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Verwunschen. Vom Tal, wo der Märchenbrunnen sprudelt, führen Treppen hinauf auf die Berge. Sie begraben eine Geschichte, die sie nicht vollständig tilgen können.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Dächer: Die grüne Beule im Stadtgedärm

In die Ferne kann man von hier aus nicht schauen - aber in die Vergangenheit. Im dritten Teil unserer Sommerserie geht es auf den Mont Klamott im Volkspark Friedrichshain.

Das Dach der Welt liegt dort, wo die Landmasse sich am weitesten dem Himmel entgegenwölbt. Oder vielleicht auch da, wo der Himmel sich am tiefsten über die Erde neigt. Tibet und dem Himalaya gebührt dieser erhabene Titel, einer spirituellen Region, die eine besondere Spezies Reisende anzieht.

Daheimgebliebene fragen sich unterdessen: Ja, hat denn Berlin nich ooch so’n Dach? Natürlich haben wir das. Und wo es zu finden ist, verraten uns fünf hellhörige Stadtauskundschafter, die Musiker der Band Silly, angeführt von Sängerin Tamara Danz, die 1983 folgenden Refrain immer wieder anstimmen: „Mont Klamott – auf’m Dach von Berlin / Mont Klamott – sind die Wiesen so grün.“ Einen Berg, von Gras umgeben, diesen Ort suchen wir. Einen Trümmerberg, wie es der Name nahelegt – andere gibt’s ohnehin nicht in dieser Stadt.

Im Volkspark Friedrichshain werden wir fündig, einem Areal, erfüllt von widerständiger, auch abgründiger Geschichte. Eine östliche grüne Lunge sollte dieser erste Bürgerpark werden, angelegt noch außerhalb des wachsenden Stadtzentrums als Pendant zum Tiergarten. 1840 wurde der Beschluss gefasst, die Arbeiten zogen sich wegen schwieriger Besitzverhältnisse hin. Und waren noch gar nicht recht abgeschlossen, als die damals höchste Erhebung schon wieder abgetrennt und in aller Eile zum Friedhof umfunktioniert wurde.

Erinnerungen an die Revolutionäre von 1848

Auf dem Kanonenberg begrub das Volk seine toten Revolutionäre von 1848. Als Zeichen der Versöhnung hatte man erwogen, dort auch die gefallenen Soldaten beizusetzen, ein Ansinnen, das heftige Diskussionen auslöste. Letztlich schuf das Militär abermals Fakten und gab seine Toten nicht heraus. 255 Opfer liegen auf dem Friedhof der Märzgefallenen, später wurden auch Tote der Revolution von 1918/19 hier beerdigt, am Rande des Parks. Ein alter Schifffahrtscontainer dient als provisorischer Ausstellungsraum, denn dieser Ort deutscher Demokratiegeschichte ist keine nationale Gedenkstätte. Löwenzahn wuchert aus den Gräbern, von gusseisernen Säulen umstanden, die Borsig zur Erinnerung an seine gefallenen Arbeiter spendierte. In einer Ecke ganz hinten riecht es auf einmal nach Lavendel.

Nach den Toten kamen die, die auf Gesundung hofften. Und wieder wurde Grün vom Volkspark genommen, um darauf 1874 das Krankenhaus im Friedrichshain zu errichten, die erste städtische Heilanstalt Berlins. Sie entstand aus Backsteinen in der von Rudolf Virchow empfohlenen Pavillon-Anlage, die als hygienisch fortschrittlichste Bauweise galt. Daran erinnert das noch erhaltene Portal mit seinem an einen Kirchenraum angelehnten hohen Gewölbe. Da der Patient Horst Wessel 1930 hier an den Folgen eines Kopfschusses starb, verlor das Krankenhaus nach der Machtübernahme der Nazis nicht nur seine berühmten jüdischen Ärzte, sondern dazu seinen angestammten Namen, wie auch der Bezirk Friedrichshain nach dem SA-Schläger in Horst-Wessel-Stadt umgetauft wurde.

Nur die Überreste des Bunkers sind noch zu sehen.
Nur die Überreste des Bunkers sind noch zu sehen.

© Doris Spiekerman-Klaas

Nachdem die Alliierten 1940 erstmals mit ihren Bombern Berlin erreicht hatten, begann in drei Parkanlagen der Stadt ein monströses Rüstungsprojekt. Hochbunker aus Stahlbeton entstanden in Pärchen, um darauf je einen Leit- und Gefechtsstand zu errichten. In Wien sind noch alle drei Flakturm-Paare erhalten und vermitteln einen niederschmetternden Eindruck von der martialischen Wehrhaftigkeit, die man sich von diesen Bauwerken einst erhoffte. Im Tiergarten, im Humboldthain und auch inmitten des Volksparks Friedrichshain entstanden bis 1943 Flaktürme, die wenig gegen bald hunderte alliierte Bomber ausrichten konnten. Keine deutsche Stadt erlebte mehr Luftangriffe, Berlin brannte und fiel in Trümmer. Durch die Flaktürme wurde auch der Park zum Ziel, seinen Baumbestand verfeuerte die frierende Bevölkerung in den Ruinen.

