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Die Blockflötistin Dodó Kis tritt am 3. August beim A L'Arme-Festival auf.

© Claudia Hansen

Berliner A L’Arme-Festival: Rock, Soul und Saxofonberserker

Manchmal muss es wehtun: Greg Fox, Gurls und Anguish eröffnen das Berliner A L’Arme-Festival im Säälchen am Holzmarkt.

Schlagzeug spielen, Mann! Du kannst jede Menge Geräusche machen, mit wenig Personal! Wer wüsste das besser als Greg Fox, der sich als schlagkräftiger Antreiber von experimentellen Rock-Acts wie den Black-Metallern Liturgy an die Spitze des Schlagzeuguniversums getrommelt hat. 2011 kürte ihn die „Village Voice“ zum besten Drummer aus New York, bevor er sich selbst neu herausforderte und die sensationelle Sensory-Percussion-Software in sein Setup integrierte. Eine Technologie, bei der kleine Magneten auf dem Schlagzeugfell montiert werden, welche die Vibrationen in ein Signal umwandeln, mit dem wiederum zuvor geladene Samples oder ein Synthesizer angesteuert werden können.

Bevor der Trommelfuchs am Samstag noch mit der Noise-Rock-Formation Ex Eye an der Seite von Ausnahme-Saxofonist Colin Stetson das viertägige A L’Arme-Festival im Radialsystem beschließen wird, präsentiert der Schlagzeug- Solo-Künstler bei der Eröffnung im Säälchen am Holzmarkt sein Album „The Gradual Progression“, das auf dem spirituellen Jazz der siebziger Jahre basiert und sich manchmal anhört wie Aphex Twin, der über einen Stapel ECM-Platten gestolpert ist.

Die Gurls haben keine Angst

Immer wieder überraschen dabei zuvor eingespielte Klänge von Gitarre oder Saxofon, die sich ebenso organisch in den Gesamtsound fügen wie kosmisch blubbernde Synth-Fragmente oder geheimnisvolle Bleep-Geräusche. Das entscheidende Element bleibt aber Fox’ schweißtreibende Handwerkskunst, wobei die Präzision, mit der er seine polyrhythmischen Kulissen zusammenklopft, keine Sekunde Langeweile aufkommen lässt, weil er bei aller Virtuosität auf jede krampfhafte Effekthascherei zugunsten eines rockenden Energieflusses verzichtet.

Wer danach kommt, hat’s schwer, doch die Gurls haben keine Angst: Drei junge Norwegerinnen, die den heißblütigen Soul des US-amerikanischen Südens mit der nordischen Kühle ihrer Heimat verbinden und am liebsten über Jungs singen. Ihr Debütalbum „Run Boy, Run“ wurde gerade erst mit dem norwegischen Jazz-Grammy ausgezeichnet. Dabei hat ihre Musik mit Jazz nur noch am Rande etwas zu tun. Dafür besitzen die Gurls den Flow von Rihanna und die Coolness der Slits, wenn sie mit muskulösen Kontrabassläufen, flottem Saxofongebläse und rotzfrechem Gesang, der tatsächlich an die großen Gospelstimmen der goldenen Soul-Ära erinnert, einen herzerfrischend poppigen R’n’B- Soul-Bop-Mix anrühren, der das Publikum glattweg aus den Socken hebelt. Sind sie nicht superwunderbar? Na klar!

Dunkle Gänsehautmusik

Danach sind wieder die bösen Jungs dran und der Kontrast könnte kaum größer sein: Anguish (zu Deutsch: Kummer, Leid, Schmerz, Qual) nennt sich die Hip-Hop-Free-Jazz-Krautrock-Super-Boygroup, deren Geschichte eigentlich schon im Jahr 2004 begann, als die Krautrock-Pioniere Faust eine Kollaboration mit der Industrial-Hip-Hop-Fraktion Dälek aus New Jersey eingingen und das Album „Derbe Respekt Alder“ aufnahmen. Bei Anguish werden Dälek-Frontmann Will Brooks, Dälek-Gitarrist Mike Mare und der Faust-Elektroniker Hans-Joachim Irmler vom Saxofonberserker Mats Gustafsson und Schlagzeuger Andreas Werliin vom schwedischen Fire!-Orchestra ergänzt. Mit grimmiger Entschlossenheit treten sie einen dystopischen Metropolensound los, der gleichzeitig etwas Urwüchsiges und bedrohlich Modernes an sich hat, wie defekte Maschinen, die ausgerastet, durchgedreht, völlig aus dem Takt geraten sind.

Schallwellen durchfluten den Raum wie eine greifbare Substanz, die sich nagend ins Bewusstsein vorarbeitet. Brummende, quietschende Geräusche, die wie Spraydosen eingesetzt werden und verstümmelte Zeichen an die Wände kritzeln, während das Doomsday-Gereime von Brooks den täglichen Kampf ums Überleben in die surrealen Ebenen des Horrors übersetzt und Gustafsson das Gejammer mit dem gewaltigen Röhren, Gurgeln und Knattern am Saxofon wolkig verdichtet, zur Höchstleistung angespornt von einem lässig hingedroschenen Groove-Gepolter, das Scheintote wieder auf die Beine bringen könnte. Eine dunkle Gänsehautmusik, die als verstörender Soundtrack für eine postapokalyptische Zukunft genüsslich unter die Schädeldecke geblasen wird. Manchmal muss es eben wehtun. Aber das ist ja auch nichts Neues für die Besucher dieses Festivals, das zum siebten Mal an vier Sommerabenden stattfindet. (Noch bis 3. August im Radialsystem, Infos: alarmefestival.de)

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