zum Hauptinhalt
Das Logo des Theatertreffens

© Berliner Festspiele

Berliner Theatertreffen 2013: Der Schein und seine Werfer

Man freut sich darauf und hat zugleich Angst davor: ein Versuch, das seltsame Wesen des Theatertreffens zu verstehen.

Das Geheimnis des Theatertreffens liegt in seinem dialektischen Wesen. Es verändert sich – nicht. Man könnte natürlich einfach sagen, es ist eine Erfolgsgeschichte. Wenn eine Institution ein halbes Jahrhundert alt wird, muss da schon etwas dran sein. Aber auch das Gegenteil lässt sich behaupten: Das Theatertreffen ist einfach übrig geblieben. Niemand braucht es wirklich. Nur: Es wurde auch noch niemals überzeugend dargelegt, weshalb man auf das Theatertreffen verzichten sollte. Im Gegenteil. Wann immer an dieser Einrichtung gerüttelt wurde, hat sie sich wieder aufgerichtet.

Erster Versuch, das Theatertreffen zu verstehen: Es schreibt Geschichte. Weil aber Geschichte eben nicht Gegenwart ist, merkt man das nicht immer gleich. Im Mai 2013 wäre in jedem Fall festzuhalten: Je kurzlebiger das Theater selbst wird, desto wichtiger könnte das Theatertreffen als historischer Anhaltspunkt sein, zumal an seinem 50. Geburtstag.

Denn das Theater verliert den Bezug zu seiner eigenen Biografie. Es leidet darunter, nicht mehr das Leitmedium zu sein, das es noch bis in die neunziger Jahre hinein war. Man muss nur in die Listen der Theatertreffenjahrgänge schauen, um zu ahnen, wie massiv der Wandel ist. Peter Zadeks Hamburger „Lulu“ mit Susanne Lothar, Einar Schleefs Frankfurter „Vor Sonnenaufgang“ mit all seiner Sprachmacht, Heiner Müllers „Lohndrücker“, der im Mai 1989 über die Grenze von Berlin nach Berlin reiste, Frank Castorfs krawallig-kluge Münchner „Miss Sara Sampson“, die 1990 die Freie Volksbühne schier sprengte, Luk Percevals vielstündige „Schlachten!“ nach Shakespeare: Das sind nur einige Beispiele dafür, wie eine Nominierung durch die Jury und ein Gastspiel in Berlin die Aufmerksamkeit für eine ohnehin schon wirkungsmächtige Inszenierung verstärkt und bestärkt haben. Ohne das Theatertreffen wären sie zwar nicht vergessen, aber sie hätten den ganz großen Auftritt und den Eintrag ins Geschichtsbuch verpasst.

Peter Zadek führt mit 21 Einladungen die ewige Liste an, gefolgt von Peter Stein und Claus Peymann mit 17, Christoph Marthaler mit 14, Luc Bondy und Jürgen Gosch mit je 13 Einladungen. Gosch und Zadek sind verstorben, die anderen sind zwar noch aktiv, aber kaum mehr theatertreffentauglich, was auch die Verjüngung der Jury mit sich bringt. Der nächst jüngere Einladungskönig ist Michael Thalheimer, Jahrgang 1965. Er eröffnet mit seiner Frankfurter „Medea“ das diesjährige Treffen. Er ist jetzt auch derjenige, der mit seinem atemlosen Stil für das traditionelle Schauspiel steht. Er stellt Stücke hin und aus wie Skulpturen. Fragile Menschen, erdbebensicheres Konzept.

Die Jury hat es immer wieder geschafft, gute Inszenierungen zu übersehen

Aber auch hier gibt es die andere Seite: Wie viele Aufführungen meist aus kleineren Städten sind durchgefallen in Berlin. Wie viele Stücke erwiesen sich als nicht transportabel von A nach B, waren schlicht zu flach, zu schwach, zu lokal. Das Treffen funktioniert wie ein sehr heller Scheinwerfer und ein starkes Mikrofon. Man schaut genauer hin und hört genauer zu, auch ungeduldiger, weniger verzeihend. So wie Thalheimer inszeniert.

