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Maestro Lior Shambadal, 68.

© Berliner Symphoniker

Berliner Symphoniker mit Lior Shambadal: Die Prinzessin und das Manifest

„Brückenschläge Ost-West“: Die Berliner Symphoniker und Lior Shambadal spüren im Konzertsaal der musikalischen Entwicklung Nachkriegsdeutschlands nach.

„Brückenschläge Ost-West“ haben die Berliner Symphoniker auf ihr Programm im Konzerthaus gesetzt, Eröffnung eines mehrteiligen Projekts, das Unterschiede und Gemeinsamkeiten der musikalischen Entwicklung im geteilten Nachkriegsdeutschland aufspüren will. Die stärksten Gegensätze vereint das uraufgeführte Violinkonzert „Sakuntala“ von Wolfgang-Andreas Schultz. Mit der indischen Legende von der Prinzessin Sakuntala, die durch dämonische Ränke von ihrem Geliebten nicht mehr erkannt wird, lässt der Komponist seine Vorstellungen von einer Erneuerung abendländischer Tradition durch fremde Musikkulturen Klang werden.

Solistin Franziska Hölscher vollführt anmutige, mit koketten Sprüngen und Trillern versehene Girlanden, in der Melodik leicht „orientalisiert“, in ihrer Wiederholungsstruktur indischen Ragas ähnlich. Behutsam blenden sich lange Basstöne, Harfenklänge, Tambourinrhythmen ein – den Klangfarbenreichtum dieser Einstimmigkeit mag Schultz seinem Lehrer György Ligeti abgehört haben. Das Geschehen spitzt sich zu, bis liedhafte Klänge aus Schuberts fragmentarischer Vertonung des gleichen Sujets auftauchen. Kampf und Versöhnung dieser beiden Klangwelten, bis das „Abendland“ mit einer Pizzikato-Kadenz scheinbar „gewinnt“. Das mag plakativ berühren, bringt in seiner klangsensiblen Virtuosität der Solistin und dem unter Lior Shambadal engagiert aufspielenden Orchester jedoch viel Beifall ein.

Die Chöre können nicht alle sängerischen Klippen umschiffen

Erwin Schulhoffs Vertonung des „Kommunistischen Manifests“ von 1932 leitet die Ost-West-Begegnung ein. Wegen angeblich uninspirierter Vertonung marxistischen Gedankenguts verschwand diese Kantate in der Versenkung. In Thomas Hennings Neuinstrumentierung – es wurde nur noch ein Klavierauszug gefunden – zeigt sie sich durchaus einer Auseinandersetzung wert. Zwar können die Chöre – Fugatonale, Da Capo und Concentus Neukölln – nicht alle sängerischen Klippen umschiffen, dennoch fesselt eine stilistische Melange aus Arbeiterchor und Mahler-Sinfonik, in der Schulhoffs freche Jazz-Affinität nur noch selten aufblitzt. Die ist umso ausgeprägter in Boris Blachers Paganini-Variationen, Beispiel einer vergessenen, geistreichen Nachkriegs-Moderne. Kurt Schwaens Streicher-Variationen über ein niederländisches Volkslied und Peter Gotthardts Filmsuite zu „Paul und Paula“ bringen solchen kompositorischen Pfiff nicht auf – die Puhdys-Schlager hört man da lieber im Original.

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