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Kultur: Berliner Breslauer

Der Journalist Peter Pragal beschreibt seine Geschichte als Vertriebener.

Eine Autobiografie hat etwas Verführererisches, und deshalb hängt viel davon ab, wohin die Beschäftigung mit dem eigenen Leben den Autor führt. Der Titel dieses Buches des Journalisten Peter Pragal – „Wir sehen uns wieder, mein Schlesierland“ – stammt aus dem Kehrreim des Schlesierliedes, das gern als eine Art Hymne dieser ehemaligen deutschen Provinz bezeichnet wird. Für den Journalisten Pragal spielt die sentimentale Zeile die Rolle eines Codeworts für einen Lebensbericht, der die Annäherung an das Thema der Vertreibung und vor allem das Verhältnis von Deutschen und Polen beschreibt. Nicht zuletzt aus der Perspektive seiner Berufslaufbahn reflektiert er den Umgang mit einem zeithistorischen Problemkomplex, der die Bundesrepublik in Auseinandersetzung und Verdrängung beschäftigte und das Schicksal von Millionen bestimmte. Es ist auch Pragals Schicksal.

Denn der frühere Korrespondent in Ost-Berlin und Bonn ist gebürtiger Breslauer, aufgewachsen in der Bundesrepublik, ohne dass die Eigenschaft der Vertreibung für ihn ein größeres Problem darstellte. Deutsche 50er Jahre: Es gibt in seinem Elternhaus den „Schlesier“, das Organ der Landsmannschaft, aber das politische Gespräch wird vermieden. Obwohl vom Geburtsjahrgang der 68er-Generation zuzurechnen, gehört der junge Pragal zu dem, was Peter Glotz – auch ein Vertriebener – einmal den Mainstream seiner Generation nannte, die liberale, nichtradikalisierte Mehrheit. Nur enragierte 68er bringen ihn dazu, sich trotzig als „Flüchtlingsjunge“ zu empfinden. Erst die Auseinandersetzung um Oder-Neiße-Grenze, Ost-Politik und das Nachwende-Polen ziehen Pragal hinein in den bewussten Umgang mit seiner Herkunft, lassen ihn in diesem Prozess seine Identität finden.

In Eindrücken und Porträts, die mit Gewinn zu lesen sind, spiegelt sich dieser Weg. Sie gelten umstrittenen Gestalten wie Herbert Hupka, dem langjährigen Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft Schlesien, und Erika Steinbach, der gegenwärtigen Vertriebenen-Vorsitzenden. Ebenso dem Deutschlandtreffen der Schlesier – aus spürbarer Distanz – und dem mit tiefer Bewegung begleiteten Jubiläum der Universität Breslau, bei der Bundespräsident Johannes Rau spricht und der aus Breslau stammende amerikanische Historiker Fritz Stern die Ehrendoktorwürde erhält. Vor allem entdeckt Pragal eine „späte Liebe“ zu seiner Geburtsstadt, die mit dem Ende des Sozialismus das Abweisende verliert, das sie früher für ihn hatte.

Für Pragal nimmt die unprätenziöse Warnehmung eines schwierigen Themas ein. Zugegeben, gelegentlich wird sein Buch etwas zu privat; auf diese oder jene Episode aus dem Leben der Familie Pragal hätte man verzichten können. Aber es liefert den Beweis, dass man heute unangestrengt ein Thema behandeln kann, das jahrzehntelang unter Konflikten und Streitigkeiten schier verschwand. Anders: Auch als aufgeklärter politischer Kopf kann man, ohne Konversionen, ein normales Verhältnis zu dem Knäuel von Schmerzen und Trotz, von Brüchen und neuen Lebenskreisen gewinnen, das die Geschichte uns unter dem Titel Vertreibung hinterlassen hat. Also geht Peter Pragal heute, nach seinem Bekenntnis ein Berliner Breslauer oder auch Breslauer Berliner, brav zum Schlesier-Stammtisch und scheut sich auch nicht, sind die Umstände danach, ins Schlesierlied einzustimmen. Hermann Rudolph







– Peter Pragal:

„Wie sehen uns wieder, mein Schlesierland. Auf der Suche nach Heimat“, Piper Verlag, München 2012. 397 Seiten, 22,99 Euro.

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