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Koloss der Geschichte. Nur aus der Luft sind die Ausmaße des früheren Göring- Baus und heutigen Finanzministeriums zu erfassen. Links an der Niederkirchnerstraße verlief die Mauer, oben angrenzend das Abgeordnetenhaus, rechts oben an der Leipziger Straße folgt der Bundesrat, im kleinen Mittelflügel zum Garten amtiert Wolfgang Schäuble. Foto: euroluftbild.de / Grahn

© euroluftbild.de / Grahn

Berliner Häuser (7): Alte Gespenster, neuer Geist

Wilhelmstraße: Wo Hermann Göring einst residierte, wo die DDR gegründet und die Mauer geleugnet wurde, sitzt jetzt der Finanzminister. Teil sieben unserer Serie über Berliner Häuser.

Der Erbauer des Hauses wollte einst „Meier“ heißen, wenn je ein feindliches Flugzeug Deutschlands Luftraum erreichen sollte. So hatte der großspurige Reichsmarschall Hermann Göring zu Beginn des Zweiten Weltkriegs getönt. Eines Krieges, den er in seinem Reichsluftfahrtministerium an der Berliner Wilhelmstraße ab 1936 zusammen mit seinem Nachbarn und Anführer Adolf Hitler wesentlich vorbereitet hatte.

Es ist eine der Schwerbegreiflichkeiten, ja: eine fast unheimliche Pointe der Geschichte, dass dieses Riesenhaus überhaupt noch existiert. Hermann Göring, Jagdflieger des Ersten Weltkriegs, hatte als Minister und Oberbefehlshaber von Hitlers Luftwaffe bereits im Spanischen Bürgerkrieg mit der deutschen „Legion Condor“ den künftigen Luftkrieg geprobt und nicht nur die Stadt Guernica 1937 bombardieren lassen, mit zigtausend zivilen Opfern. Picassos Wandgemälde hat diesen Schrecken und Zivilisationsbruch für immer festgehalten. Später überzog Göring auch Rotterdam oder das englische Coventry mit den Bomben, die später auf die Urheber des Luftkrieges vieltausendfach zurückfallen sollten.

Doch während die alliierten Flieger die Berliner Innenstadt ab 1943/44 mehr und mehr in Schutthalden verwandelten und die Artillerie der Roten Armee beim Vormarsch auf das Regierungsviertel rund um die Wilhelmstraße den Rest besorgte, blieb inmitten des Infernos ausgerechnet Görings monströses Ministerium, Berlins größte Gebäudemasse nach dem Flughafen Tempelhof, fast unzerstört. Blieb ein Ort der deutschen Geschichte, wo Krieg und, was weniger bekannt ist, auch die Ermordung der Juden geplant wurde. Ein Ort, an dem dann eine weitere Diktatur unter dem Namen Deutsche Demokratische Republik gegründet wurde, wo Walter Ulbricht kurz vor dem Mauerbau 1961 eben diese Absicht leugnete. Und wo nach dem Fall jener Mauer die gesamtdeutsche Demokratie in wechselnden Formationen eingezogen ist.

Nach der Wiedervereinigung zog hier neben Außenstellen des Bonner Bundesfinanzministeriums und des Bundesrechnungshofs die Treuhandanstalt ein. Seit 1992 heißt der sich zwischen Niederkirchner- und Leipziger Straße mit seiner über 300 Meter langen Hauptfront entlang der Wilhelmstraße erstreckende trutzige Gebäudekomplex Detlev-Rohwedder-Haus: benannt nach dem von der RAF ermordeten früheren Treuhandchef. Doch faktisch ist dieses Haus der deutschen Geschichte seit dem 16. August 1999 der Sitz des Bundesfinanzministeriums.

Man betritt das Areal durch die Tore im hohen grauen Stahlzaun, der früher von steinernen Podesten mit Reichsadler und Hakenkreuz gesäumt wurde. Bis auf die 1945 entfernten NS-Embleme ist schon dieser Saum wie auch die äußere Architektur noch das Original des Reichsluftfahrtministeriums, das der Architekt Ernst Sagebiel und seine 5000 Arbeiter 1935/36 als Stahlskelettbau, mit Beton und Natursteinplatten ummantelt, in Rekordbauzeit errichteten. Görings Baumeister Sagebiel, der auch am Columbushaus und am Flughafen Tempelhof mitgewirkt und beispielsweise den alten Münchner Flughafen in Riem entworfen hatte, war übrigens ein Schüler und enger Mitarbeiter des von den Nazis vertriebenen Architekten Erich Mendelsohn gewesen.

Hinter dem Eingangszaun folgt der frühere „Ehrenhof“, und am Mittelportal des Hauses erwartet uns schon Uwe Pakull aus dem „Leitungsstab Besucherdienst“. Herr Pakull, ein freundlicher Endfünfziger mit einer Informationsmappe voller Fotos und historischer Dokumente, kam 1999 mit aus Bonn und ist heute voll unerschöpflicher Kenntnisse über das Riesenhaus mit seinen ursprünglich 2000 Büroräumen, 6, 8 Kilometer Flurstrecken, 17 Treppenhäusern und vier Innenhöfen.

Klar, dass er auch die anfängliche Verblüffung des Besuchers spürt. Denn der Monumentalbau öffnet sich im Inneren zunächst nicht ins Hochimposante. Sondern drückt den Ankömmling erst mal nieder. Tiefe Decken, fahles schummriges Licht, 16 gelblich marmorierte Säulen und ein gruftig graukahler Seitenflügel. Das könnte auch das Foyer eines Krematoriums sein. Bei den Nazis waren hier totenkultige Gedenkstätten, der „Raum des Goldenen Buches“ oder „der Fahnenträger“, mit Ehrenkränzen, Hakenkreuzen und an der Stirnseite einem Hitler-Zitat. Heute geht es auf der einen Seiten zum Besucherzentrum, gegenüber zum Presseraum; dazwischen die Frontseite mit dem Treppenhaus in den ersten Stock und zu Görings einstigem Großen Saal, den an Einschüchterungsarchitektur nur noch Hitlers Neue Reichskanzlei toppen konnte.

