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Entengrützeblick. Herrschaftliches Anwesen am Koenigssee.

© Thilo Rückeis

Berliner Ufer: Villenkolonie Grunewald: Das goldene Händchen des Kanzlers

Sommerserie Berliner Ufer 5: Zu den vier Privatseen der noblen Villenkolonie Grunewald haben heute auch Spaziergänger Zugang.

Zugegeben: Ein wenig Neid schwingt schon mit, als sich am Zoologischen Garten die S-Bahn-Türen schließen. Nur vier Stationen mit den Öffentlichen und ein paar Schritte zu Fuß – schon ist der eigene Privatsee erreicht! Es war eine ziemlich geniale Idee der Projektentwickler von 1889, die für eine Bebauung nötige Trockenlegung des westlichen Grunewaldrandes gleich mit der Anlage von vier künstlichen Gewässern zu verbinden. So entstanden dutzendweise hochattraktive Filetgrundstücke mit parkartigem Garten samt eigenem Uferbereich. Genau das, was die Begüterten der deutschen Hauptstadt schätzten, um hier ihre Villen zu errichten – „in allen bekannten Stilarten kostspieliger Hässlichkeit“, wie der Schriftsteller Christopher Isherwood später notierten sollte.

Seit der Reichsgründung 1871 boomte Berlin, viele waren schnell zu viel Geld gekommen – und wollten das auch zeigen. Im Gegensatz zu den Gartenstädten, die gleichzeitig in Lichterfelde und Friedenau, Lankwitz und Westend entstanden, um nach englischem Vorbild dem Kleinbürgertum die Flucht aus der Mietskasernenhölle der Innenstadt zu ermöglichen, war das Wohnviertel im Grunewald von Anfang an als exklusives Refugium der oberen Zehntausend geplant. Und entwickelte sich auch ruck, zuck zum „Millionärskaff“, nachdem fleißige polnische Gastarbeiter hunderte Bäume gefällt und binnen wenigen Monaten die Talmi-Teiche ausgehoben hatten. Mit einer durchschnittlichen Tiefe von gerade mal 1,70 Meter sind die Gewässer nämlich reine Anschauungsobjekte, optische Sahnehäubchen für Statussymbol-Immobilien. Das Schwimmen ist verboten, neben Seerosen prägen vor allem Algen und Entengrütze das Erscheinungsbild, immer wieder droht im Herbst das biologische Gleichgewicht in den Weihern umzukippen. Aber „repräsentativ Wohnen am Wasser“ klingt eben einfach gut.

Bankier Koenigs war einer der ersten Siedler im Nobelvorort

Otto von Bismarck höchstselbst hatte das Projekt zur Chefsache erklärt, 1889 den Verkauf von 234 Hektar an ein Bankenkonsortium eingefädelt und beim Kaiser den Ausbau des Kurfürstendamms zum 54 Meter breiten Boulevard durchgesetzt. Es gab also eine standesgemäße Zufahrt, die Privatseen erhielten klingende Namen, wurden nach der Jagdgöttin Diana benannt, nach Hubertus, dem Schutzpatron der Jäger, nach der germanischen Fruchtbarkeitsgöttin Hertha – und nach Felix Koenigs, einem der ersten Siedler im neuen Nobelvorort, der als Bankier Geld scheffelte und als Mäzen der Secessionisten viel für die Malerei-Avantgarde seiner Zeit getan hat.

„Wenn ich einmal reich wär“, pfeift also der Flaneur vor sich hin, während er den Vorplatz des Bahnhofs Grunewald überquert und dann die Fontanestraße entlangläuft, um schließlich neben dem Neo-Rokoko-Palais der Freimaurerloge „Excelsior“, das auch eine Zweigstelle des Deutschen Druiden-Ordens beherbergt, einen öffentlichen Zugang zum Dianasee zu finden. Stark abschüssig und ziemlich zugewuchert ist der schmale Waldstreifen, unten angekommen versperren hohe Bäume am Ufer den neugierigen Blick auf die umliegenden Grundstücke. Außer einer Schwanenmutter mit grau gefiedertem Nachwuchs im Schlepptau bewegt sich nichts weit und breit.

