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Eloquenter Lebemann. Bernhard von Brentano (1901-1964).

© Schöffling Verlag

Bernard von Brentano: Für eine Frau ist alles anders

Neu zu entdecken: Der Quergeist Bernard von Brentano und sein Liebesroman „Franziska Scheler“, der auch die Politikverdrossenheit der Ober- und Mittelschicht während der Weimarer Republik spiegelt.

Sympathische Autoren schreiben nicht unbedingt die besseren Texte. Es ist sogar oft so, dass gerade die launischen, labilen, auch moralisch zweifelhaften Schreiber großartige Literatur hervorbringen. Aber soll man die Person des rätselhaft wankelmütigen Bernard von Brentano tatsächlich mit seinem Werk in Verbindung bringen? Der Neuen Sachlichkeit verpflichtet, erschrieb er sich als junger Journalist im Berlin der späten zwanziger Jahre den Ruf eines scharfsichtigen Großstadtflaneurs und politischen Provokateurs.

Er stand der KPD nahe, war mit Joseph Roth und Bertolt Brecht befreundet und warnte in seinem Reportagenband „Der Beginn der Barbarei in Deutschland“ 1932 hellsichtig vor dem totalitären Rechtsruck. Als das Buch nach Hitlers Machtübernahme verboten wurde, ging er 1933 ins Schweizer Exil.

Dort aber kam es, begleitet von heftigen Heimwehattacken, zu einem erstaunlichen Sinneswandel: Aus dem einstigen Salonmarxisten wurde ein flammender Patriot, der sich nicht nur weigerte, Hitler-Deutschland die Kriegsniederlage zu wünschen, sondern 1940 sogar einen Repatriierungsantrag stellte. Wegen seiner zur Schau getragenen Vaterlandsliebe geriet Brentano innerhalb der Emigrantenszene schnell ins Abseits und wurde den Ruch des Nazi-Mitläufers nie wieder ganz los.

Umso mutiger ist es, dass der Frankfurter Schöffling Verlag, 50 Jahre nach Brentanos Tod, die literarische Rehabilitierung des politisch Unkorrekten wagt. Nachdem 2014 sein Roman „Theodor Chindler“ neu aufgelegt wurde, folgt jetzt „Franziska Scheler“, vordergründig die Fortsetzung der Chindler-Chronik.

Der Erste Weltkrieg, der in Teil eins wütete und die Großfamilie auseinandertrieb, ist seit elf Jahren vorbei. Man schreibt das Jahr 1929. Und Brentano konzentriert sich im Nachfolgeroman auf den zweitjüngsten Sohn Leopold Chindler, in dem man unschwer sein Alter Ego erkennen kann. Wie sein Schöpfer arbeitet auch Leopold als Zeitungsredakteur in Berlin und genießt das Leben eines Bohemiens, als er sich in Franziska Scheler verliebt, eine auffallend hübsche, aber bereits geschiedene Frau und Mutter eines kleinen Sohns.

Wie der Vorgänger ist „Franziska Scheler“ ein Gesellschaftsroman, jedoch mit thematisch völlig anderer Stoßrichtung. Wurde in „Theodor Chindler“ der deutsche Untertanengeist während der Kaiserzeit ausgeleuchtet, spielt die große Politik im zweiten Teil der Chronik nur eine Nebenrolle. Lieber wendet sich Brentano hier einer literarischen Lieblingsfrage des 19. Jahrhunderts zu. Nämlich derjenigen, ob Mann und Frau überhaupt verträglich zusammenleben können.

Franziska Scheler ist geschieden und wird stigmatisiert

Ähnlich wie Tolstois Anna Karenina oder Fontanes Effi Briest leidet auch die geschiedene Franziska Scheler unter dem Stigma der gefallenen Tochter. „Für einen Mann ist das alles anders“, erklärt sie ihrem Verehrer Leopold beim Rendezvous, „aber wenn eine Frau allein lebt, ist sie das reine Freiwild. Wenn man kein Geld hat, will einen niemand heiraten.“ Ein Ehrverlust, der für Anna Karenina und Effi Briest bekanntlich noch mit Selbstmord endete, für Brentanos Heldin aber dank eines sich wandelnden Frauenbilds glimpflich ausgeht.

