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Kultur: Berliner Literaturfestival: Ein Rausch?

Sie tauchten in den letzten Tagen verstärkt im Stadtbild auf und ließen schon ahnen, dass sich etwas verdichten würde: Gedichte an Schaufenstern, Gedichte an Litfass-Säulen, Gedichte an den Eingangstüren zu Kneipen - luftige Botschaften, eine kleine Irritation zwischen Werbeslogans und Graffiti. Wenn das Stadtbild ein bisschen lyrisch wird, kann das Berlin nur gut tun - ein Innehalten, ein Augenzwinkern; das Gefühl, dass es da noch etwas gibt.

Sie tauchten in den letzten Tagen verstärkt im Stadtbild auf und ließen schon ahnen, dass sich etwas verdichten würde: Gedichte an Schaufenstern, Gedichte an Litfass-Säulen, Gedichte an den Eingangstüren zu Kneipen - luftige Botschaften, eine kleine Irritation zwischen Werbeslogans und Graffiti. Wenn das Stadtbild ein bisschen lyrisch wird, kann das Berlin nur gut tun - ein Innehalten, ein Augenzwinkern; das Gefühl, dass es da noch etwas gibt. Das "Internationale Literaturfestival Berlin", das heute abend eröffnet wird, will dieses Gefühl noch ziemlich verstärken, und es wird eine interessante Frage sein, wohin das führt.

"Berlin flaggt Poesie", heißt eine der Ideen, die der umtriebige Organisator Ulrich Schreiber für diesen Anlass entwickelte. Vom ursprünglichen Vorhaben, dass jeder Berliner sein Lieblingsgedicht aus dem Fenster hissen sollte, ist man zwischenzeitlich zwar etwas abgerückt, aber nach der nächsten Woche wird dennoch einiges hängengeblieben sein. Und mancherorts sollen jene Sandwichleute auftauchen, die man am besten aus den Fotos der späten Weimarer Republik kannte, mit der Aufschrift an Brust und Rücken "Ich suche Arbeit" - das Umfunktionieren dieses Urbilds hat ja mittlerweile auf verschiedenen Gebieten stattgefunden, jetzt also im Gedicht.

Die Straßenbahnen fahren statt der üblichen Sinnsprüche Zeilen von Heiner Müller spazieren. Es gibt nicht wenige, die sagen, dass in Müllers spröden, kargen Sätzen nicht nur die Abgründe des Ostens am besten ausgeleuchtet sind, sondern dass das Bild Heiner Müllers überhaupt symbolisiert, was von den neunziger Jahren stehengeblieben und jetzt schon ein Meilenstein in der Kulturgeschichte ist: Schwärze, Schweigen, Whiskey & Cigars.

Das Literaturfestival, das zehn Tage dauern wird, ist ein äußerst ehrgeiziges Projekt. Im Mittelpunkt stehen natürlich die 83 eingeladenen Schriftsteller aus allen Winkeln der Welt, die in Lesungen und Diskussionen verwickelt werden sollen; ein richtiges Festival eben, das dadurch definiert ist, dass es ein großes Publikum anzieht. Es gibt außerdem ein umfangreiches Kinder- und Jugendprogramm und eine lange Strecke im Kino, mit Literaturverfilmungen: Über zehn Tage hinweg kann das alles nur mit einer Sogwirkung funktionieren, mit dem Effekt, dabeisein zu wollen, ein Pop-Gefühl, ein Event.

Auffällig ist im Vorfeld die Mischung aus großer Inszenierung und Improvisation, aus umfassendem Anspruch und Lockerheit, einem Professionalismus des Phantasierens. Ulrich Schreiber hat seine Wohnung zum Organisationsbüro ausgebaut und mit seinen jungen Mitstreitern ein Wir-Gefühl entfacht, und weil der Senat von Berlin nicht nur Geld-, sondern auch Distinktionsprobleme hat, musste Schreiber auf umfassende Sponsorensuche gehen. Es ist ihm viel geglückt. Jetzt geht es nur noch darum, ob die flüchtigen Zeilen eines Gedichts im großen Wirbel verwehen oder ob sie Anteil haben an einer Beschwingtheit, an einem Sich-Berauschen.

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