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Kultur: Berliner Festspiele: Der achte Hügel - Wie sieht die Zukunft aus? Nächste Woche fällt die Entscheidung

Am Rande einer Ausschusssitzung ließ Kulturstaatsminister Michael Naumann kürzlich die weit reichende Mitteilung fallen, dass die Freie Volksbühne wieder eröffnet werden soll - als Berliner Festspielhaus. Eine kluge, überfällige Entscheidung: Geht es um den internationalen Gastspielort für Schauspiel und Tanz, so ist die Freie Volksbühne dem Schiller-Theater, mit dem die Berliner Festspiele einige Zeit herumexperimentiert haben, in jeder Hinsicht vorzuziehen.

Am Rande einer Ausschusssitzung ließ Kulturstaatsminister Michael Naumann kürzlich die weit reichende Mitteilung fallen, dass die Freie Volksbühne wieder eröffnet werden soll - als Berliner Festspielhaus. Eine kluge, überfällige Entscheidung: Geht es um den internationalen Gastspielort für Schauspiel und Tanz, so ist die Freie Volksbühne dem Schiller-Theater, mit dem die Berliner Festspiele einige Zeit herumexperimentiert haben, in jeder Hinsicht vorzuziehen. Ein locus amoenus in der Innenstadt, bietet die westliche Volksbühne räumliche Flexibilität und eine intimere Atmosphäre zugleich.

Aber auch die Festspiele stehen vor größeren Veränderungen. Der Bund übernimmt die GmbH zu hundert Prozent in seine Finanzregie. Ein kulturpolitischer Einschnitt, ein Präzedenzfall: Hier (und im Gropius-Bau) wird der Bund in seiner Hauptstadt zum ersten Mal Programm machen und gleichsam als Veranstalter auftreten. Es ist freilich noch offen, wie die Berliner Festspiele der Zukunft aussehen werden. Ob das Theatertreffen in seiner traditionellen Form bestehen bleibt, ob und wie die Festwochen fortgeschrieben werden, ob es einen völlig neuen Festspiele-Rhythmus geben wird, darüber kann zur Zeit nur spekuliert werden. Eines scheint klar: Die neuen Berliner Festspiele können keine Schrumpf- und Rumpfausgabe der alten sein. Das wäre widersinnig, peinlich. Für Rest-Spiele müsste man auch nicht die Freie Volksbühne reaktivieren.

Lange, allzu lange schon schleppen Naumann und der Berliner Senat die Festspiel-Frage herum, die da lautet: Wer wird Nachfolger von Ulrich Eckhardt? Dieser Mann, den man die "graue Eminenz der Berliner Kulturpolitik" und "den heimlichen Kultursenator Berlins" genannt hat, gibt sein Amt zum Jahresende auf. Am 17. Juli tagt das Kuratorium der Berliner Festspiele. Michael Naumann und Kultursenator Christoph Stölzl sollen einen Favoriten haben: Joachim Sartorius. Der Generalsekretär des Goethe-Instituts ist seit längerem als möglicher Festspiele-Chef im Gespräch. Ein weltläufiger Geist, eine poetische Natur und im Herzen Berliner: Lange hat er das Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Berlin geleitet. Aber auch ein Manager?

