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Rainald Goetz.

© Suhrkamp Verlag

Berliner Literaturpreis an Rainald Goetz: Lob ist schlecht

Die Berliner Literaturpreis- Verleihung an Rainald Goetz.

Sie ist dann, was für Veranstaltungen dieser Art ungewöhnlich ist, doch ein Ereignis: die Verleihung des Berliner Literaturpreises an Rainald Goetz im Großen Saal des Roten Rathauses, mitsamt seiner Berufung als Heiner-Müller-Gastprofessor an die FU. Nicht nur, weil der 1954 geborene Schriftsteller bislang nicht überhäuft worden ist mit Literaturpreisen (zuletzt erhielt er 2000 den Raabe-Preis). Und nicht nur, weil Rainald Goetz sich zur Feier des Abends in Schale geworfen hat: dunkler Anzug, weißes Hemd, leuchtend rosafarbene, grau gepunktete Krawatte. Sondern auch, weil er statt einer Dankesrede zwei Passagen aus seinem neuen, im Juni erscheinenden Roman „Johann Holtrop“ vorträgt. Der erzählt, so die Verlagsankündigung, vom Absturz und dem „persönlichen Desaster“ des Unternehmers Johann Holtrup. Goetz, der kein Freund von betriebsüblichen Schriftstellerlesungen ist, liest in zackiger, ein wenig atemloser Diktion den Anfang des Romans, in dem eine Putzkolonne im Tower der Firma „Arrow-PC“ ihrer Arbeit nachgeht. Und den Beginn des zweiten Teils, der von den Machtspielchen der „Arrow-PC“-Vorstandsmitglieder handelt.

„Johann Holtrup“ dürfte nach dem Buch „Loslabern“ eine weitere direkte literarische Reaktion von Goetz auf die weltweite Finanzkrise sein – und damit ein erneuter Beweis für seine obsessive Gegenwartsbezogenheit, die Jens Bisky vor der Lesung in seiner Laudatio nicht zuletzt in einer schönen Gegenüberstellung von Goetz und Heiner Müller hervorhebt: „Müller schrieb Geschichte mit Blick auf eine Zukunft. Goetz schreibt Gegenwart. (...) Seine Neugier ist nicht geschichtsphilosophisch motiviert, sondern beginnt mit dem Erstaunen über das Soziale, das Müller im Grunde nicht interessiert hat. Sie ist nicht auf Zukunft gerichtet, sondern auf Gegenwart.“ Bisky geht mehrmals noch auf das Interesse von Goetz an gelingenden sozialen Interaktionen ein, auf jene von ihm bejubelten Momente, „in denen Kunst und Soziales zueinanderkommen und beides glückt“, aber eben auch auf Goetz’ Außenseiterposition, „auf das asoziale System Goetz“.

Da sei es auch schwer, im Fall von Goetz einfach draufloszuloben. In seinem Blogtagebuch „Klage“ hat sich der Schriftsteller zudem explizit gegen das Herumgelobe ausgesprochen: „Lob ist schlecht. „Es installiert ein Gefälle, eine Nähe, eine Anmaßung. (...) Lob erniedrigt die Welt des Gelobten, wie auch den Lobenden, Analyse und Argument erhöhen den geistigen Zustand, in dem sich alles befindet. Zustimmung schwächt, Kritik stachelt an, energiefiziert die Welt.“

Ja, doch, es muss ein schwieriger, unbehaglicher Abend für Rainald Goetz sein, prasselt doch viel Lob auch von den anderen Rednern vom Berliner Senat, der Stiftung Preußische Seehandlung und der FU auf ihn ein. Immerhin bedankt sich Rainald Goetz ausdrücklich und begeistert bei seinem Laudator dafür, dass „der die Negativität in einer Weise zum Leuchten gebracht hat, wie ich es einfach unglaublich finde. Denn diese Negativität, die die Essenz meiner Arbeit ist, macht es mir auch so schwer, hier zu stehen.“ Und immerhin gelingt es ihm auch nach der Verleihung, so einige Hände zu schütteln und manchen Schulterklopfer zu ertragen. Gerrit Bartels

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