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Kultur: Berliner Passionen

Eine Anthologie zu 35 Jahren Autorenbuchhandlung

Von Gregor Dotzauer

Sagen wir nicht: Die Autorenbuchhandlung ist Berlins bestsortierte literarische Buchhandlung. Es beleidigt die Konkurrenz, die sich genauso strebend bemüht. Sagen wir es eine Nummer kleiner und größer zugleich: Die Autorenbuchhandlung, die von der Carmerstraße unlängst in den Else-Ury-Bogen am Savignyplatz umgezogen ist, hat sich zu ihrem 35. Geburtstag die bestsortierte literarische Anthologie geschenkt, die eine solche Institution jemals zustande gebracht haben dürfte – und das in fast bibliophiler Gestalt, auf elegantem Papier, reich illustriert, mit biografischen Randkolumnen versehen.

Die 71 Beiträge stehen für ein geistiges Gepräge, von dem andere Häuser nur träumen können. Mit Volker Braun, Friedrich Dieckmann und Sebastian Kleinschmidt sprengt es die Grenzen des alten West-Berlin, für das Klaus Völker, Helma Sanders-Brahms oder Nele Hertling stehen. Mit Günter Grass, der 1976 zu den Mitgründern der Autorenbuchhandlung gehörte, bevor 2008 Joachim Fürst und Marc Iven die Geschäftsführung übernahmen, mit Hans Magnus Enzensberger oder Michael Krüger sind Schriftsteller vertreten, die ihre Stadterfahrung in die ganze Republik getragen haben. Und mit Jonathan Franzen, Norman Manea oder Péter Esterházy schreiben Autoren, die ihre ganz eigenen Affären mit Berlin hatten und haben. Die Älteren (Ivan Nagel, Friederike Mayröcker) treffen auf die Jüngsten (Ann Cotten, Clemens J. Setz), und mit Herta Müllers Gedichtcollagen oder einer Zeichnung von Loriot gibt es reine Bildmomente.

Doch die schiere Aufzählung ist zu verlockend, als dass man ihr allein entnehmen könnte, wieviele Tonlagen und Klangfarben hier versammelt sind, die vom unabhängigen Text bis zur Hommage reichen, wie sie Péter Esterházy mit einem endlosen „festlich stolpernden Satz“ versucht, in dem er sich daran erinnert, wie er im April 1980 „auf der Stelle Stammgast wurde, denn ich hatte ,Zettel’s Traum’ erblickt und da das Buch 500 DM kostete, kam ich nicht einmal in die Versuchung, es zu kaufen“. Woraufhin er, in Ungarn des Arno-Schmidt-Plagiats bezichtigt, in der Carmerstraße fast jeden Tag mit einem Tee in der Ecke saß und dem Vorwurf auf die Spur zu kommen versuchte. Auch das ist jetzt unser Leseglück. Gregor Dotzauer

Fürst, Iven, Dunker (Hg.): Geistesblüten. 35 Jahre Autorenbuchhandlung Berlin.

256 Seiten, 14,90 €.

Zu beziehen über www.autorenbuchhandlung-berlin.de

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