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Die Leere und die Fülle. Der neue Berliner Senat will durch freien Eintritt mehr Menschen ins Museum locken. Davon soll auch die Berlinische Galerie profitieren. Zur Zeit ist dort eine große Cornelia-Schleime-Ausstellung zu sehen.

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Berliner Kulturpolitik: Rot-Rot-Grün will kulturelle Basis stärken

Wir Pioniere: Der neue rot-rot-grüne Berliner Senat will die kulturelle Basis stärken – vor allem durch Ausstellungshonorare für Bildende Künstler/-innen, die bisher kaum bezahlt wurden.

Über 170 Seiten umfasst der Koalitionsvertrag, nur sechs widmen sich der Kultur. Der neue Senat hat sich vor allem eine Stärkung der Basis und kulturelle Teilhabe vorgenommen. „Berlin braucht in der von zunehmender sozialer Spaltung und Integrationsaufgaben geprägten aktuellen Situation mehr denn je Raum für Kultur“, steht programmatisch ganz oben. Für die bildenden Künstler heißt das: mehr Ausstellungshonorare, stärkere Atelierförderung, freier Eintritt in die Museen, zumindest an bestimmten Tagen. Dem Fundament, nicht der Spitze gilt die Aufmerksamkeit von Rot-Rot-Grün.

Heidi Sill, Vorsitzende des berufsverbands bildender künstler berlin (bbk berlin) jedenfalls freut sich. Auf der Website des BBK kann man ein Plakat herunterladen, das treffend und sarkastisch einen latenten Missstand beschreibt: „Von Kunstausstellungen leben viele“, ist in großen Lettern auf rotem Grund zu lesen. Es folgt eine eng geschriebene Auflistung von 66 Berufen, vom Archivar über den Pförtner bis zum Versicherer, „nur Künstlerinnen und Künstler nicht“, steht groß darunter.

Das Dilemma lässt sich für den überwiegenden Teil der Berufsgruppe kaum lösen. Maler, Bildhauer, Performer, Videokünstler verdienen einfach zu wenig in ihrem Metier. Von der Präsentation ihres Werks allein könnten sie ihren Unterhalt kaum bezahlen. Dabei ist Berlin ein gutes Stück weiter als andere Kommunen. Hier gibt es bereits seit 2016 für die 28 Kommunalen Galerie der Stadt einen mit 300 000 Euro aufgelegten Fonds für Ausstellungshonorare. Rund 1000 Künstler profitieren bei durchschnittlich 150 bis 200 Ausstellungen im Jahr davon.

Gelder für Kommunale Galerien

Ein Tropfen auf den heißen Stein, doch was zählt, ist die Anerkennung der Arbeitsleistung. Bisher bekamen Künstler häufig zu hören, sie mögen doch bitte schön dankbar sein, dass sie überhaupt ihre Arbeiten zeigen dürfen. Anders als bei Musikern oder Schauspielern, bei denen über das Ob einer Honorierung niemand diskutiert, gilt bei den bildenden Künstlern selbst ein geringes Ausstellungshonorar als Errungenschaft. Der Bundesverband Bildender Künstler streitet seit Jahren dafür, mit einer Verankerung im Urheberrecht war er allerdings zuletzt gescheitert.

Berlin kommt eine Pionierrolle zu durch die Verankerung eines eigenen Postens im Kulturetat, von dem die Kommunalen Galerien Gelder abrufen können, ohne ihr Budget zu belasten. Damit macht die Stadt der Künstlerschaft ihre Aufwartung, der sie so viel verdankt. Denn der Hipness-Faktor Berlins hängt stark mit der Attraktivität für Kreative zusammen. Immer mehr kommen hierher. Darin liegt die Krux: Mehr Künstler in der Stadt bedeutet mehr Anspruchsteller für den Senat. Ein Honorar bekommt deshalb nur, wer seinen Wohnsitz in Berlin hat. Dabei kann es passieren, dass in einer Ausstellung die eine Hälfte der Teilnehmer bezahlt wird, die andere nicht.

Gerecht ist das nicht, doch immer noch besser als andernorts. Weder in Köln noch in München gibt es einen eigenen Topf, dafür Leitlinien, auf deren Einhaltung unter dem Motto „Art aber fair“, so das neue Motto der bayerischen Hauptstadt, geachtet wird. Das erinnert entfernt an eine TV-Talksendung, in Berlin klingt da auch der Wowereit-Spruch „Arm, aber sexy“ an, den hier keiner mehr hören will, schon gar nicht die neue Landesregierung. Schließlich hat sie sich die Stärkung der kulturellen Basis vorgenommen und deshalb eine Erweiterung des Ausstellungshonorars in ihrem Koalitionspapier festgeschrieben.

Verpflichtung, Honorare an die Kunstschaffende zu zahlen

„Zur Unterstützung der Bildenden Künstler*innen werden die mit Landesmitteln geförderten Institutionen künftig verpflichtet, bei allen Ausstellungen Honorare an die ausstellenden Künstler*innen zu zahlen“, heißt es darin. Damit kommen die Landesmuseen, die Berlinische Galerie, die Kunstvereine, die Kunst-Werke als Präsentationsorte zeitgenössischer Produktion in den Fokus. Dort sieht man den Plänen mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits gehört ein Entgelt bei Ausstellungsbeteiligung längst zum guten Ton, andererseits lässt man sich ungern Vorschriften machen.

