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Kultur: Berliner Festwochen: Tagebuch: Philharmonie und Konzerthaus

Eines der komplexesten Zwölftonwerke ist das Violinkonzert, das Arnold Schönberg 1936 in Amerika schrieb. Lässt sich das, mit allen Schmerzen der Entwurzelung und Sprachlosigkeit, aus so abstrakt konstruierter Musik heraushören?

Eines der komplexesten Zwölftonwerke ist das Violinkonzert, das Arnold Schönberg 1936 in Amerika schrieb. Lässt sich das, mit allen Schmerzen der Entwurzelung und Sprachlosigkeit, aus so abstrakt konstruierter Musik heraushören? "Streng ist uns das Glück und spröde" heißt es in Schönbergs frühen George-Liedern, und in Christian Tetzlaffs Interpretation vermittelt sich dieses Glück, geraten wir in den Bann eines immer beredteren, aus strengen, rhythmisch zerklüfteten Strukturen zu uns sprechenden Klanges. Schon in den ersten Tönen liegt ein schmerzliches Aufseufzen, der Beginn einer höchst ereignisreichen Erzählung, welche ebenso die zarten Erinnerungen vergessener Ländlerrhythmen streift wie mit großer, in harten Trommelschlägen zerbrechender Gebärde das Grauen der Gegenwart beschwört. Mit dem Orchester der Deutschen Oper geht Christian Thielemann das hochdramatisch an und verfällt doch weder der Gefahr des bloßen Gefühls- noch des Farbenrauschs - in vorbildlicher Balance lässt er den Solisten zu Wort kommen, arbeitet im Dialog mit ihm die tragenden Motive in seltener Prägnanz und "Fasslichkeit" heraus. "Meine Melodien wird einmal der Briefträger nachpfeifen" - in solchen Interpretationen muss dieses Wort Anton Weberns kein Wunschtraum bleiben. Riesenbeifall in der Philharmonie.

Von Schönbergs früher Sinfonischer Dichtung "Pelleas und Melisande", 1901 entstanden, mag man sich den einfacheren Zugang versprechen. Thielemann fährt denn auch viel Orchesterglanz auf, entfaltet in breiten Tempi und rotgolden glühenden Farben die Details dieses Drama von Liebe und Tod. Doch verstärkt sich damit eher ein "Richard-Strauss-Flair", das im Violinkonzert gerade den "Jahrhundertklang" so ergreifend heraufbeschwor.

Zugegeben, anderthalb Stunden Max Reger sind schon starker Tobak, zumal wenn Christian Tetzlaff in der Philharmonie lockt. Dennoch fragte man sich angesichts des ausgefallenen Programms, warum die Berliner Reger-Gemeinde das Konzerthaus nur zur Hälfte zu füllen vermochte. Der Rundfunkchor Berlin jedenfalls zeigte sich unter der Leitung von Robin Gritton in glänzender Form, legte Klangweite und differenzierter Dynamik an den Tag. Weniger romantisch als frühere Werke zeigen die drei Motetten von 19xx deutlich den Einfluss Bachs, nicht zuletzt in den Fugen, die in ihrer polyphonen Komplexität wie chorale Orgelkompositionen wirken. Auch die Melodik steht hier stets im Dienste des Kontrapunkts. Das versöhnliche "Nachtlied" schließlich verschafft den strapazierten Ohren etwas Erleichterung.

Zwischen den Chorwerken verwandelte Arvid Gast mit zwei Orgelkompositionen Regers das schrecklich-schöne Ambiente des Konzertsaals in eine surreale Kirche und schien besonders mit der d-moll Sonate sämtliche kitschigen Ornamente wegpusten zu wollen: Schroffe Klangblöcke im Wechsel mit symphonisch-lyrischen Episoden und choralartigen Ruhepunkten. Das dreisatzige Werk ist zweifellos der Höhepunkt des Abends, auch wenn die abschließende Fuge durch ihre Scherzo-Einschübe fast ins Absurde driftet - sozusagen aus den Fugen gerät. Zur Versöhnung lässt Gast die zweite "Choralfantasie für Orgel" erklingen.

I.H., hag

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