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Berliner Häuser (1): Günter und die Puddingbomber

Häuser bergen Geschichten, vom Leben ihrer Bewohner, vom Kiez, von der Stadt. In unserer neuen Serie suchen wir Berliner Häuser auf und sehen, was sie zu erzählen haben. In der Niedstraße 14 findet sich die klassische Friedenauer Mischung aus Esprit und Entspanntheit.

Friedenau war gut für Spaziergänge, die kleinen Straßen mit den alten Landhäusern, den bürgerlichen Mietbauten, den fülligen Bäumen. Niedstraße, Schmargendorfer Straße. Und die Blütenwolken der Kastanien, dicht an der Handjery ...“ In den „Jahrestagen“ hat Uwe Johnson jener Gegend ein Denkmal gesetzt, die ab 1959 neun Jahre lang sein Zuhause war. Enttäuscht hatte der Romancier die DDR verlassen, gen Westen, der Gedankenfreiheit wegen, in jenes Dachatelier, das der „Brücke“-Maler Karl Schmidt-Rottluff von 1911 bis zur Machtübernahme der Nazis genutzt hatte. Hier saß Johnson nun – wenn er nicht aus dem Fenster über die Baumkronen blickte – vor einem TV-Gerät, das ihm der Tagesspiegel ausgeliehen hatte, um Sendungen im Ost-Fernsehen zu schauen und anschließend für die Zeitung zu rezensieren.

Als Johnson 1968 nach New York reist, überlässt er die bescheidene Bleibe Ulrich Enzensberger, dem jüngeren Bruder seines Schriftstellerfreundes Hans Magnus. Ulrich allerdings eröffnet hier umgehend eine Filiale der „Kommune 1“ – was wiederum den Verfassungsschutz auf den Plan ruft. Als Johnson in der „New York Times“ von der Puddingbomben-Attacke auf den US-Vizepräsidenten Humphrey liest, das in der Niedstraße geplant worden sei, ruft er seinen Nachbarn an: Günter Grass, der seit 1963 die Hausnummer 13 bewohnt, eskortiert höchstpersönlich die Hausbesetzer aufs Trottoir – wo natürlich schon die sensationsgierigen Boulevardreporter warten.

Seitdem ist es ruhiger geworden in dem Gründerzeitbau mit den Eichlaub- Stuckgirlanden. Sieht man einmal davon ab, dass Uwe Johnsons kettenrauchende Schwester, die Nachmieterin im Dachatelier, einmal fast die ganze Bude abgefackelt hätte. Sie war mit einer Zigarette im Mund eingeschlafen. Darum sträubte sich die Eigentümerin später dagegen, als Grass eine Gedenkplakette für Uwe Johnson an der Fassade anbringen lassen wollte. Erst ihre Tochter gestattet 2002 – nach dem Tod der alten Dame – die Befestigung jener schlichten Plexiglas-Tafel, die heute an den Schriftsteller wie auch an den „Brücke“-Maler erinnert. Und die damit die Niedstraße 14 als ein typisches Wohnhaus im viel besungenen Künstlerviertel Friedenau auszeichnet.

Hier haben sogar die Graffiti-Kritzler Abitur

Max Frisch und Ernst Ludwig Kirchner, Hans Christoph Buch und Christoph Meckel, Lilo Fromm und Wilhelm Lehmbruck, Erich Kästner, Hannah Höch, Max Bruch – und natürlich Herta Müller – repräsentieren den Geist der Gegend. Hier haben sogar die Graffiti-Kritzler Abitur: Wenn am S-Bahnhof Friedenau der Fahrkartenautomat beschmiert wird, dann mit einem Gedicht von Bertolt Brecht.

Dabei hatten die Gründerväter dieser Südwestberliner Vorstadtsiedlung 1871 eigentlich eine ganz andere Klientel im Sinn: Beamte, wohlhabende Handwerker und Studienräte nämlich, die sich hier ihren Traum vom Landhausleben erfüllen wollten. Die gibt es selbstverständlich auch heute, sie stellen wahrscheinlich sogar die unsichtbare Mehrheit. In die Presse aber kommen die Künstler. Dem Spaziergänger fallen die unzähligen Praxisschilder der Kinderpsychologen, Heilpraktiker und Physiotherapeuten auf.

Die Wohnstraßen sind in Friedenau nicht breiter als in der Innenstadt, nur der Platz wird anders verteilt. Knapp bemessen ist der Raum für die Fahrbahn, dann folgen bequeme breite Bürgersteige – und jedes Haus hat seinen repräsentativen Vorgarten. Auch in der Niedstraße 14 grünt und blüht es prächtig vor dem vierstöckigen Gebäude, dessen beigefarbene Fassade mit dem weiß abgesetzten Stuck, dem Fachwerk-Dekor im obersten Stock und den reich verzierten Balkongittern jeder Makler als Jugendstil anpreisen würde, ohne mit der Wimper zu zucken.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie die meisten Häuser in der Gegend ohne Mitwirken eines Architekten gebaut wurden.

