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Dea Loher

© Tsp

Berliner Literaturpreis: Dea Loher - Politik und Polis

Dea Loher erhält den Berliner Literaturpreis. Die in Berlin auch nach zwanzig Jahren noch beinahe ungespielte und unbehelligte Dramatikerin ist international gefragt.

Von Gregor Dotzauer

Zwanzig Jahre lebt sie mittlerweile in Berlin: als Dramatikerin so gut wie ungespielt und als öffentliche Person, die anderswo als Theaterwunderfrau gefeiert wird, entsprechend unerkannt und unbehelligt. Ein einziges Mal, vor 17 Jahren, hat Dea Loher hier eines ihrer Stücke namens "Tätowierung" mit dem Ensemble Theater am Südstern uraufgeführt. Seitdem ist sie, was die Bühnenarbeit angeht, flüchtig: unterwegs in Hannover, München oder Hamburg, wo Andreas Kriegenburg ihre Texte am Thalia Theater inszeniert hat - oder im Ausland. Keine Dramatikerin ihrer Generation - Dea Loher wurde 1964 im oberbayerischen Traunstein als Försterstochter geboren - dürfte international gefragter sein.

Mit dem Berliner Literaturpreis und der damit verbundenen Einladung zur Heiner-Müller-Gastprofessur für deutschsprachige Poetik an der Freien Universität Berlin, den sie am Montagabend im Roten Rathaus aus der Hand von Klaus Wowereit entgegennahm, ist nun eine Zäsur gesetzt. Nicht nur, dass mit Ulrich Khuon, dem Noch-Intendanten des Thalia Theaters, ein Mann in der Jury der von der Stiftung Preußische Seehandlung vergebenen Auszeichnung saß, der seinen Einsatz für Lohers Stücke als designierter Chef des Deutschen Theaters sicher fortsetzen wird.

Man darf auch den Resonanzraum, den der Name Heiner Müllers öffnet, nicht unterschätzen. Dea Loher verdankt Müller nicht nur etwas von ihrem durch und durch gegenwärtigen Sinn für die Dimensionen der antiken Tragödie, sondern auch persönliche Förderung. Müller gehörte zur Auswahlkommission, als sie sich für den Studiengang Szenisches Schreiben an der damaligen Hochschule der Künste bewarb, und verhalf ihr, abgebrannt, wie sie zu jener Zeit war, zu einem Stipendium. In seinem brechtisch-lapidaren Tonfall stellte er folgendes Gutachten aus: "Frau Loher hat genügend Gelegenheit, Stücke zu schreiben. Was fehlt, ist Geld."

Politisch - was sonst

Bei einem mit 30 000 Euro "hammermäßig hoch" dotierten Preis, wie sich Dea Loher freute, mangelt es daran vorläufig nicht mehr. "Die Zeiten der Ereignislosigkeit sind vorbei", rief sie aus.

Lohers Lob sang Lothar Müller. "Die Götter, so pfeifen es seit geraumer Zeit die Spatzen von den Dächern", erklärte er, "sind tot, das Schicksal ist ihnen nachgestorben, und über den Brettern, die die Welt bedeuten, wölbt sich ein leerer Himmel. Ich will sie dafür loben, dass sie mit diesem leeren Himmel nicht ihren Frieden gemacht hat." Müller grub in Lohers Werk nach den "älteren Sprachschichten", dem griechisch Unerbittlichen und Biblischen, um es schließlich in eine Tradition zu stellen, die sich der Trennung von Theater und Literatur wie bei Marieluise Fleißer oder Ödön von Horvath widersetzt und Schillers Gedanken vom Theater als moralischer Anstalt neu belebt: "Moralische Anstalt, das hieß schon bei Schiller nicht: ,Moral verkünden', es hieß stets Anstalt zur Erforschung des Menschseins, Experimentierfeld und Imaginationsraum, in dem zur Sprache gebracht wird, was ihm zuzutrauen ist. Die Schärfung der Vorstellungskraft dafür, was menschenmöglich ist, ist ein politisches Projekt."

Dea Lohers Replik folgte auf dem Fuße. In elf Sätzen und fünfeinhalb Minuten wollte sie die ihr am häufigsten gestellte und nervtötendste Frage "schnell und für immer erledigen". Ist ihr Theater also politisch? Satz eins: "Was sonst." Satz elf: "Was vielleicht ganz beruhigend ist." Dazwischen pries sie die Körperlichkeit ihrer Kunst, die immer "berührbare und unverschämte" Schauspieler verlange, die Polis des Versammlungsorts Theater und das erzählerische Material von Migranten, das unser Erleben künftig prägen werde - weit hinaus über Heiner Müllers Forderung, man müsse die Wirklichkeit, so, wie sie ist, unmöglich machen.

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