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Kultur: Berliner Galerien: Auguststraße ade

Neulich im Hof des Galeriekomplexes Zimmerstraße 90: Auf der Party anlässlich des gerade beginnenden Kunstherbstes fragt jemand in der Schlange vor dem Buffet, ob ich wüsste, wer die Party gibt. "Irgendwelche Galerien", antworte ich.

Neulich im Hof des Galeriekomplexes Zimmerstraße 90: Auf der Party anlässlich des gerade beginnenden Kunstherbstes fragt jemand in der Schlange vor dem Buffet, ob ich wüsste, wer die Party gibt. "Irgendwelche Galerien", antworte ich. Unklar blieb allerdings, um welche es sich handelte. Die Unpersönlichkeit traf nicht nur auf die Party zu. Die Anonymität war nur ein Symptom der Coolness, die neuerdings in vielen Berliner Galerien eingekehrt ist. Vorbei das gemütliche Vorbeischau-Flair, das der Auguststraße eigen war. Und das ist gut so. Schließlich sind Galeristen zunächst einmal Geschäftsleute und nicht Nachbarn.

Der positive Effekt der Umzugswelle besteht darin, dass zwei neue Kunstzentren positioniert wurden, die Zimmerstraße, in die zuletzt Matthias Arndt in 360 Quadratmeter große neue Galerieräume zog, und die S-Bahn-Bögen an der Jannowitzbrücke, in der morgen die Galerie gebauer carlier in noch unrenovierten Räumen die erste Ausstellung eröffnet. Zahlreiche Galerien haben durch ihre Umzüge bessere Ausstellungsmöglichkeiten erhalten. Auch wenn man über die architektonische Qualität des Galerienhauses in der Zimmerstraße streiten mag, der viele ein behördenmäßiges Aussehen bescheinigen, so hat die Kunststadt Berlin mit den S-Bahn-Bögen an der Spree eine attraktive Adresse hinzugewonnen.

Auf der anderen Seite sind zwei Dinge zu befürchten: eine Zersplitterung der Szene, die dadurch nicht nur an Charme, sondern auch an Durchschlagskraft verlieren könnte. Außerdem droht eine neu entstehende Zwei-Klassen-Galerie-Gesellschaft: Zeichnete sich die Auguststraße und ihre Umgebung noch durch ein olympisches Wir-sind-alle-dabei-Gefühl aus sind jetzt nicht mehr alle dabei. Berlins Galerien unterscheiden sich fortan in die Galerien, die das Zeug zum umziehen haben und die, die dableiben müssen.

Dabei ist die Zeit noch nicht lange her, in der jeder Galerist sich nichts sehnlicher wünschte als einen Platz an der Sonne der Auguststraße. Die zum Galerienviertel aufgemotzte Rosenthaler Vorstadt wurde zum Aushängeschild zahlreicher neuer Berliner Galerien, die ihre erträumte Bleibe auf Ewigkeit gefunden zu haben schienen. Doch als die Mieten sich vervielfacht hatten und die Zahl der Touristen die der Galeriebesucher überrundete, häuften sich Anzeichen für einen Exodus.

Die treibende Idee für die Umzüge war der Wunsch vieler Galerien, sich endlich aus dem Getümmel zurückziehen zu können. Man hatte genug von der Kuschelecke Auguststraße, die bereits in aller kosmopolitischen Heimeligkeit "Village" getauft worden war. Nach der Devise, wo ein Village ist, droht auch die Landflucht, tauschte man die benebelnde Gemütlichkeit gegen das harte Business-Flair der Zimmerstraße. In unmittelbarer Nachbarschaft von Friedrichstraße und Checkpoint Charlie sind hier zwar kaum weniger Touristen zu erwarten. Dafür hofft man auf um so mehr Geschäftskunden, die in dem Viertel ohnehin Handel treiben.

Merkwürdigerweise sind die Galerien damit genau das geworden, was sie eigentlich vermeiden wollten: Geschäfte wie andere auch, in denen man Geschäfte macht wie andere auch. Indem sie sich von ihrem jahrelangen Heimatboden trennten, sind Berlins neue Galerien in dieser Saison Teil einer Bewegung geworden, die nichts anderes ist als die Bewegung des Handels und des Geldes selbst. Ihre neue Anonymität ist so angenehm wie das Rascheln von Geldscheinen. Und nur die sind, nach Andy Warhol, wirklich schön.

Knut Ebeling

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