Dabei handelt es sich um Zuckerbäcker-Wilhelminismus, schnöde, von keinerlei Kunstwillen inspirierte Investorenarchitektur der Jahrhundertwende. Findet zumindest Stefan Zappe. Der Mieter aus dem zweiten Stock muss es wissen, er ist selber Architekt. Und wenn man genau hinsieht, merkt man, wie sehr hier alles darauf angelegt ist, oberflächlich Eindruck zu schinden. Sicher, weißer Marmor bedeckt Boden und Wände im Entree, doch sofort dahinter verengt sich das Treppenhaus zum schmalen Schlauch – nur keinen vermietbaren Zentimeter verschenken! Innen finden sich edle Messingbeschläge an den Türen. Aber nur in den Repräsentationsräumen. Hinten müssen einfache Griffe genügen. Parkett ziert Salon und Herrenzimmer, die hinteren Räume mit Blick nach draußen haben nur Dielen.

Dass die Parzellen in Friedenau gar nicht für Mietshäuser gedacht waren, sondern für ländliche Villen, erweist sich heute als Segen. Weil auf den Grundstücken für die üblichen Berliner Hinterhäuser einfach kein Platz mehr war, laufen die Seitenflügel fast überall in offene Rasenflächen aus, wo Kinder unter alten Birnbäumen buddeln und die Eltern ihren Grill aufstellen können.

Den Stuck bestellte man sich aus dem Katalog

„Die allermeisten Häuser hier in der Gegend wurden ohne die Mitwirkung eines Architekten erbaut, von Handwerkern oder Unternehmern, die zu Geld gekommen waren, und dieses nun in einem Renditeobjekt zur Alterssicherung anlegen wollten“, erklärt Zappe. Den Stuck bestellte man sich aus dem Katalog, immer schön quer durch alle Kunstepochen. Grundriss und Ausstattung wurden allein davon bestimmt, welche gesellschaftlichen Ansprüche die avisierte Klientel zu erfüllen hatte. Darum sind die Vorzeige- räume prächtig, die Bäder winzig und die Küchen im Seitenflügel versteckt. Darum gibt es allerdings auch in jeder Wohnung eine Mädchenkammer, die sich perfekt zum begehbaren Schrank umfunktionieren lässt. Dass neben dem herrschaftlichen Aufgang auf der Hofseite noch ein Gesinde-Treppenhaus existiert, führte in der Wohnungsnot der Nachkriegszeit dazu, dass der jeweils hintere Teil der 175-Quadratmeter-Zimmerfluchten abgetrennt und als separate Mini-Wohnung mit Podest-Toilette vermietet wurde.

Auch in der Niedstraße gibt es noch die geteilten Einheiten. Doch die Leute, die neu herziehen, suchen meist gezielt nach großen Wohnungen, in denen sie auch arbeiten können. So wie die Webdesignerin und der Fotograf vom Hochparterre. Sie installierten eine Kochzeile im Berliner Zimmer und schufen so Platz für ein großes Bad in der ehemaligen Küche. Die Kacheln mit dem Sinnspruch „Sich regen bringt Segen“ wollten sie beim Umbau natürlich erhalten, wie sie auch den Deckenstuck in mühevoller Arbeit von zahllosen Farbschichten befreiten. Weil sie die Patina des Jahrhundertwendebaus ebenso schätzen wie die übrigen Bewohner.

Die Wohnungen tauchen fast nie im Immobilienteil auf

Nach Friedenau zieht man, wenn die Kinder klein sind – und bleibt dann für den Rest des Lebens. Und wenn tatsächlich mal eine Wohnung frei wird, taucht sie fast nie im Immobilienteil auf. Die Webdesignerin und der Fotograf haben vor sieben Jahren die Hauseingänge und Laternen mit Zetteln beklebt, auf denen ihre nackten Oberkörper in einem Goldrahmen prangten. „Wir sind ausgezogen, um hier einzuziehen“ war darunter zu lesen. Zehn Anrufer meldeten sich – einer aus der Niedstraße 14.

Es sind nette Menschen, die man hier trifft, Leute, mit denen man gerne auf dem Südbalkon oder im Garten sitzen bleiben würde, um plaudernd eine Flasche Wein zu leeren, Akademiker, Kreative, die es nicht für unberlinerisch halten, wenn es draußen auf der Straße ruhig und drinnen bequem ist.

Der definitiv coolste Bewohner der Niedstraße 14 allerdings ist Peter Schlangenbader, der seit 1981 seine Malerhöhle im Souterrain hat. Getönte Brille, Goldring im Ohr, ein Multitalent, er dichtet auch und macht harte Rockmusik. Als „zeitgenössischer Expressionist“ fühlt er sich in der Tradition von Karl SchmidtRottluff. In drei Räumen lagert sein Lebenswerk, Gesichter, Akte, Figuren, mit kraftvollem, schnellem Strich gemalt, in starken Farben und vielen Schichten. Die Kellerlage stört ihn nicht, sagt Schlangenbader. Wenn es ihn packt, wenn er mit sich selber seine Schlachten an der Leinwand austrägt, reicht das Licht der Neonröhren, reicht im Winter auch die Abwärme von den Heizungsrohren, die unter der Decke verlaufen: „Wenn ich hier bin, bin ich sowieso ständig in Bewegung.“ Seine Wohnung hat der überzeugte Friedenauer gleich um die Ecke.

Solange er einen Pinsel halten kann, will er hier unten weitermachen. So lange wird auch das, was den bürgerlichen Schöneberger Südzipfel so attraktiv macht, für die Niedstraße 14 gelten: „Zuerst Kultur“. So steht es auf dem Klingelschild.

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