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Kultur: Berliner Literaturhäuser: Guten Morgen, liebe Sorgen Seid ihr auch schon alle da? - Bangen um die Zukunft

Noch hoch droben, einige Kilometer über der Stadt, kann man das große Zetern und Schimpfen hören. Drunten stoßen Herr Peymann und Herr Barenboim abwechselnd Flüche gegen den Himmel aus und drohen mit dem Untergang ihrer Häuser, dem Berliner Ensemble und der Staatsoper Unter den Linden.

Von Gregor Dotzauer

Noch hoch droben, einige Kilometer über der Stadt, kann man das große Zetern und Schimpfen hören. Drunten stoßen Herr Peymann und Herr Barenboim abwechselnd Flüche gegen den Himmel aus und drohen mit dem Untergang ihrer Häuser, dem Berliner Ensemble und der Staatsoper Unter den Linden. Je näher man der Erde kommt, desto stärker mischt sich in ihre Wut ein anderes, weniger stimmgewaltiges Heulen und Zähneklappern. Schließlich hängen daran nur 0,4 Prozent des Berliner Kulturetats. Die zwei Damen und drei Herren der städtischen Literaturhäuser, die dafür verantwortlich sind, repetieren zwar auch bloß das fromme Gebet: Heiliger Christoph Stölzl, bettle für uns! Aber fast alle haben sie Gründe, die sich nicht damit abtun lassen, dass besonders die Herren geschickte Lobbyisten sind und das Weinen mit ein bisschen Glyzerin und Spucke jahrelang geübt haben.

Die Literaturwerkstatt am Majakowskiring in Pankow sitzt (siehe Tagesspiegel vom 15.4.2000) auf gepackten Koffern. Die amerikanische Jewish Claims Conference hat die Rückgabe des Hauses gefordert und ist dabei, es zu verkaufen. Der Senat hat kein Geld, um mitzubieten; Mietverträge existieren nicht. Thomas Wohlfahrt, der Leiter der Literaturwerkstatt, ist nicht einmal scharf darauf, die Villa zu behalten: Sie liegt ungünstig, ist für seine Pläne zu klein geworden, und renovieren müsste man sie auch. Doch was an so genannten Worst-Case-Szenarios in der Schublade der Verwaltung liegt, treibt ihm die Zornesröte ins Gesicht: Es seien, sagt er, Ausweichorte zum Fürchten - und Provisorien, von denen man schon wüsste, dass sie besonders haltbar wären.

Auch das Literaturzentrum LesArt (Leiterin: Sabine Mähne), eine in Europa einzigartige Einrichtung für Kinder und Jugendliche, sitzt ab August womöglich vor der Tür. Für das bisher im Besitz des Bundes befindliche Haus in der Weinmeisterstraße wird ein neuer Eigentümer gesucht. Ob der dann mit LesArt leben will, steht in den Sternen. Das Literarische Colloquium Berlin am Wannsee (Leiter: Ulrich Janetzki) wiederum kann seine Kulturaustauschprogramme zum Teil nicht mehr finanzieren. Mehrere geplante Projekte fielen der Haushaltslage zum Opfer. Und wenn man mit Herbert Wiesner vom Literaturhaus in der Fasanenstraße spricht, so klingt es, als müsste er demnächst ein Geisterhaus leiten: Die Institution als solche bleibt am Leben (und genießt sogar die Bestandsgarantie des Kultursenators). Sie kann sich nur nicht mehr präsentieren. Die mit jeder Tariferhöhung steigenden Fixkosten schlucken alle Programmgelder.

Daran wird sich so schnell nichts ändern. Seit 1996 ist der Kulturhaushalt eingefroren. Wer der Literatur etwas geben will, muss es einem anderen Bereich nehmen. Dass Therese Hörnigk vom Literaturforum im Brecht-Haus an der Chausseestraße mit ihrem Etat auskommt, auch wenn sie ihre zwei, drei kleinen Wünsche hat, ist deshalb ein mittleres Wunder. Ist es schon ein Vorbild? Als Ostlerin ist sie mit der Kunst der Improvisation vielleicht besser vertraut als manche Kollegen. Aber sie hat sich auch als einzige aus BAT-Verträgen herauslösen lassen - eine Vorstellung, bei der es den anderen Häusern graust: Wo schon soviel Selbstausbeutung herrscht, soll man die Bedingungen nicht noch mutwillig verschlechtern. Zweifellos gibt es in keinem Kulturbereich weniger Verschwendung als in der Literatur.

Solange es subventionierte Kultur gibt, hat auch die Literatur ein Recht darauf, von den Segnungen der öffentlichen Hand zu profitieren. Ihre Bedürfnisse lasssen sich nur schwer mit der personalintensiven Theater- und Opernarbeit vergleichen. Doch man muss keine Milchmädchenrechnung aufmachen, um die Unverhältnismäßigkeit der Zuteilungen zu sehen. Etwas anderes ist, dass in Berlin auch andere, teils landes- und bundesfinanzierte Institutionen das Bild von Literatur mitprägen: die Akademie der Künste, das Haus der Kulturen der Welt und der Deutsche Akademische Austauschdienst. Es gibt nach wie vor eine lebendige Stadtteilkultur, zu der auch die Veranstaltungen der Buchhandlungen gehören. Und besonders im Osten der Stadt floriert zwischen Cafés und Kneipen eine Szene, in die auch die Verlage hinein drängen. Gerade für Buchvorstellungen junger Autoren gelten die Institutionen nicht als die beste location. Alles in allem passiert jedenfalls so viel, dass man es kaum wahrnehmen kann. Und so wird, trotz berechtigter Einzelklagen, früher oder später wieder die Frage auftauchen, ob sich denn unter keinen Umständen an eine Zusammenlegung denken ließe.

Der Schrecken der Szene wäre sicher, wie die Schrifstellerin Katja Lange-Müller bei einem von Alice Ströver geleiteten Podiumsgespräch von Bündnis 90/Die Grünen im Roten Salon der Volksbühne sagte, eine Poliklinik für die Literatur. Daran wird genauso wenig gedacht wie an ein Fixerstübchen für jeden Bezirk. Geredet werden muss über die Aufgaben der Literaturhäuser.

Sie müssen ersetzen, was der Markt nicht leistet. Aber sie dürfendem Publikum auch nicht noch einmal das vorsetzen, was es ohnehin verschmäht. Um diese Gratwanderung, bei der man sich schnell zwischen altlinken Vorurteilen, ästhetischem Snobismus und Populismus verirren kann, geht es. Eine literarische Öffentlichkeit, in der Autoren, Leser, Verlage und Institutionen wie bisher wesentlich gemeinsame Interessen verfolgten, ist verloren gegangen. Sie war vermutlich enger an ein gewisses Bildungsbürgertum gebunden, als einem lieb sein kann. Das Wichtigste wäre nun, das Ghetto der Literatur zu verlassen und das Gespräch mit anderen Bereichen zu suchen: Musik, Tanz oder Malerei. Am Montag tagt im Abgeordnetenhaus der Kulturausschuss zur Lage der Literaturhäuser. Es wird sicher gejammert. Hoffentlich wird auch diskutiert.

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