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Messiaen

© Roger Viollet

Berliner Musikfest: Demut und Herzblut

Es ist schon ein starkes Stück, das sich Olivier Messiaen im Finale seiner Turangalila-Sinfonie erlaubt: Ausgerechnet hier, wo seit Beethovens Neunter von jedem Komponisten einer abendfüllenden Sinfonie eine Antwort darauf erwartet wird, ob sich die aus Tönen gebaute Welt überhaupt noch glaubwürdig als harmonisches Ganzes darstellen lässt, kneift er.

Statt also die Bilanz seiner 75-minütigen Weltreise von Wagner bis Krishna zu ziehen und die Grundmotive, die mit ihren völlig gegensätzlichen Lebensenergien durch das ganze Stück geistern, zur Koexistenz zu zwingen, ruft Messiaen einfach die große Party aus, die allegresse generale. Fast bis zur Erschöpfung wiederholt das Orchester sein kess gezacktes Tanzmotiv, das man ohne weiteres auch in jedem Bigband-Potpourri unterbringen könnte – als ob da einer ein Transistorradio bis zum Anschlag aufgedreht hätte. Bleibt am Ende aller Ideologien nur die sinnliche Gewissheit? Oder ist die herausposaunte gute Laune die apokalyptische Vorausahnung einer Spaßgesellschaft?

Das Messiaen-Jahr 2008 gibt Gelegenheit, verschiedene Reaktionen auf diese Frage einzuholen wie überhaupt über den Stellenwert des 1908 geborenen und 1992 verstorbenen Franzosen. Ist er wirklich ein ganz Großer oder ist Messiaens von tiefem Katholizismus und von seiner Vogelstimmen-Faszination geprägter Personalstil nur ein kurioser Sonderweg zwischen Avantgarde und Tradition? Auf jeden Fall scheint Messiaens Musik die wichtigste Anforderung für Meisterwerke mitzubringen: Die Vieldeutigkeit, die es jedem Interpreten ermöglicht, aus der Partitur eine persönliche Ansicht zu destillieren.

Im Fall der Turangalila, Messiaens berühmtestem Orchesterwerk, hatten schon im Januar Zubin Mehta und Ingo Metzmacher in Berlin zwei konträre Sichtweisen präsentiert: Metzmacher begriff die Sinfonie rational und ordnend aus der Perspektive der Moderne, Mehta ging sie mystischer an, aus nachwagnerschen Klangtiefen schöpfend. Beim Musikfest, das Messiaens Orchesterwerk ins Zentrum des Programms gestellt hat, lassen Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker am Mittwochabend in der Philharmonie von Anfang an keinen Zweifel daran, dass Messiaens bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs begonnenes Opus ein volltönendes, emphatisches Bekenntnis zum Leben ist. Beständiger Überdruck herrscht in den vollgepackten zehn Sätzen des Stücks: Im ersten „Chant d’amour“ drängeln sich die Motive wie Gäste auf einem überfüllten Empfang, und die elektrischen Sirenenklänge der offenbar lautestmöglich eingestellten Ondes Martenot (Tristan Murail) verschmelzen mit dem Streicherklang der Philharmoniker zu einer Woge von fast physischer Penetranz.

Mit ähnlich schwärmerischer Glückseligkeit hatte sich Rattle bereits in Wagners „Tristan“-Vorspiel geworfen und die gleiche ewigkeitswollende Lust entdeckt wie später im „Liebesschlafgarten“ der „Turangalila“. Und schon bei Waghner hatte er alles Dunkle, Bittere so konsequent ausgeblendet wie bei Messiaen. Selbst das „Statuenmotiv“, das dem Juchzen und Schwelgen archaische Bedrohlichkeit entgegensetzt, deutet Rattle ins Positive und lässt die Posaunen strahlen. Wäre da nicht der Messiaen-Hohepriester Pierre-Laurent Aimard, der in seinen Klavierkadenzen wütende Zornesblitze schleudert und zeigt, dass sich die scheinbar überquellende Energie der Musik auch gegen sich selbst richten kann, so wäre Turangalila an diesem Abend kaum mehr als ein imposantes Klangspektakel.

Etwas subtiler war das von Messiaen wohl schon gemeint: Am Montag hatte das Orchestre de Paris unter Christoph Eschenbach am kurzen Frühwerk „Les Offrandes Oubliees“ jenen altmodischen französischen Orchesterklang vorgeführt, den der Komponist selbst im Ohr hatte: Mit agilen Bläsern und lichten, durchscheinenden Streicherfarben gelang den Franzosen eine meditative Stimmung ohne sinnliche Schwere. Die Kopplung mit Ravels zartpinselnder Ballettmusik zu „Ma Mère l’oye“ machte obendrein klar, dass auch Messiaen seine Klangsprache nicht aus dem Nichts heraus schuf, sondern seine spirituellen Visionen auf Basis der französischen Impressionisten formulierte.

Im Zentrum der Musikfest-Programmatik steht freilich die Parallele zwischen den Orchesterwerken Messiaens und der Sinfonik Anton Bruckners. Beide waren Orgel spielende Katholiken mit einem Hang zur großen Form: biografische Indizien, die den Anfangsverdacht musikalischer Geistesverwandtschaft rechtfertigen. Tatsächlich aber ist diese Programmachse ebenso anspruchsvoll wie brüchig: Aufgrund ihrer Länge lassen die Bruckner-Sinfonien neben sich eben nur für kürzere Frühwerke Messiaens Platz, und wer beispielsweise Bruckners „Romantische“, sein am stärksten von Natureindrücken bestimmtes Opus, mit dem Pendant in Messiaens Œuvre, „Des canyons aux étoiles“, vergleichen will, muss seine Höreindrücke knapp zwei Wochen zwischenspeichern können. Und natürlich ist die Mühe ohnehin umsonst, wenn ein Stück im Konzert so interesselos absolviert wird wie die Urfassung der „Romantischen“ mit dem London Symphony Orchestra unter Daniel Harding.

Der misslungene Auftritt des jungen Maestro zeigt das Zwiespältige des Musikfests. Auf der einen Seite werden intellektuelle Programme erwartet, die sich vom Alltagsangebot der sieben Berliner Sinfonieorchester absetzen, auf der anderen Seite muss der Glanz großer Namen her, die die Programmwünsche des Festivals aber oft nur als Routineaufgabe erfüllen. Nicht zufällig gelang der bisher überzeugendste Auftritt einem Orchester, das sich durch zyklische Aufführung von Messiaens großen Orchesterwerken bereits einen individuellen Zugang zu dessen Musik erarbeitet hat. Unter ihrem Chef Sylvain Cambreling schlägt das SWR-Sinfonieorchester auf dieser Basis den Bogen von Bruckner zu Messiaen. Dessen 1932 entstandene „L’ascension“ besitzt bei den Freiburgern eine groß dimensionierte Räumlichkeit und einen inneren Atem, der direkt von den langsamen Sätzen der Bruckner-Sinfonien inspiriert scheint.

Klar und konzentriert ist der Ton der Freiburger hier wie in Bruckners Siebter – ohne Pathos, ohne Suhlen in der eigenen seelischen Befindlichkeit. Diese unprätentiöse Innerlichkeit schlägt selbst an den Kulminationspunkten nicht ins Demonstrativ-Protzige um. Der Glaube Messiaens und Bruckners, zeigt Sylvain Cambreling, braucht keinen Weihrauch. Aber er kann Berge versetzen.

Das Berliner Musikfest dauert noch bis 21. 9.. Infos: www.berlinerfestspiele.de

Jörg Königsdorf

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