Kathrin Becker, Geschäftsführerin des Neuen Berliner Kunstvereins (NBK), erinnert daran, dass ihre Institution immer wieder neue Werke mit Künstlern produziere, zuletzt mit Halil Altindere und Clemens von Wedemeyer, die davon später profitieren würden. „Die Künstler sind die Nutznießer, sie können das entstandene Werk behalten. Schließlich sind wir keine Galerie.“ Ansonsten hält sich der Kunstverein an die vom berufsverband bildender künstler berlin vorgeschlagenen Honorare: bei Gruppenausstellungen mit über zehn Teilnehmern 150 Euro, bei unter zehn 350 Euro.

Gleichzeitig wehrt sich die NBK-Geschäftsführerin gegen eine Standardisierung des Verfahrens. „Wir bemühen uns fair zu sein,“ so Kathrin Becker und verweist auf die gute Zusammenarbeit zwischen Künstler und Institution. So manches Werk gelangt außerdem anschließend als Ankauf in eine der beiden hauseigenen Sammlungen, von der Artothek oder dem Videoforum. Die Kuratorin warnt halb scherzhaft vor den Folgen zu hoher Forderungen für den Ausstellungsbetrieb: „Irgendwann können wir dann nur noch von den Künstlern selbst gerahmte Zeichnungen zeigen.“

Zunächst nur eine Willensbekundung

Diese Gefahr hat auch die neue Koalition erkannt. In ihrem Grundsatzpapier heißt es deshalb: „Um nicht zu einer Einschränkung des Angebots zu kommen, müssen die Haushaltsmittel entsprechend erhöht werden.“ Auch das ist zunächst eine Willensbekundung. Erst bei den Beratungen für den Doppelhaushalt 2018/19 im Mai, Juni nächsten Jahres wird sich erweisen, ob R2G Wort halten kann und der für die Kommunalen Galerien eingerichtete Fonds tatsächlich für die Landesmuseen, die Kunstvereine, die Kunst-Werke aufgestockt wird. Torsten Wöhlert, als neuer Kulturstaatssekretär wenige Tage im Amt, wehrt konkrete Fragen deshalb noch ab: „Wir müssen sehen, was praktikabel, was bezahlbar ist.“

Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen Galerie, bleibt gelassen. Für ihn ändere sich zunächst nichts, die Honorierung von Ausstellungsteilnahmen wird schon seit Jahren in seinem Haus praktiziert. Auch hier gibt es wie beim NBK Eigenproduktionen geladener Künstler, die großen Installationen in der Eingangshalle, zuletzt von Arno Brandlhuber, Angela Bulloch und Tobias Rehberger. Ihnen wird das Produktionsbudget eigenverantwortlich übergeben, allerdings zugleich darauf geachtet, dass die Kalkulation transparent und ein entsprechendes Honorar für den Künstler ausgewiesen bleibt. Wer im Videoraum seine Filme zeigt, bekommt außerdem eine „Screening“-Gebühr überwiesen. Für Köhler stellen die Honorar-Pläne des neuen Senats vor allem eine Klärung dar: „Endlich wird das mit größerer Stringenz verfolgt.“

Visionen für freien Eintritt in Museen

Unbehaglich wird Köhler bei den Visionen der rot-rot-grünen Regierung für freien Eintritt, der eher vage in der Regierungserklärung festgehalten ist: „Die Koalition setzt sich für eine kostenfreie Zeitspanne für Berliner*innen für den Besuch öffentlicher Museen in Berlin ein, um finanzielle Hürden für den Museumsbesuch zu senken.“ In der Berlinischen Galerie gibt es bereits den „Happy Monday“, einen Montag im Monat ermäßigtem Eintritt (4 Euro). Mehr kann sich Köhler nicht leisten. Würde an einem solchen Tag sein Museum gestürmt, gingen ihm nicht nur die Einnahmen verloren und würde die Besucherzahl an anderen Tagen sinken, er müsste auch noch mehr Personal bezahlen für Garderobe, Reinigung, Aufsicht.

Krist Gruijthuijsen, neuer Direktor der Kunst-Werke, ist für den freien Eintritt zumindest punktuell zu haben. Wenn sein Haus im Januar nach mehrmonatiger Sanierung endlich wieder öffnet, wird fortan immer donnerstagabends sowie am ersten Sonntag im Monat kein Ticket verlangt. Ansonsten steuert der holländische Kulturmanager in der Auguststraße einen anderen Kurs. Zu den Ausstellungseröffnungen wird zwar weiterhin eingeladen, allerdings sollen die Vernissagenbesucher für den Besuch der Performances mit Guy de Cointet, Trisha Brown Dance Company und Miet Warlop am 19. und 20. Januar 10 Euro berappen. Für Gruijthuijsen eine Selbstverständlichkeit: „Wir haben viel investiert, uns Arbeit gemacht, um die Performances zu produzieren“, erklärt er unter Verweis auf Theatervorstellungen, für die man schließlich auch bezahlt.

Die Argumentation könnte einem durchaus bekannt vorkommen. Damit klagen zu Recht auch die Künstler ihre Ausstellungshonorare ein. Der neue Senat muss es die nächsten Jahre richten, wer wann welches Geld bekommt.

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