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Kultur: Berliner im Ensemble

Die Vorstellung dauert acht Stunden: Auftritt der Intendanten im Kulturausschuss.

Eine der interessantesten Inszenierungen des Jahres findet nicht in einem der Berliner Theater, sondern im dritten Stock des Abgeordnetenhauses statt. Das Stück nennt sich „Sitzung des Ausschusses für Kulturelle Angelegenheiten“, und weil die Legislaturperiode noch jung ist, gibt es eine Sondervorstellung: An diesem Montag müssen die Theater- und Museumsleute der Stadt vor ihren Subventionsgebern auftreten, also dem Regierenden Kulturmeister Klaus Wowereit und Staatssekretär André Schmitz sowie besagtem Ausschuss. Das geht dann so:

An der Stirn eines riesigen U’s thronen mit königlicher Gelassenheit Wowereit und Schmitz, links flankiert von den Koalitionskollegen aus der CDU, rechter Hand von den SPD-Leuten. An den Seiten sitzen die Ausschussmitglieder von den Grünen, den Linken und den Piraten. Dem U gegenüber befinden sich weitere Tische, an denen im Halbstunden-Turnus die Intendanten Platz nehmen und einen kurzen Vortrag halten, um danach die Fragen zu beantworten. Die Vorstellung dauert acht Stunden, wobei sich alle zwei Stunden eine versteckte Tür in der Wand öffnet und ein Cateringwagen hereingerollt wird, worauf die Hälfte der Ausschussmitglieder aufsteht, um sich ein Snickers oder ein Brötchen zu kaufen – auch wenn gerade Jürgen Schitthelm von der Schaubühne seine beeindruckenden Gastspielzahlen der letzten Jahre vorliest und eine Subventionsaufstockung um 500 000 Euro fordert – andernfalls sei der europaweit gefragte Thomas Ostermeier über 2015 hinaus nicht zu halten.

Bei den Intendanten- und Geschäftsführervorträgen handelt es sich um eine diffizile Kunstform, weil sie erstens die Arbeit des eigenen Hauses über den grünen Klee loben, zweitens über zu wenig Subventionen klagen, drittens mit dem eigenen Abgang drohen und sich viertens auch noch irgendwie für die gute Zusammenarbeit bedanken müssen. Interessanter und mysteriöser als die Kurzvorträge ist freilich das, was um das Kulturausschuss-U herum passiert. Warum zum Beispiel verlässt Michael Braun von der CDU, der im Dezember für 12 Tage Justizsenator war, immer mal wieder den Raum? Um als Notar schnell einen Wohnungskauf zu beurkunden? Oder die Kollegen von der Piratenpartei: Sitzen vor ihren Laptops wie im Café Oberholz, bloggen wahrscheinlich live und kriegen keinen Ton heraus. Der eine verdrückt ein Käsebrötchen nach dem anderen, der nächste bläst sich seine gefärbten Haarsträhnen aus dem Gesicht, der dritte beugt sich süffisant lächelnd zum Mikro, um dann abzuwinken. Absurdes Theater.

Dagegen leisten die Abgeordneten von Grünen und Linken vorbildliche Oppositionsarbeit, das heißt, sie stellen Fragen an die Theatermacher, meinen aber die Regierung. So kritisieren sie den Umstand, dass die Staatsoper für die obszön aufwändige Nono-Inszenierung „Al gran sole carico d’amore“ im umgebauten Heizkraftwerk – gegen den Rat der Jury – mit 215 000 Euro aus dem Hauptstadtkulturfonds unterstützt wurde. Und das obwohl die Staatsoper wegen der längeren Sanierung ihres Stammhauses bis 2014 mit vier Millionen Euro Mindereinnahmen rechnen muss, diese Ausfälle aber durch eigene Rücklagen (!) ausgleichen kann, wie der Generaldirektor der Opernstiftung Peter F. Raddatz versichert. Klaus Wowereit weist die Kritik mit dem Hinweis zurück, dass es sich bei der Regiearbeit von Katie Mitchell um eine der spektakulärsten des Jahres handele.

Spektakulär war kürzlich auch der Aufschrei der Freien Szene, für die der Hauptstadtkulturfonds ja im Wesentlichen gedacht ist. An diesem Nachmittag nun wird ein offener Brief verteilt, in dem die freien Künstler und Gruppen eine Kehrtwende in der Kulturpolitik fordern, nämlich eine „substantielle Aufstockung der disponiblem Mittel im Kulturetat“. In dem Brief heißt es: „Die Tatsache, dass die Summe aller institutionellen Förderungen kontinuierlich zunimmt und im Gegenzug die Mittel für freie Strukturen immer weiter abgesenkt werden, ist nicht mehr hinnehmbar und wirkt vor dem Hintergrund von Slogans wie ,Kultur bewegt’ geradezu zynisch.“ Auch der überaus erfolgreiche scheidende HAU-Intendant Matthias Lilienthal beklagt die schlechten Arbeitsbedingungen der freien Theatermacher.

Wenn man freilich Claus Peymann hört, hat man den Eindruck, dem Berliner Ensemble geht es am allerschlechtesten. Sein Wahnsinns-Auftritt bildet den Höhepunkt der Vorstellung. Mit den ersten drei Sätzen verteilt Peymann Breitseiten an die viel mehr verdienenden, weltweit inszenierenden Jetset-Intendanten der Nachbarhäuser, Thomas Ostermeier und Frank Castorf, metzelt in einem Halbsatz die noch immer apathisch starrenden Piraten nieder, schimpft auf Hertha, Wulff und zu Guttenberg, springt auf und lässt ein Flugblatt verteilen, demzufolge das BE die höchste Auslastung und die niedrigste Förderung aller Berliner Großtheater hat. Deshalb habe er auch einen defizitären Wirtschaftsplan abgegeben! Um ein Zeichen zu setzen.

Wowereit: „Ein Defizit ist nicht akzeptabel!“ – Peymann: „Ich werde die Preise für die Besucher aus dem Osten nicht erhöhen!“– Wowereit: „Dann müssen sie eben Konkurs anmelden, wenn ihr Theater in Schieflage gerät.“ – Ein Zuschauer flüstert: „Muss Peymann jetzt einen neuen Wirtschaftsplan erstellen?“ – Ein anderer flüstert zurück: „Ach was. Hat er doch schon. Das BE hat Rücklagen. Ist alles nur ein Spiel.“ – Der Vorsitzende: „Herr Peymann, möchten Sie noch etwas sagen?“ – Peymann, sehr laut: „Nein!“

Dann ist Pause und alle stehen auf. Der Snickers-Wagen ist wieder da.

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