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Kultur: Berliner Philharmoniker: Die richtige Frage

Sie kämpfen. Ungewöhnlich, die Berliner Philharmoniker eines der besten Orchester der Welt, so zu erleben.

Sie kämpfen. Ungewöhnlich, die Berliner Philharmoniker eines der besten Orchester der Welt, so zu erleben. Sie kämpfen mit Strawinsky und Beethoven, und sie kämpfen vor allem mit Simon Rattle, der ihnen für sein letztes Konzert als Gastdirigent dieses Programm diktiert hat. Als Bestandsaufnahme und als Ausgangspunkt für die neue Ära. In der werden sowohl Strawinsky wie die Auseinandersetzung mit historischer Aufführungspraxis ganz oben stehen. Und wie schwer diese Aufgabe ist, wird in der Philharmonie schon bei Strawinskys Messe für Chor und Blasinstrumente deutlich: Die Soveränität, die collagehaften Wechsel zwischen archaisierendem Kirchengesang undschnittig urbaner Rhythmik lustvoll und präzis auszuspielen, besitzen die Musiker noch nicht. Zu breit, zu deutsch ist der Ton, zu ungenau das Timing der Einsätze, über die sich der ebenfalls sehr deutsche, weiche Klang des Rundfunkchores legt.

Deutlich wird dabei aber auch, wie mutig und vorausschauend die Entscheidung der Philharmoniker war, sich an einen Dirigenten zu halten, der sie nicht nur das zeigen lässt, was sie können, sondern sie mit dem konfrontiert, was sie noch lernen müssen: Auch in Beethovens Neunter will Rattle kein romantisierendes Ausufern des Klangs. Wie bei Strawinsky fordert Rattle auch bei Beethoven unbedingte rhythmische Präzision und absolute Durchhörbarkeit des Klangs. Das veredelnde Vibrato dürfen die Streicher nur dort einsetzen, wo es darum geht, weicheren, kantableren Ausdruck zu erzielen. Die Blechbläser führt Rattle an der kurzen Leine einer genau ausgezirkelten Dynamik. Unfertig wirkt diese Neunte, bei der spieltechnisch überraschend viel daneben geht, aber auch im musikalischen Sinne. Quer steht sie im Raum, ein riesiger Haufen Klangbruchstücke, die noch nicht recht zueinander passen wollen: Die motorische Energie des Scherzos, das Ersiegen-Wollen des langsamen Satzes, das seltsam triviale Patchwork des Finales, alles wird deutlich und will sich doch nicht fügen. Was dennoch eine Ermutigung ist. Jetzt stellt Rattle die richtigen Fragen, die Antworten wird er finden, sobald er da ist. Mit den Philharmonikern.

Jörg Königsdorf

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