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Minuskulisse. Auch im Grips Theater wird vieles anders. Foto: imago/Jürgen Ritter

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Berliner Theater und Corona: Abstandsregeln auf der Bühne

Die Berliner Theater bereiten sich auf eine lange spielfreie Zeit vor – und auf strenge Hygienemaßnahmen für die Zukunft.

Auf Sicht fahren, das ist in der Corona-Krise ein gern gebrauchtes Bild. Schon weil es besser klingt als: keine Ahnung, wo es hingeht. Auch die Berliner Theater fahren momentan auf Sicht. Überwiegend mit einer Belegschaft in Kurzarbeit, mit ausgesetzten Proben, mit ungewisser Perspektive, wann der Spielbetrieb wieder aufgenommen werden kann und in welcher Form.

Bei Geschäften mit einer Größe bis zu 800 Quadratmetern fällt es definitiv leichter, sich die schrittweise Rückkehr in die Normalität vorzustellen. Abstand halten, Hände desinfizieren, Mund- und Nasenschutz tragen, alles praktikabel. Und dafür gibt es immerhin klare Fahrpläne.

Niemand rechnet damit, dass diese Saison stattfindet

Im Falle der Theater ist die Lage etwas diffuser. Die Verlängerung des Kontaktverbots ist vorerst bis zum 4. Mai beschlossen, darüber hinaus lautet die Ansage: Keine Großveranstaltungen bis zum 31. August. Sind Vorstellungen vor 200 Leuten schon Großveranstaltungen? Dass in dieser Saison noch ein Theater seine Türen öffnet, damit rechnet niemand.

Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles, entwirft wie viele andere gerade Szenarien für die kommende Saison: „Wir bereiten uns darauf vor, ab September wieder zu spielen, mit einem Saalplan, der die Hygienevorschriften einhält“. Was konkret bedeuten würde, „dass in einem 700-Plätze-Theater nur noch 200 Zuschauer sitzen“.

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Jede zweite Reihe bliebe leer. Immerhin: zusammenlebende Paare dürften, wie im Kino, Pärchensitze buchen. Es bräuchte Regelungen für den Einlass, womöglich müssten die Zuschauer auch Alltagsmasken tragen. Unter denen man allerdings, wie auch Reese zu bedenken gibt, nicht sonderlich gut Luft bekommt. Was bei einer dreistündigen Aufführung schon strapaziös werden könnte.

Sämtliche Inszenierungen sind auf dem Prüfstand

Dazu kommt, dass die vorgeschriebenen Abstandsregelungen natürlich auch für Schauspieler auf der Bühne gelten müssten. „Wir lassen im Moment sämtliche Inszenierungen, die wir wieder aufnehmen wollen, von unseren Regie-Assistenten auf problematische Stellen prüfen“, erzählt der Intendant.

Wenn in einer Szene von Yasmina Rezas Komödie „Kunst“ drei Leute zusammen auf dem Sofa sitzen, wenn in „Drei Mal Leben“ die Schauspielerin Constanze Becker dem Kollegen August Diehl fast einen Kuss gibt, dann müsste das in Absprache mit den Regieteams geändert werden.

Freilich wäre so ein Corona-Theater nicht für alle gleichermaßen umsetzbar. „Was am Grips das eigentliche Theatererlebnis ist, nämlich unmittelbar am Bühnengeschehen dran zu sein, das würde man damit ausbremsen“, gibt Philipp Harpain zu bedenken, der Leiter des Kinder- und Jugendtheaters am Hansaplatz.

Kommen die Schulklassen überhaupt?

Im großen Saal fänden unter Einhaltung der Abstandsregeln nur noch 65 bis 75 junge Menschen Platz. Eine Minuskulisse. Aber trotzdem werden diese Pläne im Moment durchgespielt: Wie der Einlass grüppchenweise zu regeln wäre, wie Pausen verlängert werden müssten, um den Toilettenbesuch für alle zu organisieren. Und dann bliebe immer noch die Frage: „Kommen die Schulen überhaupt?“

Auch Annemie Vanackere, die künstlerische Leiterin des HAU, bleibt skeptisch gegenüber einem Theater des Social Distancing. „Ich denke im Moment lieber über alternative Programme nach“, sagt sie. Outdoor-Performances, Audiowalks, installative Arbeiten für je einen Zuschauer, alles reizvoller, als ein Stück vor 40 Menschen im HAU2 über die Bühne gehen zu lassen.

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Auch die Planung für den Herbst steht bei Vanackere und ihrem Team momentan zur Disposition. Traditionell ist es die Zeit der Berliner Premieren, terminiert sind neue Arbeiten etwa von andcompany & Co, She She Pop, Oliver Zahn. Aber es könnte ja sein, dass im Herbst die zweite Corona-Welle rollt. Das Grips hat eine für Oktober angesetzte Premiere bereits auf den März 2021 verschoben.

Martin Woelffer, den Direktor der Kudamm-Bühnen, plagen noch ganz andere Sorgen. Für den Fall, dass im Sommer wieder gespielt werden dürfte, was er nach wie vor hofft, hätte er zwar „verschiedene mögliche Spielpläne in der Schublade“. Aber als Leiter eines Privattheaters müsste er sehr genau überlegen, welche Produktionen sich unter Corona-Bedingungen noch rechnen.

Der im März kurzfristig ausgebremste „Orientexpress“ mit Katharina Thalbach zum Beispiel, würde erst ab einer Auslastung von 85 Prozent rentabel, gerechnet auf die Gesamtzahl der 1050 Plätze im Schillertheater, wo die Kudamm-Bühne momentan spielt.

Und bei all dem ist das Worst-Case-Szenario noch nicht benannt: dass womöglich erst wieder Theater gespielt werden darf, wenn es Medikamente oder einen Impfstoff gibt. Die Fahrt auf Sicht geht weiter. Patrick Wildermann

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