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Berliner Ensemble: Kloppen und zicken: Das neue Stück von Mark Ravenhill

Claus Peymann inszeniert am Berliner Ensemble "Freedom and Democracy I hate you", das neue Stück von Mark Ravenhill. Der Autor wurde mit dem Stück "Shoppen und Ficken" bekannt.

Elf Szenen über Terrorangst und den Einfluss des Irakkrieges auf den ganz normalen Alltag. Die Verdrängung hysterischer Mütter, der Sicherheitswahn von Familienvätern, Kinderalbträume und Gewaltfantasien Krebskranker. Nichts weniger. Elfmal geht es in den farce-artigen Spots unter dem Titel „Freedom and Democracy I hate you“ von Mark Ravenhill um Aggressionen, die angeblich von den „Bösen“ da draußen kommen, in Wirklichkeit aber mehr aus den eigenen Eingeweiden hervortoben. Es geht also um ein grelles Spiel mit dem Verhältnis von Innen und Außen, bei dem elfmal todsicher die Verlogenheit und Verkommenheit des Westens hinten rauskommt – und die Überzeichnung logischerweise zum Programm gehört.

Ein Chor selbstberauschter Mittelstandsfrauen, der „Wir sind die Guten“ brüllt. Geheimdienstler, die eine Terrorverdächtige foltern und dabei den verdienten Nachtschlaf einer Stewardess stören. Männer, die von der Bühnenrampe weg ins Publikum rufen, die „bösen Schafe“ mögen sich melden. Das Subtile ist Ravenhills Sache nicht, der mit „Shoppen und Ficken“ damals in Thomas Ostermeiers Inszenierung in der DT-Baracke bekannt wurde.

Konzentrieren wir uns aber auf Szene zwei, die den wie mit Edding geschriebenen Titel „Intoleranz“ trägt. Denn die variiert das Thema von Innenansicht und Außenwelt noch am raffiniertesten – und zeigt, wie sehr Claus Peymann des englischen Dramatikers grelle Grobheit als realistische Plattheit missverstanden hat.

Da lehnt also im Berliner Ensemble die große Schauspielerin Corinna Kirchhoff genau in der Mitte der weißen schicken Bühne (Johannes Schütz) an einem weißen Küchentresen und erzählt, einen hypergesunden Fruchtsaft in der Hand, die Geschichte ihrer Bauchkrämpfe. Alles hat sie versucht, Psychoanalyse, Gesprächs- und Rückführungstherapien, aber die Krämpfe wollten partout nicht weggehen, bis sie zufällig von dem Phänomen der Koffein-Intoleranz in der Zeitung las und plötzlich wusste: Wahnsinn! Ihr Leiden kommt gar nicht aus dem Unbewussten, sondern vom vielen Kaffee! Seit sie nun Fruchtsäfte trinkt, geht es ihr blendend. Stimmt natürlich nicht. Denn als sie davon erzählt, dass ihre Urgroßeltern in den Konzentrationslagern umgekommen sind, muss sie sich plötzlich wieder krümmen.

Ravenhill stellt die Selbstlüge und die Hilflosigkeit so drastisch aus, treibt die arme Frau so sehr in den Comic, dass die Szene geradezu nach Tempo, nach Slapstick und Überzeichnung schreit. Das ist ohnehin Ravenhills Methode. Bei seinen Figuren ist die Verdrängung und Hysterie so total, dass sie zu Aufzieh-Menschlein mutieren, die so lange automatisch vor sich hinrationalisieren, bis der Mechanismus heißläuft und im Aussetzen so etwas wie Schmerz und Verletzlichkeit aufscheint. Solche radikale Künstlichkeit schafft, wenn die Sache denn funktioniert, immerhin einen Moment der Wahrhaftigkeit.

Peymann macht es fatalerweise umgekehrt. Er nimmt die Figuren einerseits viel zu ernst, pinselt ihr Drama realistisch und in Zeitlupe auf insgesamt über drei Stunden aus, als sei es ein Stück von Tschechow, um sie andererseits unablässig an die betuliche Pointe und die läppische Übertreibung des Kalauers zu verkaufen. Und so schmeckt Corinna Kirchhoff also manieristisch jeder Nuance des Verleugnens und krampfhaften Formwahrens hinterher und leuchtet genüsslich jeden Winkel der darunter liegenden Verachtung aus – nicht, um das Leid einer Verzweifelten zu zeigen, sondern um Lacher im Publikum zu erpressen, dass es eine Qual ist.

Über die anderen Szenen, in denen Christian Grashof zum Beispiel auf schwul macht oder Peymann halbherzig (und mit selbstverliebtem Bezug auf seine frühen Peter-Handke-Inszenierungen) das Publikum beschimpfen lässt, breite man lieber den Mantel des Schweigens.

Wieder am 6. und 17. Oktober.

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