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Guggenheim Berlin-New York

© Chris Lee

Berliner Kultur in New York: Halbe Miete

Max Raabe, Klaus Wowereit - Alle sind sie da. Schluss mit lustig: Was man erleben kann, wenn New York Berlins Kulturszene feiert.

Die Lackschuhe blitzen mit der messerscharf gescheitelten Brillantinefrisur um die Wette, das Publikum trägt am Casual Friday auch abends Jeans. Doch wenn Max Raabe mit gestärkter Hemdbrust und gespieltem Ernst die Bühne der ausverkauften Carnegie Hall beschreitet, ist es, als würden die alten Tage der ehrwürdigen Konzerthalle noch einmal aufglimmen und das New York der Zylinderhüte und Seidenschals plötzlich wieder lebendig werden. „Fascinating“ und „impeccably“, wird später die „New York Times“ jubeln. Von langen Beinen, kurzen Amouren, Herzen und Schmerzen singt Raabes Grammofon-Bariton, der wie immer leicht blechern, gewissermaßen schwarz-weiß tönt. Klingt so das neue, kreative Berlin des 21. Jahrhunderts?

Als dessen Botschafter ist Max Raabe dieser Tage zum „Berlin in Lights“-Festival geladen und mit ihm rund 100 andere Künstler. Siebzehn Tage lang bespielen sie verschiedene Bühnen – von der Carnegie Hall bis zum Nachbarschaftskonzert in Chinatown. Zum Finale kommen nächste Woche die Berliner Philharmoniker, und auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit will dabei sein.

Max Raabes historische Nummernrevue bringt als Auftakt nicht nur halb vergessene Stücke von Rudolf Bernauer oder Robert Stolz zum Klingen, sondern auch Komponisten wie Kurt Weill, Cole Porter oder Irving Berlin. Einen Song wie „Cheek to Cheek“ in der Stadt zu wagen, in der ihn einst Ella Fitzgerald und Frank Sinatra gesungen haben, heißt Eulen nach Athen zu tragen. Und wenn man genau hinhörte, dann waren es gerade die Leerstellen in Raabes Programm, die auf eigentümliche Weise eine historische Verbindung zwischen Berlin und New York nachzeichneten.

Etliche Komponisten emigrierten aus Deutschland nach New York. Nun re-importiert Max Raabe nicht nur die amerikanischen Standards mit hartem deutschem Akzent. Der Berliner trug den emigrierten Komponisten und Dichtern gewissermaßen auch ihr deutsches Frühwerk hinterher wie einen kleinen grünen Kaktus. In einer Stadt wie New York versteht man so eine Geste: Die Zugaben nimmt das Publikum stehend entgegen.

Während man sich draußen vor der Halle um die gelben Taxis balgt, windet sich vor dem Guggenheim Museum schon eine Warteschlange um den Block, als wollte sie Frank Lloyd Wrights kurvige Fassade nachbilden. Drinnen schrauben die Berliner DJs vom Kollektiv Jazzanova an den Reglern. In den neunziger Jahren konnte man sie jede Woche für ein paar Mark im stickigen Berliner Club Delicious Doughnuts hören, heute blättert die Fashion-Bohème aus dem East Village stolze 25 Dollar dafür hin. Soviel Berlin wie dieser Tage war selten in New York.

Für die Gäste ist das Festival vor allem eine große Einladung zum Vergleichen: New York mit Berlin, Deutschland mit Amerika, Amerika mit Europa und umgekehrt. Wortreich rechtfertigt sich auf einem der vielen Podien Florian Henckel von Donnersmarck dafür, dass er gerade nach Hollywood ausgewandert ist: Los Angeles sei nun mal eine Stadt, die Filme erst nehme. Volker Schlöndorff ging den umgekehrten Weg: Er verließ New York in Richtung Berlin, um dort das deutsche Kino zu entwickeln, kann sein Fernweh nach New York jedoch nur schwer verhehlen. Die Amerikaner, vertreten durch den Kritiker David Denby und den Filmemacher Michael Barker, sehen die Rolle des deutschen Kinos eher in der Inspiration für Amerikaner. Und schließlich, so erklärt Schlöndorff, habe auch der Münchner Werner Herzog seine Filme nicht für ein bayerisches Publikum gedreht, sondern selbstverständlich für die Upper Westside von Manhattan. Mittlerweile komme Hollywood ja auch gern nach Babelsberg, weil es sich dort billiger drehen lasse. Damit ist die Berlin-New-York-Debatte wieder einmal bei ihrem Dreh- und Angelpunkt angelangt: beim Geld.

