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Pilzesammeln im polnischen Wald.

© Berlinale

Berlinale Wettbewerb: Jagd auf die Jäger

Agnieszka Holland kehrt mit ihrem Wettbewerbsfilm „Pokot“ in die polnische Provinz zurück.

Von Andreas Busche

Wenn sich die Lebensräume von Mensch und Tier überschneiden, hat die Tierwelt juristisch gesehen inzwischen gute Karten. Gerade wurde das nicht-vegane Kinderlied „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ aus dem Repertoire des Glockenspiels am Limburger Rathaus gestrichen. Im Kino ist dagegen noch das Recht des Stärkeren weit verbreitet. „Pokot“ von Agnieszka Holland hat zweifellos ein Herz für Tiere – ein wiederkehrendes Motiv im laufenden Wettbewerb, in dem tote Tiere eine kathartische Funktion für ihre Besitzer übernehmen.

Männer mit „Schießgewehren“ gibt es im polnischen Wettbewerbsbeitrag zahlreich, sehr zum Ärger der exzentrischen Einsiedlerin Duszejko, die sich mit ihren zwei Hunden in die Wälder an der tschechischen Grenze zurückgezogen hat. Die Tierschützerin ist eine erbitterte Gegnerin der dörflichen Jagdrituale. Sie bremst nicht nur für Tiere, manchmal mischt sie auch die männliche Jagdgesellschaft auf. Im Dorf gilt die ehemalige Ingenieurin als schrullige Alte, ihr einziger Freund ist Nachbar Matoga. Mit den meisten im Ort liegt sie quer: dem Wilderer „Big Foot“, dem kriminellen Wnetrzak, der eine Fuchsfarm betreibt, und den Honoratioren der Stadt bis hin zum Bürgermeister, die geschlossen an den Jagdritualen teilnehmen.

Kleinstadt-Porträt mit Twin-Peaks-ähnlicher Skurrilität

Als ihre beiden Hunde spurlos verschwinden, vermutet sie dahinter sofort einen Jagdunfall. Die Polizei weigert sich zu ermitteln. Eines Nachts entdecken Duszejko und Matoga „Big Foot“ ermordet in seiner Hütte. Der gewaltsame Tod des Wilderers sät Misstrauen in der beschaulichen Dorfgemeinschaft, die Polizei tappt im Dunkeln. Duszejko hingegen entwickelt eine abenteuerliche Theorie: Möglicherweise war die Tat ein Racheakt der Tiere des Waldes. Hufspuren am Tatort erhärten ihren Verdacht. Doch sollte ihre Theorie stimmen, hätte sich jeder im Ort schuldig gemacht.

Agnieszka Holland kehrt mit „Pokot“ nach einem Abstecher ins Serienformat (sie drehte unter anderem für „House of Cards“, „The Killing“ und „Treme“) in ihre Heimat zurück – dorthin, wo es am meisten wehtut und die Jagd tatsächlich die einzige Kulturtechnik darstellt: in die polnische Provinz. Ihr Kleinstadtporträt besitzt eine Twin-Peaks-ähnliche Skurrilität. Die Ressource Zeit ist an diesem Ort im Übermaß vorhanden, entsprechend viel Zeit nimmt sich Holland, die Figurenkonstellationen und das Lokalkolorit zu erzählen.

Duszejko, Matoga, ein IT-Forensiker der Polizei, der mit seinem Laptop in der Provinz gewissermaßen das 21. Jahrhundert verkörpert, ein junges Mädchen, das Duszejko nur „Gute Nachrichten“ nennt und ein Entomologe bilden in „Pokot“ eine Zweckgemeinschaft. Das Dorf als Spiegel der Gesellschaft bleibt jedoch eine unscharfe Allegorie. Auch der Genre-Hybrid aus Komödie, Mystery und Krimi bleibt seltsam unterentwickelt.

Die Jahreszeiten wechseln, gelegentlich passiert ein Mord

Insgesamt wirkt „Pokot“ auf entspannte Weise ambitionslos. Die Jagdsaisons fungieren als lose Kapitel, doch außer dem Wechsel der Jahreszeiten und einem gelegentlichen Mord kommt die Geschichte kaum voran. Holland zeigt wenig Interesse an einer Dramaturgie, vielmehr teilt sie eine Obsession mit dem Spätwerk Werner Herzogs. „Pokot“ schweift immer wieder zu beiläufigen Impressionen aus der Tierwelt ab: Einmal bekommt Duszejkoin Besuch von einem Wildschwein, in einer anderen Szene paaren sich zwei Käfer. Ihr Film ist voller arbiträrer Naturaufnahmen, die ohne erzählerische Konsequenz in die Handlung eingewoben werden. Eine politische Dimension bekommt der Film schließlich dank eines Bonmots über die polnische Gesellschaft, die ihr wahres Gesicht beim Pilzesammeln zeigt. Die Zeiten von Solidarnodk sind in „Pokot“ endgültig vorbei.
13.2., 9.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 12 Uhr (HdBF); 4.2., 12.15 Uhr (Zoo Palast 1), 19.2., 21.30 Uhr (HdBF)

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