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Kultur: Berliner Festspiele: Erst die Hülle, dann die Fülle

Ein Traum, was sonst? Ein Theater wird wiedereröffnet, eine Wunde geschlossen: Die Freie Volksbühne kehrt in das Leben der Hauptstadt zurück.

Ein Traum, was sonst? Ein Theater wird wiedereröffnet, eine Wunde geschlossen: Die Freie Volksbühne kehrt in das Leben der Hauptstadt zurück. Und sie bekommt eine neue Aufgabe. Die Freie Volksbühne wird das Berliner Festspielhaus.

Ein dreifacher Neubeginn. Ein neues, altes Theater entkommt dem Hades der lokalen Kulturpolitik. Der Bund hat die alleinige Trägerschaft der Berliner Festspiele übernommen, und die Institution hat seit 1. Januar einen neuen Chef: Joachim Sartorius, zuletzt Generalsekretär des Goethe-Instituts in München und in den achtziger Jahren Leiter des Berliner Künstlerprogramms des DAAD.

An seinem dritten Tag im neuen Amt gehen wir über die Baustelle. Vor der Glasfassade, zwischen den hohen Kastanienbäumen, stehen Container. Im Zuschauerraum wird renoviert. Sartorius darf sich glücklich schätzen: Er ist der erste Berliner Festspielleiter, der ein eigenes Theater bespielen wird. Die Verwaltung der Festspiele ist bereits im Dezember von der Budapester in die Schaperstraße umgezogen. Wir stehen oben auf dem Rang und blicken in den Zuschauerraum, der mit seinen Sitzen, in nachgedunkeltem Ockergelb, Erinnerungen heraufbeschwört - an unvergessliche Inszenierungen von Grüber ("Faust" mit Minetti!), Zadek, Neuenfels, zu Kurt Hübners Zeit. 1992 war dieses Kapitel deutscher (Theater-)Geschichte, das dreißig Jahre zuvor mit Piscator, Hochhuth, Peter Weiss und der Berliner Mauer epochal begonnen hatte, zu Ende gegangen - in den Vereinigungswirren.

Das ist das Anziehende, Bewegende und Erregende in diesem Haus - und gewiss auch seine Hypothek: die Vergangenheit. Mit der Freien Volksbühne wird das alte West-Berlin assoziiert. Das gilt auch für die Berliner Festspiele. Sie hatten lange Zeit eine spezifische, strategische Bedeutung, die mit der Teilung Deutschlands und Berlins verbunden war. Sartorius denkt über einen neuen Namen für das Festspiel-Domizil nach. "Berliner Festspielhaus" wird es wohl heißen, doch von der "Freien Volksbühne", an der das Herz noch vieler Theaterbesucher hängt, will er auch nicht ganz lassen. Frank Castorf hat ihn ermuntert, die alte Bezeichnung zu behalten: Schließlich war auch die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, die Castorf zu der Zeit übernahm, als es mit der Freien Volksbühne im Westen vorbei war, eine historische Ruine - und heute gilt die Castorfsche Volksbühne als lebendigster Laden der Stadt.

Große Freude, große Zwänge

Als ein "Gravitationszentrum" beschreibt Sartorius sein Haus. Das Theatertreffen wird hier wieder seinen Platz finden, wie einst im Mai. Aber Sartorius will und muss die Freie Volksbühne ohne "längere Dunkelphasen" bespielen. Derzeit reicht der Festspiel-Etat für vielleicht 80 Vorstellungen pro Jahr. Der neue Intendant strebt jedoch mit rund 200 Abenden einen mehr oder weniger durchgehenden Spielbetrieb an. Aus einem ersten Gespräch mit dem designierten Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin bringt Sartorius vorsichtigen Optimismus mit. Der Nachfolger Michael Naumanns, der am Mittwoch sein Amt antritt, halte die Berliner Festspiele für eine wichtige Einrichtung des Bundes und habe mittelfristig mehr Geld in Aussicht gestellt. "Große Freude, aber auch große Zwänge", beschreibt Sartorius die Situation. Die Freie Volksbühne sei, dank Michael Naumann, ein "Geschenk der Politik", aber mit der Wiedereröffnung sei es nicht getan. Voraussichtlich ab 2002/2003 wird Sartorius mit einem um einige Millionen erhöhten Etat (derzeit 25 Millionen Mark, einschließlich der Berlinale) arbeiten können. Im Vergleich mit Salzburg und Wien wären die Berliner Festspiele auch dann noch bescheiden ausgestattet.