Das wäre der zweite Versuch: Das Theatertreffen ist immer ein Krisengipfel gewesen. Es hat sämtliche Theaterkrisen und Verschiebungen der vergangenen fünfzig Jahre nicht nur überlebt, sondern dokumentiert, präzisiert, überhöht.

Die Auswahl der „bemerkenswerten Inszenierungen“ im deutschsprachigen Raum fällt der Jury von Jahr zu Jahr schwerer, mangels Klasse. Aber ein Überblick entsteht, im Negativen wie im Positiven. Man sieht, dass so gut wie keine Dramatiker nachwachsen. Und dass freie und Festivalproduktionen immer mehr an Bedeutung gewinnen, während das traditionelle Stadt- und Staatstheater zähe Beharrungskämpfe führt. Festivalkuratoren sind mit ihren Köpfen anderswo. Sie planen möglichst konvertible Produktionen, für die internationale Touren nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind. In den letzten Jahren sind parallele Theaterwelten entstanden, das Theatertreffen spiegelt auch dies wider. Tatsächlich existiert kaum ein Unterschied zwischen Geschichte und Krise.

Herbert Fritschs „Murmel, Murmel“ von der Volksbühne ist das ideale Geburtstagsstück zum Fünfzigsten. Es ist Regietheater, weil hier jemand radikal eine Idee umsetzt, und es ist Schauspielertheater, weil dazu stets viele gehören. Fritsch war als Schauspieler beim Theatertreffen und ist nun schon zum dritten Mal als Regisseur ausgewählt. Er bringt Avantgarde und Entertainment zueinander.

Der dritte Versuch: Das Theatertreffen ist die Summe dessen, was es nicht ist – nicht unbedingt eine Auswahl der Besten. Erstaunlich, wie es die wechselnden Jurys über die Jahre geschafft haben, Meisterwerke zu übersehen. „Die Perser“ in der Regie von Dimiter Gotscheff waren ebenso wenig eingeladen wie so manches wegweisende Tanztheaterstück von Pina Bausch. Fehlanzeige auch bei den großen Stücken des Grips-Theaters. Eigentlich will das Theatertreffen auch gar kein Festival sein, eher ein Wettbewerb, wobei es offiziell nichts zu gewinnen gibt.

Das Theatertreffen ist eine Veranstaltung zwischen dem Baum der Tradition und der Borke der Innovation. Es hat einen zutiefst demokratischen Charakter, diskutiert am liebsten über sich selbst und ähnelt einem Familientreffen, vor dem man sich fürchtet und auf das man sich freut, also Widerstreit vehementer Gefühle und Vorstellungen, Austausch, Attacke, Party. Es ist das Stück, an dem viele mitschreiben, besonders das Publikum. Das Treffen ist auch dieses Mal schon wieder ausverkauft.

Die große Geburtstagsfeier steigt am 11. Mai im Festspielhaus. Auch der Stückemarkt feiert Jubiläum, er wird 35. Die Jury (Ulrike Kahle-Steinweh, Anke Dürr, Christine Wahl, Vasco Boenisch, Franz Wille) hat 10 Inszenierungen ausgewählt, darunter aus Berlin Herbert Fritschs „Murmel, Murmel“ von der Volksbühne und Jérôme Bels „Disabled Theater“, eine Koproduktion mit Beteiligung des HAU. Vom Thalia Theater Hamburg kommt „Jeder stirbt für sich allein“ (Luk Perceval), aus Leipzig „Krieg und Frieden“(Sebastian Hartmann), von den Münchner Kammerspielen „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall“(Johan Simons) und „Orpheus steigt herab“(Sebastian Nübling), aus Köln die „Reise durch die Nacht“ ( Katie Mitchell) und „Die Ratten“(Karin Henkel), aus Zürich „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ (Sebastian Baumgarten – und zur Eröffnung am heutigen Freitag die „Medea“ vom Schauspiel Frankfurt in der Regie von Michael Thalheimer. Infos und Restkarten: www.berliner-festspiele.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false