Aus dem Schutt wächst später das, was Silly „ne grüne Beule aus dem Stadtgedärm“ nennt, der Kleine und vor allem der Große Bunkerberg, vom Volksmund Mont Klamott getauft. Die Sprengung der Flaktürme verlief mäßig erfolgreich, die halb niedergerungenen Kolosse wurden unter Trümmern begraben. Über zwei Millionen Kubikmeter stecken in den auf 57 und 87 Meter emporgewachsenen Erhebungen, im Kleinen Bunkerberg vermutet man auch Schutt des Stadtschlosses. Das passt zur tragischen Rolle des Leitturms in den wirren Maitagen 1945. Zwei Tage vor der Kapitulation Nazideutschlands brennt es im hier untergebrachten Außendepot der Gemäldegalerie, vermutlich werden dabei über 400 Gemälde vernichtet, darunter Caravaggios „Bildnis einer jungen Frau“. Heute befindet sich auf dem Kleinen Bunkerberg ein öffentlicher Grillplatz. Neben großzügig verteilten Scherben und Holzkohleresten hängt ein Plakat der Mordkommission am Zaun, die um verdächtige Beobachtungen in den frühen Morgenstunden des 14. Mai bittet. Es ist der Zeitpunkt, an dem der Südtiroler Stefan Unterweger am Kleinen Bunkerberg nach schweren Stichverletzungen stirbt.

Aussichtspunkt ohne Aussicht

Die Trümmerberge haben einen neuen Volkspark Friedrichshain geschaffen, und mit ihm einen unüberbrückbaren Gegensatz. Unten, auf den grünen Wiesen, erscheint die Anlage heiter und unbeschwert. Doch die Hügel mit ihren gepflasterten Wegen, auf denen noch heute Schuttlaster rollen könnten, wirken verlassen und abweisend. Trotz des schnell wachsenden Gehölzes, mit dem man sie überzogen hat. Wer schon auf den Mont Klamott geht, scheint den unbezwingbaren Wunsch zu verspüren, die harten, stur im Schneckengewinde laufenden Wege zu verlassen, steil durch die Böschung zu brechen, eine Spur zu hinterlassen in diesem künstlichen Urwald. Während im Tal gebaut wurde, etwa eine Freilichtbühne, wuchert es hier oben weiter. Und kann doch nicht ganz tilgen, was der Berg verschwinden lassen sollte. Unterhalb der Aussichtsplattform des Großen Bunkerbergs klaffen noch mit Graffiti überzogene Spalte im Stahlbeton des ehemaligen Flakturms.

Wer auf einen Berg steigt, will vor allem hinuntersehen. Oder geradeaus in die Ferne. Auf dem Mont Klamott aber ist nichts davon möglich, schon gar nicht im Sommer, wenn das Grün alle Blicke auf sich zieht und umgehend abbiegt. Eine Einfriedung aus Stein umgibt diesen Aussichtspunkt ohne Aussicht. In sie sind Namen von Orten gehauen, die man nicht sehen kann unter der Glocke aus Blättern: Marzahn, Lichtenberg, Treptow, Fernsehturm, Immanuelkirche. In der Mitte des Platzes breitet sich ein Arsenal leerer Flaschen an einem Baumstamm aus, in dem der Pfefferminzlikör „Berliner Luft“ klar dominiert. „Da ist ihnen mal was eingefallen, den Vätern dieser Stadt / dass unsereins ’n bissel frische Luft zum Atmen hat“, singt Tamara Danz, im Gespräch mit „’ner alten Dame auf der Bank“ im Volkspark. So was lässt sich am Dach von Berlin, wir spüren es längst, nicht ohne historische Korrekturen sagen. „Die alte Dame lächelt matt: / Lass sie ruhn, die Väter dieser Stadt / Die sind so tot seit Deutschlands Himmelfahrt / Die Mütter dieser Stadt hab’n den Berg zusamm’gekarrt.“

Eine letzte Momentaufnahme vom Mont Klamott: Die einzigen Menschen hier oben sind ein mönchisch gekleideter Mann und eine Frau in Funktionssandalen. Sie führen Schwerter am angewinkelten Arm, etwa in Höhe des Herzens. Doch die Schülerin kann ihrem Lehrer offenbar nicht folgen, sie bittet ohne Unterlass um neue Hilfestellungen. Zur Orientierung zieht der Mann schließlich mit einem Stock eine Linie. Sie windet sich durch den Staub. Die Frau starrt sie ratlos an. Die Meditation mit dem Schwert, so heißt es, zeigt an, an welchen Punkten man Konflikten ausweicht und es einem an Standvermögen fehlt. Hier, auf den Trümmern der Stadt, kann man seiner Lektion nicht entkommen.

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