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Rache! Constanze Becker als Medea in Michael Thalheimers Frankfurter Inszenierung.

© dpa

Berliner Theatertreffen: Geld klingt nicht

Lagerkoller, Lagerfeuer – und Constanze Becker als „Medea“: Zur Eröffnung des 50. Theatertreffens wurden laue Reden gehalten und Michael Thalheimers Euripides-Inszenierung gastierte aus Frankfurt/Main.

Zu den schönen Dingen des Theatertreffens gehört das Grün ums Festspielhaus. Es erinnert daran, dass die Theaterkunst einst im Freien spielte, mit weitem Blick in die Ebene bis hin zum Meer, wie in Delphi, oder vor der Kulisse des Ätna, wie im Teatro Greco von Taormina. Schließlich gab es zur Eröffnung die „Medea“ des Euripides vom Schauspiel Frankfurt. Und auch bei den Reden hatte man irgendwie das Gefühl, in griechischen Verhältnissen gelandet zu sein, allerdings den heutigen.

Das Theatertreffen feiert 50. Geburtstag, und Thomas Oberender, der Intendant der Berliner Festspiele, drückt in seinen Grußworten eine gewisse Freude aus. Ja doch, alles prima, sagt er, um sich sogleich in einer komplizierten Erörterung prekärer Theaterproduktionsbedingungen zu ergehen. Offenbar vermisst er in der diesjährigen Auswahl die freie Szene, das Performative. Und wie er da die lange Liste der Sponsoren herunterbetet, darunter reichlich staatliche Institutionen, entsteht wieder der Eindruck, dass es gerade noch einmal gut gegangen ist mit dem Geld, macht sich Beklemmung breit. Begeisterung geht anders.

Das ist auch bei Staatsminister Bernd Neumann das bestimmende Thema: das Geld für die Kultur und sein persönlicher Einsatz zum Beispiel für die Schauspielschule „Ernst Busch“, die im letzten Jahr an dieser Stelle einen fulminanten Protest hingelegt hat. Bei einem Politiker darf die Tonart nicht überraschen, zumal im Vorwahlkampf. Trotzdem, der offizielle Prolog zum Jubiläumstreffen schmeckt schal. Gibt es denn aus einem halben Jahrhundert Theaterüberfluss keine Geschichten, Höhepunkte, Skandale zu erinnern, keine ästhetischen, politischen, theaterhistorischen Ereignisse hervorzuheben? Die große Geburtstagsparty soll am nächsten Wochenende steigen, so haben es die Festspiele geplant – und bieten erstmal business as usual. Vor allem: business.

Diese Nüchternheit setzt sich in Michael Thalheimers Inszenierung fort, auf leerer Bühne. Weit hinten, auf einer hohen Mauer, lauert, kauert, thront Medea. Als wollten der Regisseur und sein Bühnenbilder Olaf Altmann sagen: Sie ist uns fern. Und sie wird uns nahekommen im Lauf des Abends. Zunächst aber ist Constanze Becker dort in der Distanz nicht leicht zu verstehen, ein Transportschaden möglicherweise. Das hat man beim Theatertreffen schon häufiger erlebt, dass Inszenierungen sich nicht ohne weiteres verpflanzen lassen. Zumal Altmann mit der Aufteilung des Raums spielt wie kein Zweiter. Er lässt Wände wandern, verschiebt die Perspektive. Erst nach einer langen Stunde geschieht das Erwartbare, wird Medea nach vorn gefahren, bleibt aber auf ihrer hohen Warte und nimmt die entsetzlichen Wahrheiten entgegen, schafft Tatsachen, schlägt zurück, lässt ihre Konkurrentin mit Zauberkraft abfackeln und begeht die Kindsmorde.

Constanze Becker spielt keine Fremde, keine Exotin, sie ist die Mitte dieser selbstzerstörerischen Gesellschaft. Wenn Jason nachher mit der Vorgeschichte kommt, den gemeinsam begangenen Verbrechen in Medeas Heimat, klingt es fast nach einem anderen Stück. Marc Oliver Schulz hat überhaupt kein Unrechtsbewusstsein, findet es vollkommen normal, Frau und Kinder zu verlassen, und das gilt erst recht für Constanze Becker. Will sie ihren Mann nicht bloß erschrecken? Verdammt kühl ist diese Frau, bis zum dem Grad, dass man das Interesse an ihrem Rachefeldzug verliert, oder was immer ihre Motive sind.

Es ist viel darüber geschrieben worden und es war ein Hauptgrund für die Einladung zum Theatertreffen, dass diese Aufführung das „Medea“-Drama in ein neues Licht stellt. Dabei umgeht Thalheimer lediglich die Eifersuchtstragödie und die einfache Tatsache, dass hier ein Paar von Abenteurern und Verbrechern sich gleichsam selbst einholt und zerstört. Das innere Erleben der Protagonisten wird letztendlich outgesourct in ein Feuerwerk von Piktogrammen (Mann und Frau und Kind und Herz und Schmerz) mit lauter Rockmusik. Und dann wieder das Deklamieren eines Textes, dessen ungeheuerlicher Inhalt die Schauspieler vor ein Rätsel stellt.

Draußen dann, am Lagerfeuer, im Garten bei der herrlich aufgeblühten Magnolie, hat das Theatertreffen gut begonnen. Leider nur bis Mitternacht, wegen der wenig toleranten Nachbarschaft. Dafür können die Festspiele aber wirklich nichts. Rüdiger Schaper

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