In diesem Jahr trägt das Festspielprogramm noch weitgehend die Handschrift von Ulrich Eckhardt, der "seine Firma" nach 28 Jahren nur schwersten Herzens abgegeben hat. Die erste Neuigkeit, die Sartorius diese Woche verkündete, betrifft das JazzFest. Es wird weiterbestehen, mit neuem Konzept. Sartorius wird jedes Jahr einen neuen Impresario berufen, ihm schwebt eine Jazz-Meile von der Freien Volksbühne über das Literaturhaus in der Fasanenstraße und das Jüdische Gemeindehaus zum Quasimodo in der Kantstraße vor. Ende dieses Jahres will Sartorius die junge Moskauer Szene präsentieren - Vorspiel eines großen Moskau-Berlin-Festivals, das die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts beleuchten soll. Der neue Intendant hält das Thema Polen für ein vorrangiges Projekt. Ulrich Eckhardt hat, trotz seiner preußischen Gründlichkeit, das Nachbarland vernachlässigt.

Komm in den totgesagten Garten

Im April will Sartorius seine Mitarbeiter vorstellen: den Nachfolger von Torsten Maß und Francesca Spinazzi für den Bereich Theater und Tanz und einen neuen Verantwortlichen für Musik (bisher Dirk Nabering). Neue Stellen werden für "Grenzüberschreitendes, Formen Sprengendes" zwischen Video, Literatur und Performance und für Marketing geschaffen. Ende April, unmittelbar vor dem Theatertreffen, wird die Freie Volksbühne mit einem großen Fest offiziell wiedereröffnet. Das Theatertreffen, immer wieder in der Diskussion, bleibt Berlin erhalten. Sartorius plant, die Besetzung und den Berufungsmodus der Jury - ein ewiges Streitthema - zu reformieren. Aber wie?

Und kann man Berliner Festspiele, bei wachsendem nationalen und internationalen Wettbewerb, neu erfinden? Wer Sartorius kennt, mag sich ausmalen, dass das Festspiel-Programm der Zukunft in bestimmten Bereichen stärker intellektualisiert wird; dies gilt gewiss für die Literatur, aber auch für die Bildende Kunst. Er will auch den Tanz wieder auf die große Bühne bringen, träumt von wochenlangen Werkschauen - Pina Bausch, William Forsythe. Anderswo eine Selbstverständlichkeit, nur nicht in Berlin. Sartorius, auch so viel ist erkennbar in diesen ersten Tagen, wird das Naheliegende - wie oft gingen große Namen, große Werke an Berlin vorbei - mit dem Neuen, Unbekannten verbinden. Nele Hertlings Hebbel-Theater wird hier große Konkurrenz erwachsen. Die Szene gerät wieder in Bewegung.

Etwas unterscheidet Joachim Sartorius grundsätzlich von Ulrich Eckhardt. Es ist eine Mentalitäts- und Temperamentsfrage, vielleicht sogar eine Glaubensfrage. "Kultur kommt von Feiern", davon ist Sartorius überzeugt. Er will Feste feiern in seinem Theater, im Garten der Freien Volksbühne. Er sucht den Auftrieb, den Rummel, die Begegnung. All das war Eckhardts Sache nicht. Sein Kulturbegriff war von Strenge geprägt und einer manchmal asketischen Dramaturgie. Eine der letzten Taten des Theaters der Freien Volksbühne war August Strindbergs "Rausch". Na bitte. Bloß nicht den Namen des Theaters ändern, meint Volksbühnen-Chef Frank Castorf und ruft herüber aus dem Osten: "Frei ist doch ein wunderbares Wort!" Fest-Spiele auch. - Im Traumhaus.

Rüdiger Schaper

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