Dass die Attraktivität Berlins bei jungen Künstlern vor allem auf den vergleichsweise billigen Mieten gründet, hebt auch der Kurator Klaus Biesenbach vom MoMA hervor. Die in Berlin lebende britische Künstlerin Tacita Dean beklagt dagegen das Fehlen einer dominanten Kunstinstitution, wie es die Londoner Tate Gallery oder eben Guggenheim in New York sei: „Berlin hat keinen Magneten für die Kunst.“ Anderntags bestätigt die New Yorker Schriftstellerin Nicole Krauss („Die Geschichte der Liebe“), dass auch sie als Berliner Stipendiatin das billige Leben schätzte, und Jeffrey Eugenidis („Middlesex“) weiß den New Yorkern wundersame Dinge zu berichten – wie er in Berlin zu ganz normalen Öffnungszeiten allein durch eine menschenleere Gemäldegalerie wandeln konnte.

Daniel Kehlmann muss wie immer den Erfolg seines Buches „Die Vermessung der Welt“ erklären. Auch dies ein gravierender Unterschied: Von amerikanischen Künstlern erwartet man geradezu zwangsläufig, dass sie erfolgreich sind. Deutsche müssen sich dafür rechtfertigen, als sei es eine Schande. Peter Schneider streitet sich mit dem Moderator Michael Naumann darüber, ob es akzeptabel sei, dass sich die Deutschen in ihrer Literatur neuerdings als Opfer entdecken dürfen: Freudig springen die Deutschen in ihre bereits 1968 ausgehobenen Debattengräben. Erst bei der Architekturdiskussion mit dem Architekten Jan Kleihues wird es wieder unvermittelt lustig. Die Tatsache, dass eine der großen westlichen Demokratien gerade damit beschäftigt ist, sich ein Schloss zu bauen, erregt bei den New Yorkern Stürme der Heiterkeit.

Richtig in Bewegung gerät das Festival erst am Abend beim Auftritt des Nomad Soundsystems. Mit phosphoreszierenden Ringen ausgestattet, sieht das Publikum wie eine Vollversammlung von Aliens aus. Auf der Bühne spielt ein DJ Hans Clarin ein, der „Ali Baba und die 40 Räuber“ liest. Beim ersten „Sesam, öffne dich“ erklingt eine elektronisch verstärkte Rai-Melodie: marokkanischer Gesang, E-Gitarren, Notebook und folkloristische Instrumente mischen sich zu einer dynamischen Fusion aus orientalischen und abendländischen Traditionen. Und als das überwiegend junge Publikum aus den Stuhlreihen tanzt und eine junge Frau für einen spontanen Bauchtanz auf die Bühne steigt, da ist es fast so, als sei man zuhause im Kreuzberger Club SO 36.

Clive Gillinson sitzt in einem Bürohaus nahe dem Central Park an einem dunkel gebeizten, schweren Schreibtisch und sieht zufrieden aus. Der Direktor der Carnegie Hall ist ein ebenso eloquenter wie vorsichtiger Mann. Die Begeisterung des ehemaligen Cellisten für sein eigenes Berlin-Festival ist ungespielt. Immer wieder hebt er hervor, welch immense kreative Kraft in Berlin wohne und wie attraktiv die Stadt für Künstler sei. Nur an einem einzigen Punkt wirkt seine Begeisterung merklich gedämpft. „Wenn wir ein Tokio- Festival machen würden“, sagt er, „dann könnten wir uns die japanischen Sponsoren aussuchen.“

Irgendwie habe er es deshalb für möglich gehalten, wenigstens ein oder zwei Sponsoren aus der deutschen Industrie zu finden, sagt Gillinson etwas verlegen. In Amerika mag so etwas überraschen. Zu Hause weiß man dagegen: Berlin bleibt doch Berlin. Arm, aber sexy. Diese profunde Erkenntnis hat sich jetzt bis nach New York herumgesprochen.

Bis 18. November. Infos im Internet unter: www.carnegiehall.org

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