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Die älteste ihrer Art. Die Abteilbrücke ist Deutschlands erste Stahlbetonbrücke, Jahrgang 1916.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Brücken (10): Auf den Schwung kommt es an

Avantgarde in Stahlbeton: Die Abteibrücke in Treptow führte einst nach Nirgendwo – und schrieb doch Geschichte. Gebaut wurde sie, um Ausflüglern den Weg in ein Lokal zu bahnen. Doch die "Abtei" brannte aus, bevor der Zugang fertig war.

Nun übertreibt er aber. Gleich zwei Regenbögen spannt der Himmel über Berlin, genau neben der Brücke. Und fast im gleichen Rund. Also sind es drei Brücken. Oder drei Regenbögen, selbst wenn der eine, aus eher regenbogenuntypischem Material besteht. Nämlich aus Beton. Und Stahl. Zwei Materialien, bei deren Nennung der moderne-versehrte Geist sich bereits müde abwendet, nicht zuletzt weil er meint, ihnen die universelle Verhässlichung der Welt verdanken zu müssen. Aber Moment mal!

Es ist immer aufregend, eine Weltmacht im Moment ihrer Geburt zu beobachten. In diesem Fall die Weltmacht des Stahlbetons. Und diese Kleinstbrücke, die Abteibrücke im Treptower Park, auf 78 Meter Länge und 3,9 Meter Breite im Grunde nichts mit nichts verbindend, ist die erste Stahlbetonbrücke Deutschlands.

Relativisten und Skeptiker sagen, sie sei nur eine der ersten, doch vielleicht sollte man es so sehen wie Stefan Förster, Vorsitzender des Heimatvereins Köpenick e. V., der die Brücke vom Insel-Biergarten im Abendlicht betrachtet und in seine Apfelschorle hinein spricht: „Ich kenne keine frühere. Also ist sie die erste!“ Heimatkundler, man weiß es, sind die penibelsten Historiker überhaupt.

Von der Mitte bietet sich ein ausgezeichneter Panoramablick auf das Heizkraftwerk Rummelsburg, das seine zwei großen Schornsteine selbstbewusst in den Himmel streckt. Auf der anderen Seite reicht der Blick über den Park bis zu den Treptowers. Aber warum interessieren sich Menschen eigentlich immer dafür, was man von einer Brücke aus sehen kann oder was an ihren Enden ist, warum wollen sie fast nie etwas von ihr selber wissen?

Friedrich Ignaz Edler von Emperger, geboren in Böhmen, war der Begründer des wegweisenden Periodikums „Neuere Bauweisen und Bauwerke aus Beton und Eisen“, das 1905 in „Beton und Eisen“ umbenannt wurde, bevor es „Beton und Stahlbeton“ hieß, was den Österreicher nicht hinderte, auch noch zum Erfinder des legendären „Betonkalenders“ zu werden, worauf er das wegweisende vierbändige „Handbuch für Eisenbeton“ herausgab. Aber Friedrich Ignaz Edler von Emperger beließ es nicht bei der Theorie. Er baute gerade U-Bahnen und Hochhäuser in Boston und New York, als es an der Spree weit, weit vor den Toren Berlins noch absolut nichts gab, worüber sich eine Brücke schlagen ließe. Nur vereinzelte Erdhaufen schauten um 1896 oft namenlos aus dem Fluss, zu klein, um ihnen das Wort Insel zuzugestehen. Es war die Zeit der großen Weltausstellungen, Paris und London hatten längst welche. Und Berlin sollte keine bekommen?

Gewöhnliche Brückengeschichten dürfen die Existenz der per Brücke zu verbindenden Orte voraussetzen, aber hier ist das anders. Daher beginnt die Geschichte der ersten Stahlbetonbrücke Deutschlands mit der per Kassenlage des Deutschen Reiches verhinderten Weltausstellung. Es wurde nur eine „Gewerbeausstellung“ daraus, die allerdings gewann Weltausstellungsformat und mehr Fläche, als ihre Londoner oder Pariser Vorgängerinnen je besaßen. Zu dieser Fläche zählte auch jenes ungestalt aus der Spree ragende Stück Erde, Treptower Bruch genannt, auf dem nun – aufgeschüttet, verbreitert und befestigt – ein Lokal im Stil einer schottischen Klosterruine errichtet wurde. Die „Abtei“ wurde Ausflugsgaststätte für die sieben Millionen Ausstellungsbesucher, die nach Treptow strömten. Sie mussten mit dem Boot die 50 Meter zum Festland übersetzen, wo die Attraktionen einander überboten. Siemens & Halske zeigte einen Riesendynamo, Conrad Röntgen demonstrierte erstmals öffentlich die Anwendung seiner Strahlen. Friedrich Ignaz von Emperger aber befand sich noch immer in Amerika.

