Erstling „Rotes Kornfeld“ 1988 den Goldenen Bären gewonnen hatte, erfreute das Publikum mit einem hübsch-harmlosen Schwank, der seine tiefinnigste Erfüllung allerdings eher auf dem chinesischen Binnenmarkt finden dürfte. Und der 74-jährige Japaner Koji Wakamatsu, der seinen 100. Film im Berliner Wettbewerb unterbrachte, hielt in „Caterpillar“ 84 Minuten lang bei nahem Hinsehen nur die immerselbe Tafel hoch, auf der – bezogen auf die Schrecken des Zweiten Weltkriegs – eine eher absonderliche Version der Hippie-Parole „Make Love Not War“ zu lesen stand.

Ansonsten sieht sich der Wettbewerb bisher überflutet von wechselhaften Filmen des „Wenn einsame Wölfe zu sehr oder auch zu wenig heulen“-Genres – und damit ist jetzt nicht einmal der von der Berlinale bloß nachgespielte Sundance-Eröffnungsfilm „Howl“ gemeint. Dänemark und Norwegen steuerten in dieser Hinsicht mäßig mark- bzw. zwerchfellerschütternde Beispiele bei, Noah Baumbachs „Greenberg“ versuchte sich irgendwie als Nachfahre Woody Allens, allerdings ohne dessen Tempo und Humor, und nur Florin Eerbans wildfinsterleuchtender Beitrag hat ganz überwiegend überzeugen können. Aber die 60. Berlinale eröffnen mit einem rumänischen Knastfilm? Das wäre dem Gala-Publikum denn doch sauer aufgestoßen.

Andererseits: Wenn in „If I Want to Whistle, I Whistle“ wenigstens gut gegessen worden wäre – so ausgiebig und harmoniestiftend und gut und glutamatfrei wie in „Tuan Yuan“? Immerhin kulinarisch hat diese Berlinale bislang manches zu bieten, auch durchaus Debattenwürdiges. Ganz klasse etwa das Nudelteigballett bei Zhang Yimou, bei dem sogar den Artisten des chinesischen Staatszirkus das Wasser im Munde zusammenlaufen dürfte. Bedenklich dagegen die zahlreichen bier- und weinflaschenüberfüllten Wohnzimmertische im Thomas-Vinterberg-Film: Kein Wunder, dass Leuten, die kaum feste Nahrung zu sich nehmen, auch sozial allerhand ins Rutschen gerät. Stellan Skarsgård wiederum bekommt als Ex-Knacki in „A Somewhat Gentle Man“ zwar von verschiedenerlei Frauen unendlich schlechtes Essen vorgesetzt, darf sich dann allerdings stets frisch gestärkt – und durchaus befriedigend – im Bett bewähren.

Womit das Festival, ein beglückender Befund, wohl von der oralen in die genitale Phase übergegangen wäre.

Das Nudelteigballett bei

Zhang Yimou – reif für den Chinesischen Staatszirkus

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