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Nur in Schwarz-Weiß. Larsson interessiert sich gleichermaßen für beide Hälften der Stadt. Hier zeigt er Jungen in Ost-Berlin 1963 beim Hockey.

©  SMB/bpk, Kunstbibliothek

Bernard Larsson im Museum für Fotografie: Die Bilder eines fernen Berlins

Bernard Larsson streifte in den 60er Jahren durch Berlin – als die Stadt dem verlorenen Krieg näher war als der heutigen Gegenwart. Jetzt widmet ihm das Museum für Fotografie eine Ausstellung.

„Wer die DDR angreift, wird vernichtet“, steht auf einem langen Spruchband. Es hängt an der Ufermauer der Spree, dort, wo die eine Seite zu Ost-Berlin gehört, die Leser der Parole aber auf West-Berliner Boden stehen. Heute kann man über solche Großmäuligkeit den Kopf schütteln; damals aber, 1962 und so kurz nach dem Mauerbau, musste man die Drohung ernst nehmen. Es war die Zeit, als „ein Gewehrschuss an der Mauer den dritten Weltkrieg auslösen“ konnte, wie die Politik damals fürchtete.

Der Alltag im Ost-Berlin der frühen sechziger Jahre war weniger martialisch. Ihn verwunderte, „wie leer die Straßen waren“, erzählt Bernard Larsson, gebürtiger Hamburger Jahrgang 1939 mit schwedischem Pass. Er lebte damals zeitweise in Ost-Berlin und fotografierte Festliches und Alltägliches.

Nicht einmal ein Jahrzehnt lang, eben die sechziger Jahre hindurch, hat er als Fotoreporter gearbeitet, doch abgesehen von zwei Jahren beim „Stern“ während der Zeit, da die Studentenrevolte nach West-Berlin schwappte, ohne Auftrag. „Keiner wollte die Sachen haben, damit konnte man keinen Blumentopf gewinnen“, sagt er heute mit leicht vorwurfsvollem Unterton über seine Ost-Berliner Fotonotizen. Sie bilden den Schwerpunkt der Ausstellung, die das Museum für Fotografie beim Bahnhof Zoo dem weitaus jünger wirkenden 77-jährigen Wahlmünchner ausrichtet.

Die Ausstellung "liest" sich wie ein Tagebuch

So ganz stimmt die Klage nicht, immerhin hat Bernard Larsson 1964 das Buch „Die ganze Stadt Berlin“ beim „Zeit“-Verlag veröffentlichen können, dessen Titel in jener Zeit der vollständigsten, noch nicht einmal durch die späteren Passierscheine abgemilderten Teilung eine Aussage war, bekräftigt durch den Untertitel „Politische Fotos“. „Zeit“-Verleger Gerd Bucerius sagte damals die Veröffentlichung sofort zu, nachdem ihm Gräfin Dönhoff den jungen Mann und seine Fotos vorgestellt hatte.

Nur dieses Buch und eine Broschüre in der Reihe „Voltaire Flugschrift“ hat Larsson damals veröffentlichen können. Die Bücher liegen kostbar in Vitrinen inmitten der Ausstellung, für die er die ausgewählten 225 Aufnahmen nochmals neu hat abziehen lassen, fast alle im Format 30 mal 40 Zentimeter. Das gibt der Ausstellung eine große Einheitlichkeit. Sie „liest“ sich wie ein Tagebuch, auch wenn Kurator und Museumsleiter Ludger Derenthal thematische Gruppen zusammengestellt hat, wie „Die Mauer“ oder „Kinder“. Das Schwarz-Weiß der Aufnahmen – Bernard Larsson arbeitete, wie damals alle ernsthaften Reporter, ausschließlich in Schwarz-Weiß – lässt das Grau des Ost- wie im Übrigen auch des West-Berliner Alltags nur noch schärfer hervortreten.

