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Szene aus Rosa Barbas Film „Plastic Limits – For the Projection of Other Architectures“.

© Rosa Barba

Berliner Künstlerin Rosa Barba: Bald erhellt sie die Neue Nationalgalerie

Im August wiedereröffnet die Neue Nationalgalerie, unter anderem mit einer Filminstallation der Berliner Künstlerin Rosa Barba. Ein Besuch im Studio.

Statt um das Abspielen eines Films, geht es um die Archivierung. Statt um den Inhalt, geht es um den Projektor. Statt um Bilder, geht es um Texte. Die Berliner Künstlerin Rosa Barba liebt es, um die Ecke zu denken, wenn es um den analogen Film geht, das Zelluloid, den Stoff, mit dem eigentlich kaum noch jemand arbeitet.

Dort, wo sich ihre Gedanken formen, sind ein paar schöne alte Projektoren aufgebaut, umgebaut, mit leeren Filmbändern bestückt. Das ist kein Kino hier und wäre doch eine Fundgrube für Cineasten.

Rosa Barbas Atelier liegt in Wedding auf dem Gelände der Uferhallen, seit einigen Jahren Gentrifizierungsnotstandsgebiet, seit die Firma der Samwer-Brüder das Areal an der Panke gekauft hat und die Neugestaltung beschlossen ist.

Man betritt das Studio von Rosa Barba über den Hof, eine Tür im Erdgeschoss führt in einen Vorraum mit Garderobe und Empfangstisch, hinter einem Vorhang liegt das Atelier, Filmprojektoren stehen auf dem Fußboden. Barba arbeitet hier mit zwei Assistentinnen. Sie beantworten Anfragen von Museen, bauen das Archiv auf, organisieren Leihverträge.

Rosa Barba trifft aus Mies van der Rohe und Alexander Calder

Die Künstlerin, Jahrgang 1972, ist seit Mitte der Neunziger Jahre im Geschäft, hat sich inzwischen ein kleines Kunstunternehmen aufgebaut. Sieben Einzelausstellungen und diverse Gruppenausstellungen standen 2021 auf dem Plan, in der Tate in London, Kunsthal Rotterdam, New York, Ljubljana und dann im August das große Highlight: Rosa Barba stellt zur Wiedereröffnung der Neuen Nationalgalerie im frisch sanierten Museumstempel von Mies van der Rohe aus.

Es ist nicht selbstverständlich, dass man für diesen glamourösen Auftakt eine junge Künstlerin eingeladen hat.

Es ist ein warmer Tag im April, die Pandemie hat den Alltag noch fest im Griff, Rosa Barba, ganz in dunkelblau gekleidet, öffnet die Studiotür. Zwei Filme und eine Skulptur wollen für die Ausstellung im August noch fertiggestellt werden, erzählt sie. Das Kernstück ihrer Installation, eine horizontal ausgerichtete, raumfüllende Stahlkonstruktion, in der ihre Filme präsentiert werden, ist bereits fertig konzipiert.

Dutzende geometrisch verschachtelte Rahmenelemente werden im sogenannten Grafischen Kabinett der Neuen Nationalgalerie aufgebaut, im Untergeschoss, wo ab August auch wieder die Sammlung der Nationalgalerie präsentiert wird.

Die Projektoren dürfen rattern

Die berühmte gläserne Halle oben, deren riesige Fensterscheiben und Stahllaibungen von David Chipperfield generalüberholt wurden, wird mit Skulpturen des amerikanischen Bildhauers Alexander Calder bestückt. Eine Hommage an die Kunst des 20. Jahrhunderts, für die die Neue Nationalgalerie steht.

Die Künstlerin Rosa Barba arbeitet in ihren Filmen auch mit Worten.
Die Künstlerin Rosa Barba arbeitet in ihren Filmen auch mit Worten.

© Mizuki Kin

Rosa Barba ist auf die männlichen Ikonen, die in dieser Umgebung so präsent sind, bestens vorbereitet. In Calders seit seinem Tod 1976 unveränderten und kaum zugänglichen Atelier in Roxbury nahe New York hat sie einen Film gedreht, soeben den Alexander Calder Preis verliehen bekommen – ein Zufall zwar, und doch Grund genug, den Calder-Film jetzt in ihre Installation aufzunehmen.

Auf Mies van der Rohe, den Architekten der Neuen Nationalgalerie, bezieht sie sich ebenfalls. Die Rahmen ihrer Stahlkonstruktion greifen die Proportionen der Rahmen und Fenster der oberen Halle auf.

Außerdem zitiert Barba das Landhaus Backstein, einen Entwurf Mies van der Rohes von 1924, der zwar nie realisiert wurde, der aber in seiner Einfachheit, Geradlinigkeit und Eleganz wegweisend für das Oeuvre des berühmten Baumeisters ist.

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Zwölf Filme und skulpturale Arbeiten von Rosa Barba werden in dem die Mies’schen Formen zitierenden Stahlgerüst präsentiert. Filmbilder werden aufflackern, Projektoren rattern, Musik wird erklingen, auch solche, die Barba selbst konzipiert und von Berliner Künstler:innen hat weiterbearbeiten lassen.

Ihre Installation ist Bühne, Architektur und Filmarchiv, eine fein austarierte Choreografie aus Licht, Bild und Sound, die alles beinhaltet, was Barba in ihrer künstlerischen Arbeit wichtig ist.

