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Gesellige Gesellen. Im 1805 erbauten Haus von Gottfried Schadow wurde nicht nur gewohnt, sondern auch gearbeitet. Erdgeschoss und Souterrain dienten einst der Familie, das erste Obergeschoss wurde vermietet.

© Kai-Uwe Heinrich

Berliner Häuser (4): Die Poesie der Preußen

Wo der Schöpfer der Quadriga wohnte. Die Schadowstraße 10-11 in Mitte. Seit der Wende wird gestritten, wie Berlins letztes klassizistisches Künstlerhaus am sinnvollsten genutzt werden soll.

Dass selbst Dinge, die jahrzehntelang zerredet worden sind, ein Erfolg werden können, beweist die Max-Liebermann-Villa am Großen Wannsee. Was gab es für Querelen mit dem Bezirksamt und dem ansässigen Wassersportverein, und nun, einmal eröffnet, läuft der Laden. Liebermann lebt: Bilderhungrige und Kaffeedurstige bevölkern Garten und Inneres, und das nicht nur am Wochenende.

So ähnlich könnte es auch mit dem Schadow-Haus in Mitte gehen. Auch hier wird praktisch seit der Wende gestritten, wie Berlins letztes klassizistisches Künstlerhaus am sinnvollsten genutzt werden soll, auch hier gibt es einen rührigen Verein, die Schadow Gesellschaft Berlin, die das Andenken des Hofbildhauers und Akademiepräsidenten Johann Gottfried Schadow am authentischen Ort gepflegt wissen will. Und inzwischen steht auch das Haus mit frisch restaurierter, aprikosenfarbener Fassade da und scheint nur darauf zu warten, dass die Straße davor endlich wieder asphaltiert wird und sich seine Tore für Besucher öffnen.

Wie öffentlich diese Öffentlichkeit tatsächlich sein wird, ist noch nicht ganz klar: Seit 1997 gehört das Haus der Verwaltung des Deutschen Bundestags, die es in den letzten Jahren denkmalgerecht sanieren ließ und als Bürogebäude nutzen möchte. Die Verwaltung der Kunstsammlung des Bundestags, so ist zu hören, soll hier einziehen. Irgendwann im Herbst wird auch die Schadow Gesellschaft zwei Räume im Seitenflügel als Vereinslokal übernehmen. Das hätte dem Vereinsmenschen Schadow sicher gefallen.

Einen „Hang zum Splendiden“ hat sich der Künstler mit Blick auf sein Haus, das damals noch Fassadenschmuck aus Marmor besaß, einst selbst bescheinigt. Ein Urteil, das nur aus dem sparsamen Geist der Zeit um 1800 heraus verständlich wird. Im Zeitalter des Fachwerkbaus, den der Architekturhistoriker Goerd Peschken jüngst als Architektur der Beherrschten charakterisierte, waren Bürgerhäuser in dieser Solidität und Größe eine Seltenheit. Jeder Berlinbesucher bestaunte sie. Heute wirkt das Schadow-Haus in der Schadowstraße 10–11 (bis 1836: Kleine Wallstraße) angesichts der nahen russischen Botschaft Unter den Linden oder der nach 1990 errichteten Investorenklötze in der Friedrichstraße ausgesprochen bescheiden.

Erbaut wurde das Wohn- und Atelierhaus des Schöpfers der Quadriga auf dem nahen Brandenburger Tor 1805, nur ein Jahr vor der preußischen Katastrophe von Jena und Auerstedt. Das Geld fürs Grundstück kam von Schadows jüdisch erzogener Frau Anna Augustine, einer Tochter des Wiener Juwelenhändlers Samuel Devidels, das Baugeld steuerte Preußens König Friedrich Wilhelm III. bei. Der Entwurf folgt, wie neue Archivforschungen ergaben, einem Muster der preußischen Bauverwaltung, der ganz ähnlich auch in Potsdam ausgeführt worden ist (Monika Peschken-Eilsberger: „Das Schadow Haus und seine Bewohner 1805–2008“, Berlin 2009). Damals preußische Baukunst von der Stange, heute eine Seltenheit.

Zum Unikat wird das Haus jedoch durch seinen Hausherrn, Berlins ersten klassizistischen Großkünstler. Schadow hatte das Glück, 1764 in eine Zeit des Umbruchs, der Aufklärung und Antikenbegeisterung hineingeboren worden zu sein – und er wurde alt genug, um das Berlin der Biedermeierzeit als lebende kulturhistorische Legende zu bereichern. Sein Ruhm sei in Rauch aufgegangen, lautet das berühmte Aperçu, mit dem Schadow die für ihn bittere Tatsache kommentierte, dass nach 1815 Jüngere wie sein Schüler Christian Daniel Rauch die großen Aufträge erhielten.

Im Schadow-Haus wurde – wie in fast allen gutbürgerlichen Häusern der Zeit – nicht nur gewohnt, sondern auch gearbeitet. Souterrain und Erdgeschoss dienten der Familie, das erste Obergeschoss (ein weiteres gab es damals noch nicht) wurde vermietet, in den Hofgebäuden befanden sich die Werkstatträume, zu denen auch eine Schmiede und die Gießerei gehörten. Berühmt war einst der Garten, gewissermaßen der gesellige Mittelpunkt des Hauses. Schadow führte ein legendär gastliches Haus, auch seine Schüler wohnten dort. Der zentrale Raum des Hauses war das Speisezimmer, eines der ersten „Berliner Zimmer“, dessen Decke in der Art einer Weinlaube bemalt gewesen ist. Als König Friedrich Wilhelm IV. Schadow 1848 einen Orden überbrachte und sich nach dem berühmten Interieur erkundigte, erhielt er die patzige Antwort: „weiß übermalt, war den Frauenstücken zu schmutzig geworden.“ Jüngst haben Restauratoren Reste dieser Bemalung freigelegt.

Als künstlerisches Programm und Werbung in eigener Sache modellierte Schadow zwei Reliefs, die als Supraporten an der Fassade angebracht wurden. Figurenreich erzählen sie die Geschichte der Bildhauerei von der Antike bis zur Renaissance. Schadow hatte sich von den gelehrten Archäologen Alois Hirt und Conrad Levezow beraten lassen, ein Fehler, fiel ihre Aussage doch allzu komplex aus. Die Berliner „gaffen (…), denn sie werden nicht klug daraus“, schrieb Schadow belustigt an einen Freund.

Derzeit besteht leider kein Grund zum Gaffen: Anstelle der beiden Schmucktafeln, die noch restauriert werden, klaffen in der Wand hässliche Löcher. Lediglich das mittlere Fassadenrelief, posthum angebracht, ist derzeit zu bewundern. Kritisch blickt Meister Schadow, von Genien der Bildhauerkunst und Gelehrsamkeit umgeben, über die wenigen Passanten hinweg.

Doch der eigentliche Grund, warum das Schadow-Haus künftig zumindest in ein paar Räumen eine kleine Künstlergedenkstätte beherbergen sollte, befindet sich im zweiten Obergeschoss. Felix, Schadows Sohn aus zweiter Ehe, ließ es 1851 aufsetzen. 1857 malte im dortigen Gartensalon Eduard Bendemann, der mit Schadows Tochter Lida verheiratet war, ein großes allegorisches Wandgemälde: „Die Künste am Brunnen der Poesie“. Das Bild, gut erhalten und restauriert, steckt voller Anspielungen. Einige der Figuren tragen die Züge von Mitgliedern der weitverzweigten Schadow-Familie. Berliner Bürger- und Kulturgeschichte, in der Nussschale eines Raumes vereinigt.

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