Er war inzwischen von Hochhäusern und U-Bahnen zum Brückenbau übergegangen. Eine Brücke für Cincinnati, ganz aus Stahl und Beton. Die Bürger der Stadt wussten, dass sie das nächste Hochwasser nicht überdauern würde. Das Hochwasser kam, und das nie für möglich Gehaltene geschah: Die Edenpark-Brücke von Cincinnati stand immer noch. Ihr Erbauer hielt nun in ganz Amerika Vorträge zum größeren Ruhm des Stahlbetons.

Es war kein Hochwasser, das die schottische Klosterruine auf dem Treptower Bruch, der nun Abteiinsel hieß, mit sich nahm. Ein Feuer war’s. Die verkohlten Überreste wurden abgetragen und erst jetzt, wo nichts mehr auf der Insel war, begann Emperger die erste deutsche Stahlbetonbrücke zu planen. Im Auftrag der Inselbesitzerin, der Stadt Neukölln. Ein Avantgardismus geradewegs ins Nirgendwo! Ein großer Gusseisenbogen, ohne Pfeiler, betonummantelt. 1916, mitten im Krieg, wurde das fertig.

Auf den Schwung kommt es an, auf den richtigen Regenbogenschwung. Die Geradlinigen unter den Brücken mögen immer und überall in der Mehrzahl sein; warum auch soll der Mensch erst aufwärts gehen, nur um gleich wieder abwärts laufen zu müssen? Das ist unökonomisch. Aber es ist wunderbar. Die Brückensprache hat ein schönes Wort für den höchsten Punkt einer Brücke. Sie nennt ihn lichte Höhe. Hier beträgt sie genau neun Meter.

Ein Dampfer des Technikmuseums nähert sich, einer aus der Zeit, als der Schiffsbug noch gerade war und die oft riesigen Schornsteine schräg. Der Schornstein passt knapp unter der lichten Höhe durch.

Natürlich haben die Liebenden, die meinen, dass ein Schloss, das man nicht mehr aufkriegt, das angemessene Symbol von Nähe ist, längst die Abteibrücke entdeckt. Leider hat sie inzwischen auch einen Zweitnamen: „Brücke der Herzen“. Wer nur einigermaßen prominent und dazu kinderfreundlich ist, muss damit rechnen, seinen Namen irgendwann unter einem blauen Keramikherz, eingelassen ins Brückenpflaster wiederzufinden. Herman van Veen, dem Eisbären Knut, dem Astrophysiker Stephen Hawking und vielen anderen ist das schon passiert.

Seit Jahren wird im Brückenhäuschen getanzt, auf vier Etagen, vom Wachturm bis zum Verlies. Bis vor kurzem gab es auch Open-Air-Konzerte und Kino unterm Treptower Nachthimmel. Damals, als die Insel noch „Insel der Jugend“ hieß, spielten sogar Joe Cocker und Bob Dylan hier. Trotzdem fiel niemand ins Wasser. Über diese Brücke sind sie gegangen. Und wer drunter durchfuhr wurde nass, denn die Brücke tropfte. Inzwischen hat das Köpenicker Umweltamt seinen Lärmmesspunkt vom anderen Spreeufer in Alt-Stralau auf die Insel verlegt und fand es im Inselgarten eindeutig zu laut. Jetzt gibt es also keine Konzerte mehr.

In den Zwanzigern war hier am Ufer ein Ausflugsrestaurant, ein Bootsverleih neben dem anderen und es scheint, als kehre diese Zeit von Jahr zu Jahr mehr zurück.

Und eigentlich gibt es hier noch eine zweite Brücke, eine längst vergessene, denn was ist ein Tunnel anderes als eine unterirdische Brücke? Bis 1945 verband er Treptow und Alt-Stralau, und eine Straßenbahn fuhr unter der Spree!

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