Hinter den Werbetafeln die Trümmer

Ohne Rahmen sind die Abzüge an die Stellwände genagelt. „Ich bin kein Kunstfotograf“, beharrt Larsson, der nach den Sechzigern als Mode- und Auftragsfotograf gearbeitet hat. „Es ging nicht um die Mauer, sondern um die Mauer als Teil einer Machtdemonstration, eingebunden in den internationalen Kontext.“ Er nennt es „das große Thema“, und er hätte sich „so etwas wie die Farm Security Administration“ in den USA der New-Deal-Jahre gewünscht, um die politische Situation der damaligen Zeit umfassend zu dokumentieren.

So ist es bei seinem fotografischen Tagebuch geblieben. Larsson schaut von außen auf das, was er vor sich sieht, weder denunziert er den ärmlichen Alltag Ost-Berlins inmitten von trostlosen Brachflächen, noch macht er sich gemein mit der Propaganda. „Berlin war eine Stadt in Kulissen, Ost wie West“, sagt er, „hinter den Werbetafeln lagen die Trümmer.“ Ein Ost-Berliner Schaukasten mit der Aufschrift „Hier spricht die demokratische Presse“ sagt genug: Er ist leer.

Larsson ist den damaligen Kulturgrößen begegnet, im Westen Günter Grass, Uwe Johnson, im Osten Anna Seghers und Helene Weigel. Mit der Kamera kam er ihnen räumlich nahe, doch die Bilder halten Distanz. Erst während der Studentenunruhen gibt Larsson diese Distanz auf, wird vom Beobachter zum engagierten Zeugen.

Er hat die Demonstranten am Kranzler-Eck und die Festnahmen der Polizei fotografiert, die Proteste wie auch die „Jubelperser“ beim Schah-Besuch 1967 vor der Deutschen Oper, und er hat die entscheidende Szene jenes 2. Juni festgehalten, den Tod des vom Polizisten und Spitzel Kurras erschossenen Benno Ohnesorg. Diese Aufnahmen hat dann der „Studentische Untersuchungsausschuss des AStA“ ausgestellt und Gegenöffentlichkeit hergestellt, und wenige Wochen später erschien dann besagte „Voltaire Flugschrift“ unter dem Titel „Demonstration. Ein Berliner Modell“.

Ein Berlin, das man sich nicht mehr vorstellen kann

Man mag sich kaum ausdenken, was für ein Chronist deutsch-deutscher Zustände Larsson hätte bleiben können, hätte ihm ein Verlag ein unreglementiertes, selbstbestimmtes Weiterarbeiten ermöglicht. Larsson ging nach Schweden und von da in die CSSR des im August 1968 niedergeschlagenen „Prager Frühlings“. Das war’s mit der engagierten Fotografie, mit diesem Kapitel schließt die Ausstellung, in der einige Wände der sehr schönen, klaren und stringenten Arrangements zudem Reisebilder aus Marokko und Spanien zeigen, in denen vor allem das Land Francos unendlich weit weg erscheint, archaisch und karg.

An der Mauer: Ecke Wolliner/Bernauer Straße, West-Berlin im Jahr 1962.
An der Mauer: Ecke Wolliner/Bernauer Straße, West-Berlin im Jahr 1962.

© SMB/bpk, Kunstbibliothek

Unendlich weit weg ist auch das Berlin dieser sechziger Jahre, viel näher dran am eben erst verlorenen Krieg als an der heutigen Gegenwart. Frauen gehen einkaufen, Kinder spielen, Männer in Uniformen machen sich wichtig. An der Zimmerstraße beim Checkpoint Charlie besagt eine der Tafeln, die die Grenze markierten, man verlasse den amerikanischen Sektor, und auf ihrer Rückseite, man betrete ihn.

„Leaving“ und „Entering“, und so hat Larsson seine Ausstellung betitelt: „Leaving is entering. Fotografien 1961–1968“. Wir verlassen das Heute und betreten eine ferne Welt, die doch unser aller Vergangenheit ist. Schade, mehr als schade, dass die Staatliche Museen Berlin zu dieser Ausstellung keinen Katalog herausgebracht haben, zur beständigen Erinnerung an ein Berlin, das man sich gar nicht mehr vorstellen kann.

Museum für Fotografie, Jebensstraße 2, bis 8. Januar 2017. Kein Katalog, kostenloses Ausstellungsverzeichnis.

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