Film kann überall stattfinden

Die italienisch-deutsche Künstlerin beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Medium Film. Man könnte sagen, sie ist ein Nerd, wenn es ums Zelluloid geht. Als 14-Jährige begann sie, zu fotografieren, entwickelt ihre Fotos selbst. Während ihres Studiums an der Kunsthochschule für Medien in Köln lernte sie mit digitalen Mitteln zu arbeiten, drehte aber auch auf 16-Millimeter-Film.

Außerdem arbeitete sie nebenbei als Filmvorführerin. Sie stand im Vorführraum, bediente die Projektoren, wechselte die schweren Filmrollen. Dinge, die heute niemand mehr zu tun braucht. Ein Film wird in Rosa Barbas Kunst nie einfach nur auf eine Leinwand projiziert. Ausstellungsräume sieht sie als Membran. „Film kann überall stattfinden“, sagt sie. Drinnen, draußen, auf der Oberfläche eines Sees, als kinetisches Experiment. Rosa Barbas Antikino kennt keine Grenzen.

Rosa Barbas Kino kennt keine Grenzen

Film ist bei ihr immer auch Material. In ihrem Atelier sieht man „Spacelength Thought“, eine skulpturale Arbeit, die sie ebenfalls in der Nationalgalerie zeigen wird. Auf einem Projektor ist eine Schreibmaschine montiert. Die tippt, wenn sie eingeschaltet ist, einen Text von Rosa Barba auf Zelluloid. Und zwar Buchstabe für Buchstabe. Die Lettern werden als Film einzeln an die Wand projiziert. Totale Entschleunigung. Auf dem Boden sammelt sich indes der Text – in Form eines Haufens aus Zelluloid. Aus einzelnen Buchstaben wird ein Gedanke. Der wachsende Materialberg verdeutlicht, dass es Zeit braucht, ihn zu begreifen.

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Solche Experimente sind typisch für Rosa Barbas Kunst. Manchmal sind die Anordnungen einfach, manchmal komplex. Barba arbeitet dann mit verschiedenen Experten vom Glasbauer bis zum Filmtechniker, macht unzählige Tests und Feinjustierungen, bevor die Maschine, so agiert, wie die Künstlerin es sich vorstellt. Oft hängt es an Millimetern, kleinsten Bewegungen oder Bruchteilen einer Sekunde, ob das Kunststück gelingt. Ganz kontrollieren lässt sich das Ergebnis aber nie. Darin steckt die Poesie.

Barbas Passion ist es, Film neu zu denken, indem sie alte Möglichkeiten nutzt. Die Projektoren, mit denen sie arbeitet, stammen größtenteils aus den 60er und 70er Jahren. Sie schätzt die Last der Kamera auf ihrer Schulter, die Schwere des Geräts, das vorgibt, wie lange sie eine Einstellung halten kann. Die Limitierung, die ihr das teure Filmmaterial aufzwingt.

Licht und Wissen, Poesie und Film

Einer ihrer Filme heißt „From Source to Poem“, von der Quelle zur Poesie. Barba hat im größten Medienarchiv der Welt, dem Packard Campus in Culpeper nahe Washington, gefilmt. Dort, in einem ehemaligen umgebauten Bunker, wird alles gesammelt, was jemals an medialem Output zustande kam, erzählt Barba. Von ersten Interviews mit Einwanderern in den USA bis zur aktuellen Doku.

[Die Wiedereröffnung der Neuen Nationalgalerie findet am 22. August 2021 statt. Von 5. bis 7. Juni sind Tage der offenen Tür in dem sanierten Gebäude geplant (ohne Ausstellung). Anmeldung dafür hier.]

Öffentlich zugänglich ist nur das große Soundarchiv, aus dem sich die Künstlerin bedienen durfte. Im Bewegtbildarchiv konnte sie nur die Regale filmen. Diese Bilder hat sie mit Aufnahmen aus der Mojave-Wüste in Kalifornien kombiniert.

Film still aus Rosa Barbas Film „From Source to Poem“, 2016, gedreht auf 35-mm-Film.
Film still aus Rosa Barbas Film „From Source to Poem“, 2016, gedreht auf 35-mm-Film.

© Rosa Barba

Dort hat sie eine große Solarkraftanlage gefilmt, einen Ort der Lichterzeugung. Texttafeln, die zwischendurch eingeblendet werden, liefern Angaben zu den Gebäuden und philosophische Gedanken darüber, was ein Archiv sein kann. In Barbas Grammatik ist das Licht komprimiertes Wissen, eine Energiequelle, genau wie das Filmarchiv.

Im größten Medienarchiv der Welt

Die Maschine, über die sie „From Source to Poem“ abspielt, steht in einem zweiten Raum in Barbas Atelier, den sie nutzt, um ihre Arrangements auszuprobieren. Der Filmstreifen läuft über eine riesige Scheibe, einen Looper, der sich polternd dreht.

Eine Erfindung aus Italien, aus den 60er Jahren, die sich nie durchgesetzt hat. Dazu ein mannshoher Projektorenturm, ein Fabrikat aus Dresden. Das ohrenbetäubende Dröhnen des Projektors und das laute Einrasten der Spulen soll man in ihren Installationen ruhig hören. Alles, was beim Prozess des Abspielens passiert, fließt in die Wahrnehmung ein.

Film ist nicht nur eine Erzählung, Film ist Zeit, Material, gebauter Raum, Notation und Bewegung. Soviel Freiheit muss sein. Nur so öffnen sich die Synapsen, ergeben sich die erhellenden Verbindungen, die sich die Künstlerin wünscht.

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