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Alles in Bewegung. Raphaela Vogels Videoskulptur ist in der Berlinischen Galerie zu sehen.

© Raphaela Vogel

Berliner Filmkunst-Reihe feiert Jubiläum: Künstlerfilme zur Geisterstunde

Jeden ersten Freitag des Monats gibt es im Babylon Künstlerfilme zu sehen: „Videoart at Midnight“ feiert zehnjähriges Jubiläum mit drei Ausstellungen.

In mancher Nacht drängten sich auf dem roten Teppich vor dem Kino Babylon so viele Besucher, dass sie später gar nicht in den Kinosaal passten. Dann lief die Vorstellung um drei Uhr morgens noch mal. Seit zehn Jahren werden im Kino Babylon jeden ersten Freitag im Monat Künstlerfilme gezeigt, und zwar zur Geisterstunde, wenn andere schlafen gehen.

„Videoart at Midnight“, gerne besucht von einer internationalen Künstlerschar, wurde 2008 von Kurator Olaf Stüber und dem Kunstsammler Ivo Wessel ins Leben gerufen. 99 Künstler haben die beiden seitdem eingeladen, ihre eigentlich für den Ausstellungsbetrieb produzierten Videos auf der großen Kinoleinwand zu zeigen. Der hundertste Gast wird im Rahmen des großen Festivals zum 10-jährigen Jubiläum der britische Medienkünstler Ed Atkins sein. Mit dabei waren außerdem Stars wie der Turner-Preisträger Wolfgang Tillmans, die einflußreiche Berliner Videofilmerin Hito Steyerl, der französische Filmemacher Philippe Parreno sowie zahlreiche Newcomer der Szene, die meisten in Berlin lebend.

„Video ist ein absolut wichtiges Medium für Künstler. Aufführungsmöglichkeiten gibt es in Berlin immer noch zu wenig“, sagt Stüber, der früher Videokunst in der eigenen Galerie zeigte. Oft fehlen die nötige Ruhe oder die Dunkelheit, um Videoarbeiten adäquat zu präsentieren. Besucher von Galerien und Museen nehmen nicht selten nur kurze Ausschnitte der gezeigten Arbeiten wahr. „Ganz anders im Kino, wo alle zusammen vor der Leinwand sitzen“, so Stüber.

Reflektion über Zeit in einer technoiden Welt

Zum Jubiläum feiern er und Wessel die Videokunst in all ihren Facetten. Und viele machen mit: geplant ist ein Symposium im Hamburger Bahnhof, Screenings im Babylon, eine Lecture im Kunstverein n.b.k.. Dazu kommen Ausstellungen an drei verschiedenen Orten, die auch installative Arbeiten aufnehmen können. So ist in der Berlinischen Galerie eine Videoskulptur von Raphaela Vogel zu sehen.

Vogel, 1988 geboren, macht jüngst mit kühnen Video-Inszenierungen auf sich aufmerksam. Kürzlich hatte sie eine Einzelausstellung in der Kunsthalle Basel. Demnächst folgt eine weitere im Haus der Kunst in München. In ihren Werken kreist Vogel um sich selbst und bringt ihren weiblichen Körper mit Ready- Made-Objekten und männlich konnotierter Technik zusammen. Vogel filmt sich selbst mit Actioncams und Drohnen. Oft inszeniert sie sich als Schamanin oder Hexe, die ritualhafte Aktionen ausführt, den Szenen wird mit temporeichen Schnitten eingeheizt.

In mancher Hinsicht bildet ihr neuer Film „Son of a witch“ eine Ausnahme. Er ist eine Reflektion über Zeit in einer technoiden Welt. Und er lässt sich Zeit. Man betritt den Videoraum durch einen verschnörkelten Torbogen, ein Remake aus einem China-Restaurant. Im Kontrast dazu steht ein massives Zeltgestänge, das im Innenraum aufgebaut ist. Dessen Pfeiler ruhen auf hölzernen Buddha-Händen. Auf solche Kombinationen muss man sich bei Vogel einstellen. Unerklärbares und Spirituelles wird bei ihr mit neutraler Technik kombiniert.

Staatlich verordnete Unproduktivität

Vogels Film, auf eine große Leinwand projiziert, zeigt die Künstlerin in einem runden Bett liegend. Ihre Kamera ist an einem Stab befestigt, der wie eine Poledance-Stange aus dem Bett emporragt. Alles kreist, die Stange, die Kamera, die Künstlerin. Scheinbar ist sie es, die am Rad der Zeit dreht. Oder wird sie gedreht? Ihr sei es darum gegangen, im Video eine Atmosphäre der Unproduktivität zu erzeugen, sagt Vogel. Die menschliche Nutzlosigkeit und die allzeit einsatzbereite digitale Technik ergeben tatsächlich eine beunruhigende Kombination.

Von staatlich verordneter Unproduktivität – und dem Widerstand dagegen – erzählt der Film „Wir wären so gerne Helden gewesen“ der Fotografin Barbara Metselaar Berthold. Kurator Olaf Stüber zeigt im Rahmen des Jubiläumsfestivals in der Galerie Pankow jeden Tag sechs Filme der Berliner Künstlerin Metselaar Berthold. Englisch untertitelt sind sie allesamt – so will Stüber auch sein internationales Publikum nach Pankow locken, auf dass es sich auf Videokunst ganz anderer Art einlasse. Metselaar reflektiert in ihren Filmen die Wendezeit. Junge Leute verließen in den 1980er Jahren in Scharen die DDR. Metselaar selbst flüchtet 1984, indem sie „rausheiratet“. Kurz vor ihrer Ausreise fotografiert sie noch einmal ihre Freunde.

Freiheit vor und nach dem Mauerfall

Nach dem die Mauer gefallen ist, sucht sie die alten Gefährten erneut auf, befragt sie nach Zukunft und Vergangenheit. War es gut, dass sie damals in der DDR geblieben sind? Was bedeutet Freiheit, damals und jetzt? Die Galerie zeigt ihre Zwei-Stunden-Dokumentation „Wir wären so gerne Helden gewesen“, dazu wechselnde Kurzfilme und den 45-Minüter „Staatsbeben“, in dem Zeitzeugen wie der Dramatiker Heiner Müller, die Künstler A.R. Penck und Hans Scheib oder der Literat und Stasi-Spitzel Sascha Anderson diskutieren, ob man sich als Künstler im vereinten Deutschland noch treu bleiben kann. Metselaar hat damals, mit Bewusstsein für den historischen Moment, einfach drauflosgefilmt, wackelig aus der Hand, mit kaum verständlichem Ton. Auch das ist ein Kontrast zur HD-Qualität, die heute bei vielen Künstlern zum Standardprogramm gehört.

Obwohl: Auch Vogels Drohne wackelt und der Selfiestick schwankt. Vielleicht fühlen sich die heute 30-Jährigen sogar ähnlich verwirrt wie die Wendegeneration. Nur während sich die Äteren gemeinsam die Köpfe heiß redeten, sind die Jüngeren mit der Technik allein.

Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124-128, bis 11.3. / Galerie Pankow, Breite Str. 8, bis 13.1. / Kunst-Werke, Auguststr. 69, bis 16.12.. Weitere Infos: videoart-at-midnight.de/festival-18

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