Gerard Mortier, der Leiter der Salzburger Festspiele, wäre Eckhardts erste Wahl gewesen. Mortiers Name geisterte eine Weile durch die Berliner Instanzen. Er hat sich irgendwann dann auch mit Naumann getroffen und abgesagt. Mortier fühlte sich nicht ernst genommen. Waren da die Würfel längst für einen anderen gefallen? Wer immer Eckhardts Nachfolge antritt - und jetzt deutet alles auf Sartorius -, wird ein schwieriges Erbe vorfinden. Wie Götz Friedrich, der Generalintendant der Deutschen Oper, wie Berlinale-Chef Moritz de Hadeln (auch für ihn soll nächste Woche ein Nachfolger benannt werden), wie schließlich auch der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen, gehört Ulrich Eckhardt zur Spezies des West-Berliner Dinosauriers. Diese Spezies ist nahezu unverwüstlich; man muss da an die Filmreihe "Stirb langsam 1 - ?" denken. Eckhardt hält in der Stadt mit Amtsjahren den absoluten Rekord. 27 Jahre Berliner Festspiele à la Eckhardt: Er hat sich zuletzt mit der 29 Millionen Mark schweren "Sieben Hügel"-Ausstellung ein Denkmal gesetzt. Er hat sich gewaltige Verdienste um die Kultur erworben. Doch stellt sich bei einer derart überlangen Laufzeit die Frage, wann Größe, Beharrlichkeit und Erfindungsgeist in ihr Gegenteil umkippen. Wann Strukturen verkrusten, Veränderungen blockiert werden, kurz - wann gefährlicher Leerlauf eintritt und der West-Berliner Sumpf alles nach unten zieht.

Eckhardt selbst - und das zeichnet ihn aus - hat immer wieder, auch öffentlich, über die Zukunft der Festspiele nachgedacht. Vor Jahren hatte er selbst auch einmal die Freie Volksbühne im Visier und war dann eingeknickt, zu Gunsten des ungeliebten Schiller-Theaters, das dem Land Berlin gehört; die Freie Volksbühne befindet sich in Privatbesitz. Eckhardt neigte zu pragmatischen Lösungen. Was nicht grundsätzlich falsch sein muss, aber letztlich nicht zu den notwendigen, grundlegenden Reformen führt. Daher rührt die weit verbreitete Unzufriedenheit mit dem Theatertreffen - und der Imageverlust der Festwochen. Das Bewährte hat sich erschöpft. Und Eckhardts Hoffnung, dass die Festspiele, die auch ein politischer Motor waren, nach dem Fall der Mauer, weiterhin an der Spitze der Entwicklung stehen könnten, hat sich am Ende nicht erfüllt.

Ob es sich um die 750-Jahrfeier Berlins, um den Abzug der Alliierten, um die Millenniums-Feiern drehte, die Berliner Festspiele waren immer dabei. Sie haben sich stets vom Senat einspannen lassen, sie fungierten als Festausschuss, wobei Eckhardt immer wieder betonte, dass er keineswegs ein maitre de plaisir sei, sondern intellektuelle, künstlerische Gegengewichte bilde. Sein Nachfolger wird sich um das Verhältnis zur Politik von Anfang an Gedanken machen müssen. Was will der Bund erreichen, worauf will Naumann hinaus, wenn er in Berlin den Festspiele-Apparat und ein Festspielhaus reklamiert und einen neuen Festspiele Chef ernennt? Wie soll das Verhältnis zum international ausgerichteten Hebbel-Theater aussehen, für dessen Chefin Nele Hertling ja auch schon bald ein Nachfolger gefunden werden muss? Und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem Haus der Kulturen der Welt, wo der Bund schon seit längerem strukturell das Sagen hat?

Mit der Freien Volksbühne, dem Festspielhaus, rückt West-Berlin wieder ins Zentrum der Kultur. Die Jahre der Abgrenzungen sind vorüber, und es wäre das Schlechteste nicht, wenn es gelänge, das Beste aus dem alten West-Berlin wieder zu entdecken: Weltoffenheit, Experimentierlust und die Selbstverständlichkeit des kulturellen Umgangs. An einer ähnlichen Geschichte versucht sich auch die neue Schaubühne: Schlaglichter, Erleuchtungen, Illuminationen, Irrlichter auch, das wären schöne Phänomene einer neuen Festspiel-Kultur. Die repräsentativen Leuchttürme, die schweren Staatstheater stehen ohnehin in Mitte. Die Festspiele sollen beweglich sein, einladend, offen - wie die Freie Volksbühne unter den Kastanien, neben der rauschhaften Bar jeder Vernunft.

Rüdiger Schaper

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