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© Tsp

Berliner Opern: Stiefkindergarten

Jetzt ist es amtlich: Berlin braucht nur eine Spitzenoper. Die Opernstiftung jedenfalls ist ihrer Hauptfunktion, ein schützendes Dach über alle drei Häuser zu spannen, gründlich beraubt.

Das Ganze – ein Unding. Ein Kuhhandel und politisches Bubenstück. Eine erpresserische Affäre. Und eine einzige himmelschreiende Ungerechtigkeit. Da ist der Regierende Berliner Kulturbürgermeister Klaus W. frechen Mutes, sowohl die Renovierung des Staatsoperngebäudes als auch diese selbst kostenfrei bei Angela M., der Kanzlerin, deponieren zu können und die defizitäre Berliner Opernstiftung auf diese Weise um schlappe 30 Millionen Euro zu erleichtern, verschätzt sich in den Verhandlungen, taktiert, verliert das Gesicht – und nimmt am Ende, was er kriegen kann und nehmen muss. Weil Berlin arm ist, und er, der in der Bundes-SPD keinen Stand hat, in dieser prestigeträchtigen Angelegenheit nicht mit leeren Händen dastehen darf.

Morgen verabschiedet das Land Berlin seinen Doppelhaushalt 2008/09, und wenn das Abgeordnetenhaus nicht explodiert, wird rechtsgültig, was als echtes Danaergeschenk für die Berliner Opernlandschaft gelten muss. 200 Millionen gibt der Bund für die Renovierung, geknüpft an den Beschluss, der Lindenoper jährlich zehn Millionen Euro mehr Landessubventionen zu zahlen (total also 41 Millionen). Der Ausgleich für Deutsche Oper, Komische Oper und Staatsballett zusammen beläuft sich auf magere 6,4 Millionen Euro im Jahr 2008 und 9,6 Millionen für 2009 (die Festlegung der Einzeletats regelt der Stiftungsrat). Der Staatsopernbeschluss gilt dauerhaft, alle anderen müssen im Blick auf 2010 neu verhandeln.

Abgesehen davon, dass Wowereit und Merkel miteinander auszukaspern haben, wie sich ein derartiger struktureller Übergriff mit dem Föderalismusverständnis verträgt, macht vor allem die Sprachregelung der Stiftung Oper in Berlin betroffen. Hatte Generaldirektor Stefan Rosinski am Samstag in der „Berliner Zeitung“ noch sehr zu Recht von einer „kulturimperialistischen Geste“ der Kanzlerin gesprochen, so wird in der gestrigen Presseerklärung plötzlich die „nachhaltige Perspektive“ gefeiert, die der Beschluss eröffne. Nach Tische liest man eben vieles anders?

Damit ist das Ranking der beiden großen Opernhäuser verbrieft. Es gibt ein gehätscheltes erstes (Staatsoper) und ein malträtiertes zweites Haus (Deutsche Oper) – ohne dass je erklärt worden wäre, warum eigentlich. Wowereit sieht das naturgemäß pragmatisch. Und die Freude an der Staatsoper ist riesengroß, wer gönnte ausgerechnet Daniel Barenboim kein schönes, befriedetes Arbeiten. Nicht nur, weil er im Hintergrund einmal mehr umsichtig die Strippen gezogen hat, sondern auch, weil die Kontinuität, die er seit 1992 an den Tag legt, jede Anerkennung verdient. Der Mann ist eine Bank, für sein Haus, für die Staatskapelle (der er sich als „Dirigent auf Lebenszeit“ verpflichtet hat), ja für den Ruf Berlins als weltoffene Musikstadt. Barenboims immer furchtloses politisches Engagement, seine Biografie, seine Präsenz und gewiss auch die eine oder andere musikalische Tat Unter den Linden – dies alles schmiegt sich wie eine Drachenhaut um die Staatsoper. Barenboim zu verletzen, traut sich keiner mehr. Deshalb 2001 die Schröder-Naumann-Spende in Höhe von jährlich 1,7 Millionen für die Kapelle, und jetzt die besagten zehn noch oben drauf.

Dass man Peter Mussbach, Barenboims Intendanten, dies alles weit weniger gönnt (vornehmlich wegen seiner eigenen Inszenierungen), wirft die Frage auf, nach welchen Kriterien Berlin seine Künstler belohnt und bestraft. Wer das Netzwerk hat, kriegt recht? Wer stark ist, wird weiter gepäppelt? Oder: Knobelsdorff wider Bornemann, hipper Osten gegen mauen Westen? Darwin lässt grüßen.

Die Opernstiftung jedenfalls ist ihrer Hauptfunktion, ein schützendes, vermittelndes Dach über alle drei Häuser zu spannen, gründlich beraubt. Auch Qualität, ästhetisches Profil oder Wagemut scheiden für das Ranking aus. Dann nämlich hätte die Komische Oper, hätten Andreas Homoki und sein Ex-Musikchef Kirill Petrenko mächtig absahnen müssen („Opernhaus des Jahres“). Sie aber waren’s und sind’s offenbar zufrieden, im Schattenwurf der ungleichen Titanen.

Nun ist gute Kunst zuallerletzt eine Frage des Rechts oder gar der Gerechtigkeit – und das liebe böse Geld nicht per se an allem schuld (außer am Sängerstarfaktor und an der Höhe von Musikergehältern). Führt man sich jedoch vor Augen, welch schwindelerregende Berg-und-Talfahrt die Deutsche Oper seit Ende 2000 zu verkraften hatte, dann fragt man sich, welcher politische Wille wohl dahintersteckt (oder wie viel Unfähigkeit, einen solchen zu bekunden). Auf den in Ehren erstarrten Götz Friedrich folgte, interimistisch, André Schmitz, auf diesen der unglückliche Udo Zimmermann, mal mit, mal ohne, dann wieder mit Christian Thielemann als Generalmusikdirektor, Herr Holender aus Wien beriet, als „Uzi“ strauchelte, dann sprang das Duo Hans- Dieter Sense/Peter Sauerbaum in die Bresche – bis Thielemann die Angleichung seines Orchesters an die Staatskapelle versagt wurde, er 2004 die Konsequenzen zog, und erst Kirsten Harms kam und dann Renato Palumbo (der schon wieder weg ist). Insgesamt fünf Kultursenatoren stocherten hier missgelaunt im Nebel der Berliner Sparpolitik. Abschuss frei?

Auch die Bestellung von Donald Runnicles zum GMD ab 2009 lässt einen insofern nicht Hosianna! rufen, als das solide Mittelmaß die Deutsche Oper kaum in die erste Reihe zurückkatapultieren wird. Im Gegenteil: Es zementiert die Realitäten, jede Neiddebatte kommt hier zu spät. Politische Sorgfaltspflicht ist etwas anderes. Chancengleichheit auch. Und die Vision von einer pulsierenden Opernhauptstadt Berlin sowieso.

Christine Lemke-Matwey

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