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Berliner Musikfest: Tod, du toller Tänzer

Hymnen der Mitmenschlichkeit: Hans Zender und Lothar Zagrosek beim Berliner Musikfest.

Joseph Haydn gehört, neben Schostakowitsch und Xenakis, zu den Sternen am musikalischen Firmament, die im Zentrum des Musikfests Berlin 2009 stehen. Haydn, wie er leuchtet mit seiner Musik, und Haydn, wie er quasi liebend erstickt wird bis in Geräusch und Nicht-Klingendes. Es ist eine glänzende Aktion der Planung Winrich Hopps, dass es gelungen ist, die „Tanzsuite mit Deutschlandlied“ für Orchester und Streichquartett von Helmut Lachenmann in das Programm aufzunehmen: ein Treffen über die Zeiten hinweg, rigorose Moderne aus dem Jahr 1980, die, so der Komponist, „trotz aller Sprachlosigkeit auch wieder zu Herzen“ gehen will.

Diese Wirkung ist im Konzerthaus zu fühlen, wo das Werk zum ersten Mal von seinem Widmungsträger Hans Zender mitatmend dirigiert wird. Die Zuhörer, naturgemäß in Kenntnis der Entwicklung des Liedes vom Kaiserquartett zur unerlaubten ersten und erlaubten dritten Strophe, befinden sich auf der Suche nach dem verlorenen Ton. Dank der Meisterschaft des Donaueschingen-gestählten SWR Sinfonieorchesters und der sublimierten Virtuosität des Arditti Quartetts wird die Aufführung zu einem spannenden Vexierbild. Andeutungen von Walzer, Marsch, Polka huschen vorüber, bevor sie erkannt werden. Erinnerungen sind verkapselt, auch andere Melodien, ihre Rhythmen und musikantischen Charaktere. Das Stück wirkt heute stärker als bei der – gestörten – Donaueschinger Uraufführung. Es ist ein Klangbild der Verweigerung mit der skelettierten Präsenz des Liedes, unbeschadet vom Altern Neuer Musik, weil die Schattierungen der Orchestersprache mit Quartett genial sind. Die Resonanz des Publikums, überwiegend geradezu warmherzig, spiegelt die Absicht des Komponisten, „aus der vernutzten Praxis eine neue authentische zu machen.“

Das Konzert könnte unter dem Motto „Musik und Gesellschaft“ stehen. Denn auch die „Gran Partita“ für 13 Bläser B-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart bricht mit Konventionen und Erwartungen. In diesem Fall mit denen, die sich gemeinhin an eine Serenade als Freiluftmusik knüpfen. Die große, siebensätzige Partita, in der Mozart Bassetthörner verwendet, ist ein reifes Meisterstück. Für Lachenmann, einen Bewunderer dieser ungewöhnlich ernsten Komposition, ist das schwermütige Adagio ein satz- und klangtechnisches Wunderwerk ohne Vergleich, das aus dem gesellschaftlichen Spiel ausbricht. Daher entspringt die Kombination der beiden Musiken, harmlos Tanzsuite und Serenade genannt, dem Geist der Komponisten Lachenmann/Zender.

Bei Janácek steht über allem das Mitleid mit der leidenden Kreatur. Am folgenden Abend an gleicher Stelle stürzt sich Lothar Zagrosek mit seinem sehr animierten Konzerthausorchester in eine scharf geschnittene Interpretation der Suite „Aus einem Totenhaus“. Diese Musik kommt seinem dirigentischen Impetus entgegen, eine wichtige Stimme im zwanzigsten Jahrhundert, die mahnend an die Schmerzgrenze geht. Schon Janáceks Vaterunser-Vertonung (1901/06), in kirchenslawischer Sprache wie die Glagolitische Messe, bezieht sich auf Bilder leidender Menschen. Die Harfe als Melodieinstrument, der insistierende Solotenor, Orgel und Chor bündeln ihre Bitten in flehendem und forderndem Ton.

Rundfunkchor und Staatschor der Republik Lettland beginnen mit leiser Intonation, um sich abendfüllend grandios zu steigern. Das gilt zumal für die Kantate „Figure humaine“, in der die Widerstandspoesie von Paul Eluard eine erstaunliche Vertonung durch Francis Poulenc erfährt. In der Wirkungsgeschichte seiner „Karmeliterinnen“-Oper hat sich gezeigt, dass der Komponist zwischen Eleganz und Music Hall, Zirkus und Film, von der Avantgarde des vorigen Jahrhunderts daher verschmäht, auch in ernster Sache seine Sprache hat. 21 Strophen des letzten Satzes der Kantate sind einem verschwiegenen Namen gewidmet, der zum Schluss mächtig wird: „Liberté.“

Zuletzt schmettert der Chor Klangsalven von der Orgelempore. Denn es erklingt die Begräbnismusik „Nekuia“, ein großes Werk für gemischten Chor und Orchester von Iannis Xenakis. Phonetisch und kaum erkennbar wird Jean Paul zitiert aus der berühmten „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“. Berührend, wie der Komponist im Rahmen seiner Umorientierung und neuen Unmittelbarkeit 1981 sich in den Wolken seiner stochastischen Epoche wiederfindet. „Flugbahnen der Klänge“ gibt es da durchaus noch in einer Musik, die mit Schlachtfeldern zu tun hat, in die Xenakis selbst geraten ist.

Musik und Gesellschaft, Musik und Menschlichkeit: Zwei Konzerte mit pluralistischem Blick und Gewinn.

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