Das Gefühl von Idylle, die Illusion, hier könne es sich auch um ein Gewässer irgendwo in einer menschenleeren Ecke Brandenburgs handeln, mag sich dennoch nicht einstellen. Beim Rundgang um das Seenquartett dringen stets Autogeräusche ans Spaziergängerohr – und nicht selten auch Baulärm. Denn die Gier der Grundstücksverwerter ist unersättlich. Kaum eine Villa, die hier nicht bereits raumnutzungstechnisch optimiert, das heißt durch diverse An-, Auf- und Umbauten zum grotesken Bastard aufgepumpt wurde, um möglichst viele exklusive Eigentumswohnungen in die bauliche Hülle hineinzupressen. Besonders schlimm haben die Profitmaximierer an den Weihern gewütet, die ursprüngliche Anmutung ist heute weitgehend vernichtet. Eine Änderung der ursprünglichen Richtlinie, wonach nur dreißig Prozent der Grundstücke bebaut werden durften, machte es ab den fünfziger Jahren möglich: Anstelle der luxuriösen Landhäuser, in denen nur eine Familie samt Dienstboten wohnte, breiten sich seitdem überall moderne Wohnanlagen aus. Wie tief, wie unglaublich weitläufig die viele tausend Quadratmeter großen Parzellen ursprünglich angelegt waren, wird immer dann spürbar, wenn sich mal wieder eine der handtuchschmalen Schneisen von der Straße zum Ufer öffnet. Doch wo einst die Herrschaft auf weichen Rasenteppichen zwischen üppigen Blumenrabatten und exotischen Gehölzen durch ihre parkartigen Gärten zum Wasser hinabwandelte, sind große Teile der Flächen heute versiegelt.

In die Villen wurden kleine, unverschämt teure Wohnungen gepresst

Fast möchte man von umgekehrter Gentrifizierung sprechen: Durch die Zerstörung der alten Villen kommen viel mehr Menschen in den Genuss, an den Privatseen residieren zu können. Um den Preis natürlich, dass sie dicht an dicht mit Dutzenden Nachbarn in relativ kleinen Wohnungen leben. Bei einem Preisniveau, das genauso unverschämt hoch ist wie zu Kaisers Zeiten. In der Bettinastraße, wo die 1913 errichtete Villa der Verlegerfamilie Ullstein demoliert wurde, um Platz zu schaffen für eine auf Pseudoaltbau getrimmte Anlage mit 20 Wohneinheiten, werden aktuell drei Zimmer für 1,15 Millionen Euro angeboten.

Da möchte man doch lieber Gelegenheitsgast bleiben in dieser Gegend, nur ab und an vorbeischauen, um frische Luft zu tanken, das Auge übers Wasser schweifen zu lassen. Was tatsächlich an gar nicht so wenigen Stellen möglich ist. 1979 startete das Bezirksamt Wilmersdorf das Projekt „Grünzug Grunewaldseen“: Diejenigen Bürger, so hieß es damals, die nicht das Glück haben, so privilegiert zu wohnen „und deshalb einen Mangel an entsprechenden Erholungsflächen haben“, sollten sich künftig östlich vom Diana- und Koenigssee sowie südlich vom Hertha- und Hubertussee ergehen dürfen. Einige Millionen Mark flossen dann auch, um Eigentümern jeweils einen 35 Meter breiten „Schutzstreifen“ am Ufer abzukaufen. Erwartungsgemäß waren dazu jedoch nicht alle Anrainer bereit, zudem versiegte dann auch irgendwann der Finanzierungstopf, sodass von den angestrebten vier Kilometer letztlich nur 2,1 Kilometer realisiert werden konnten.

Neben dem einen oder anderen Stummel-Zugang, der bald an einem Zaun endet, gibt es am nördlichen Zipfel des Koenigssees einen richtigen Park, der seit 2012 nach Rhoda Erdmann benannt ist, einer Pionierin der experimentellen Zellforschung, die sich 1920 als zweite Frau überhaupt in Deutschland habilitieren durfte. Was von Weitem aussieht wie vom Grünflächenamt vergessen, stellt sich aus der Nähe als „Bienen- und Schmetterlingsweide“ heraus, als Biotop also, mit „Insektenhotel“, einem Setzkasten für Holzarten und Zapfen sowie blütenreicher Ufervegetation.

Lieblicher, besonders im Abendsonnenlicht, ist der Abschnitt am südlichen Hubertussee, in dessen Mitte die Stadtplaner sogar eine kleine Insel platziert haben. Von der Terrasse an der östlichen Spitze, einer klassischen, von einem schönen Gitter eingefassten „Neugierde“, reicht der Blick fast bis zum anderen Ende, wo die repräsentative Bismarckbrücke mit Steinvasen, Obelisken und sehr wilhelminisch dreinblickenden Sphinxen prunkt. Gleich dahinter führt ein mächtiges, freundlich sperrangelweit offen stehendes Tor aufs einstige Grundstück der Familie Mendelssohn.

Das in Dimension und Anmutung an Schloss Cecilienhof erinnernde Familienpalais wurde Mitte der sechziger Jahre mit architektonischem Anspruch zu einem Großkomplex umgebaut, der als Sankt-Michaels-Heim von der Kita bis zum Jugendhotel, von der Sozialstation über Arztpraxen bis zum Hofladen so ziemlich alles aufbietet, was ein Kiezzentrum braucht – sogar einen Biergarten, in dem sich der Besucher aus der Innenstadt nach seiner Vier-Seen-Tour zur Rast niederlassen kann. Übrigens: Das am Bahnhof Zoo noch empfundene Neidgefühl ist da schon lange verflogen.

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