Heute wirkt es ausgenüchtert

„Erst sollte sich der Besucher klein und andächtig fühlen, bevor er hinauf in die Hallen der Macht gelangen durfte“, erklärt Uwe Pakull diesen ursprünglich intendierten Effekt. Heute wirkt das ganz ausgenüchtert. Die Form ist erhalten, aber schon im Treppenaufgang ist das Führerzitat ebenso wie späterer DDR-Wappenzierrat einem hellen abstrakten Farbfries des 1954 in Chemnitz geborenen Malers Michael Wirkner gewichen.

Bevor wir jenen geschichtsträchtigen Großen Saal besichtigen, ist noch ein Kurzbesuch beim Hausherrn angesagt. Wolfgang Schäuble wäre auch durch einen der modernisierten Paternoster zu erreichen. Aus historischem Interesse nehmen wir jedoch den „Ministerlift“ – der seit der Totalrenovierung des Hauses in den 90er Jahren indes keinerlei historische Anmutung mehr besitzt: Man fährt in einer blitzenden Metallkabine in das vierte von fünf Stockwerken. Der Bundesfinanzminister sitzt im mittleren von drei kleinen Querflügeln an der Rückseite des Komplexes, Zimmer 4348. Ein schlichter Büroraum, 45 Quadratmeter, Südfenster Richtung Martin-Gropius-Bau, mit Klimaanlage (die gibt’s nur noch für die Staatssekretäre). Schlips und Krawatte hängen an der Wand hinterm Schreibtisch, der Bundesfinanzminister zeichnet kurz vor dem Sommerurlaub noch letzte Akten ab. Weiß er, wo früher Göring saß? „Hier sicher nicht“, lacht Wolfgang Schäuble. Und tatsächlich wissen auch die Historiker bis heute nicht, wo Göring, wenn er nicht repräsentierte oder auf der Jagd war, je eine Akte gelesen hat. Womöglich gab es noch ein Büro nebenan im Herrenhaus des Preußischen Landtags (heute Berliner Abgeordnetenhaus), weil der zweite Mann des NS-Staats zugleich preußischer Ministerpräsident war.

Schäuble, der die ihn umgebende Architektur mit leisem Sarkasmus erträgt, kann sich in seinem Arbeitszimmer an einem geliehenen Großgemälde von Jörg Immendorff freuen, das eine Art rotes Strichmännchen im Herzen eines mächtigen weißen Seesterns zeigt. Das Werk heißt „Verwegene Stiftung“, und Wolfgang Schäuble sagt: „Wer den Euro retten will, muss Verwegenheit stiften!“

Das Vorherrschende in diesem Haus sind die schier endlosen, aber inzwischen freundlich aufgehellten Büroflure mit den gleichförmigen Türstürzen aus grauem Kalkstein, die den Eindruck der äußeren Rasterfassaden auch innen widerspiegeln. Über 1300 Mitarbeiter versuchen hier, die Staatsschulden zu begrenzen und, ja, das auch: den Euro zu retten.

Bei Göring war neben den Militärs einst noch die verstaatlichte Luftfahrtindustrie mit ihren Aufrüstungsabteilungen untergebracht. Warum das für die alliierten Piloten im Krieg dann hell und riesig aus der Berliner Topografie herausleuchtende Areal nur von einer Bombe im südlichen Bereich Richtung Niederkirchnerstraße getroffen wurde – gegenüber der heutigen Topographie des Terrors, wo einst Himmler, die SS und die Gestapo residierten: Das bleibt ein Rätsel. Möglicherweise diente ausgerechnet der Sitz des deutschen Bombermarschalls im Luftkrieg als optische Orientierung: nahe der Reichskanzlei und des Führerbunkers. Vielleicht sollte er für eine spätere Nutzung bewusst erhalten bleiben. Und tatsächlich zog hier 1945 zuerst die russische Militärverwaltung ein. Am 7. Oktober 1949 wurde dann im Großen Saal überm Eingang und Görings Ehrenhof die Gründung der DDR verkündet. Und am 15. Juni 1961 sächselte Walter Ulbricht bei einer internationalen Pressekonferenz im nämlichen Saal: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“

Wo sich auf knapp 30 Meter Länge unter 9,33 Meter hohen Säulen die Reichsstaatsspitze einst mit Marmorglanz, Kronleuchtern und Nazipomp feierte, wo später die DDR eine Art kleinbürgerlichen Klassizismus pflegte, herrscht heute auf grauen Teppichböden, unter Downlights über bieder modernen Konferenztischen eine Art Ikea-Kantinen-Atmosphäre. Gesäumt von Dolmetscherkabinen. Wenn die Bundesregierung hier einen internationalen Währungsgipfel ausrichtet, wird also zumindest Sparsamkeit demonstriert. Eleganter wirkt mit seinen originalen Wurzelholzpaneelen der kleinere, zweite Sitzungsraum, jetzt „Eurosaal“ genannt: über dem Büroeingang zur Leipziger Straße (mit den bekannten DDR-Fresken an der Fassade unterhalb des Saales). Hier wurde 1941 unter Görings Leitung die spätere Wannsee-Konferenz zur Auslöschung der Juden vorbereitet.

An all das wird jetzt mit Schaubildern und Infotafeln nachdrücklich erinnert. Manchmal gleicht das Ministerium so auch einem Museum. Und hat doch die Zukunft in Arbeit.

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