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„Mourning for a World of Rubbish“ heißt diese Installation von John Miller im Schinkel Pavillon.

© Andrea Rossetti

Berliner Künstler John Miller: Zukunft in Braun und Gold

Alles entwickelt sich, aber nicht immer zum Besten: Der Schinkel Pavillon zeigt eine grandiose Werkschau des amerikanischen Künstlers John Miller.

Was ist Kunst wert? Diese Diskussion hat während der Coronakrise neu an Dringlichkeit gewonnen. Der amerikanische Künstler John Miller, dem derzeit eine Retrospektive im Schinkel Pavillon gewidmet ist, kreist schon seit den Achtzigerjahren um diese Frage. 

Skeptisch beäugt er die Rolle, welche die Kunst im System der Macht, der Begierden und des Geldes einnimmt. Und er fragt sich, wen oder was die Kunst eigentlich repräsentiert.

Dem abstrakten Expressionismus nach amerikanischem Vorbild rückt Miller mit humorigen Persiflagen auf den Leib. Und weil sich seine Arbeit um das dreht, was Menschen wertvoll erscheint – Geld und Gold und manchmal eben auch Kunst –, arbeitet Miller seit Jahren mit einer braunen, im wahrsten Sinne des Wortes Scheißfarbe, mit der er alles überzieht.

Die zweite Farbe, die er häufig benutzt, ist Gold – im Grunde ein invertiertes Braun. Nach der altbabylonischen Lehre ist Gold „der Kot der Hölle“. Auch Freud hat in seiner niemals bestätigten Analtheorie darauf hingewiesen, dass es einen Zusammenhang zwischen Defäkation und Geld gibt. 

Mit Kot darf man nicht spielen, mit Geld aber schon

Die Gier nach Geld interpretiert Freud als sublimierte Analerotik. Mit Kot darf man nicht herumspielen, mit Geld hingegen schon. Und mit Kunst auch. Miller drängt mit seinen Skulpturen darauf, dass wir mit unseren unter den Teppich gekehrten Begierden etwas offener umgehen.

Im Schinkel Pavillon, im Garten des ehemaligen Kronprinzenpalais und damit nah am neuen Schlossbau gelegen, sind die Räume auf beiden Etagen mit den Werken des 1954 in Ohio geborenen Künstlers gefüllt. 

Es ist eine beeindruckende Retrospektive, die der private Ausstellungsraum hier auf die Beine gestellt hat. Miller, der in New York und Berlin lebt, ist seit den 90er Jahren eine aktive Stimme in der Berliner Kunstszene, hatte jedoch nie eine ähnlich große Ausstellung in der Stadt.

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Im Moment scheint es besonders ergiebig zu sein, sich mit seinem Werk zu beschäftigen. Man sieht gleich mehrere aktuelle Themen in seinen goldenen und braunen Skulpturen adressiert, und das obwohl die ausgestellten Werke teils zehn oder zwanzig Jahre alt sind. Seine mit Gold und Kackbraun ummantelten Skulpturen bringen universelle Themen zum Vorschein.

Eine große, stachelige Kugel, die im unteren Ausstellungraum von der Decke hängt, sieht aus wie ein Modell des Coronavirus, sie entstand aber bereits 1989 und ist als Symbol der Erde zu betrachten. Auf Augenhöhe gehängt, soll sie es dem Betrachter erleichtern, sich mit der Kunst zu verbinden. 

„My Friend“, eine Schaufensterpuppe mit blonder Perücke, scheint angriffslustig und doch hilflos auf die stachelige Kugel zu blicken. Der Anzug, in dem die Figur steckt, samt der Sneaker und dem hochgestellten Hemdkragen, ist ebenso wie die Kugel mit krustiger, brauner Farbe bedeckt. 

Auf dem Boden liegt ein Teppich, der die Buchstaben „N“ und „O“ visualisiert. Ein trotziges „Nein“. Im Moment hören wir das oft genug.

Oben im achteckigen Ausstellungsraum hat Miller auf einem „SPD-roten Teppich“ – wie er selbst sagt – eine Art vergoldete Ruinenlandschaft hinterlassen. 

Abgebrochene Schinkel’sche Säulen und ein geschwungenes Fragment, das wie ein Bruchstück der historischen Granitschale im benachbarten Lustgarten aussehen soll, sind als brüchige Symbole deutscher Identität inszeniert. Sie können ebenso als Kommentar auf die fragwürdige Stadtentwicklung in der Umgebung gelesen werden.

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Wo man früher einen Blick auf die Friedrichswerdersche Kirche und viel Nichts hatte, blickt man jetzt auf eine Armada neuer Gebäude, die meisten dieser Investorenappartements haben geschlossene Rollläden. 

Auch wenn man beim anschließenden Spaziergang feststellt, dass die Türklingeln der Häuser mit Namen beschriftet sind, man kann sich kaum vorstellen, dass hier tatsächlich echte Menschen wohnen. Geld, Gold, Kot, Gier.

Und dann sind da noch Millers Gemälde, die die vergoldete Trümmerlandschaft umrunden und kommentieren. Eines der Bilder zeigt einen Trupp von Polizisten, der eine Gruppe von Schwarzen mit Schlagstöcken in Schach hält. Man denkt dabei an den ermordeten George Floyd und die aktuelle Rassismusdebatte, bei der so viel Verdrängtes, Verleugnetes endlich nach oben kommen will. 

Miller ist auch deshalb eine zentrale Figur in Berlin, weil er als Bindeglied zwischen New York und Berlin fungiert. Er, der eine Weile in unmittelbarer Nachbarschaft zum World Trade Center lebte, legt in seiner Kunst immer wieder Beobachtungen aus New York und Berlin übereinander. Das sind sehr fruchtbare Kommentare, gerade jetzt. 
[Schinkel Pavillon, Oberwallstr. 1, Mitte, bis 13. Dezember, Sa + So 11–18 Uhr]

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