„Franziska Scheler“ erzählt also eigentlich eine erfolgreiche Emanzipationsgeschichte. Nur dass die Heldin bis zum Schluss alles andere als selbstbewusst wirkt – und man ihr die Entwicklung zur eigenständigen Fotografin darum auch nicht abnimmt. Entspricht Brentanos geschiedene Adelstochter doch dem patriarchalen Wunschtypus der devoten Kindfrau, die auf männliche Errettung hofft und einzig durch ihre Schönheit auffällt. In Leopold erblickt Franziska bezeichnenderweise ihren „Lehrer“, dem sie versichert: „Ich bin immer wartend, nur noch Sehnsucht nach dir. Ich sterbe, wenn du fortgehst.“ Oder auch: „Ich tue, was von mir verlangt wird, aber mehr fällt mir nicht ein.“

Den Zeitungsmachern ist jedes Mittel zu Auflagensteigerung recht

Eine weitere Schwäche des Romans ist sein anekdotischer Aufbau. Außer der Liebesgeschichte erzählt Brentano nämlich noch vieles andere: Interessantes, aber auch Abseitiges. Interessant sind die Einblicke in den Redaktionsalltag der „Berliner Allgemeinen“, erkennbar ein Abbild der „Frankfurter Zeitung“, Brentanos einstigem Hausblatt.

Da die „Allgemeine“ wie so manche heutige Zeitung in der ökonomischen Krise steckt, ist den Machern jedes Mittel zur Auflagensteigerung recht. So schrecken sie nicht einmal vor der Inszenierung eines Literaturskandals auf Kosten des eigenen Kollegen Leopold zurück, weil der als Berufslinker ein lobendes Buch über den konservativen Metternich-Berater Friedrich von Gentz geschrieben hat. Aufschlussreich auch die Auftritte des älteren Bruders Karl, der es vom Frontoffizier zum leitenden Beamten des Innenministeriums gebracht hat – die Regierung aber trotzdem als „schwächliches, markloses Gebilde“ beschimpft. Eine fatale Hassliebe zur neuen Republik, wie sie viele sogenannte Demokraten damals hegten.

Dass die Nationalsozialisten 1930 Wahlerfolge feiern, bleibt unerwähnt

Geradezu belanglos liest sich hingegen die ausufernde Schilderung einer Polenreise, die das Liebespaar unternimmt. Und spätestens, als Leopolds verschollene Schwester Margarethe wie eine dea ex machina auftaucht, um (wie schon im „Chindler“) verbissen für die kommunistische Revolution einzutreten, verschlappt das Buch endgültig in den heiter-harmlosen Episodenroman. Schafft Brentano es doch selbst an dieser Stelle, ausgerechnet den entscheidenden Umwälzungsfaktor der deutschen Katastrophenjahre 1929 und 1930 völlig auszublenden: Die Nationalsozialisten, die bei der Reichstagswahl 1930 zur zweitstärksten Partei aufstiegen, werden in „Franziska Scheler“ mit keiner Silbe erwähnt.

Insofern bleibt ein zwiespältiger Leseeindruck zurück. Als Zeitdokument ist der erstmals 1945 veröffentlichte Roman lesenswert, zumal die dargestellte Politikverdrossenheit der Ober- und Mittelschicht verblüffend große Ähnlichkeit mit dem heutigen Wutbürgertum besitzt. Insgesamt aber krankt Brentanos autobiografisch grundierte Liebesgeschichte zu sehr daran, dass sich der Exilant hier eine Wunschversion seiner verlorenen Heimat herbeigeschrieben hat, in der kein Geschlechterkampf und kein Nazi-Terror existiert – und der verhöhnte Leopold am Ende zu allem Überfluss glorreich über seine Verleumder triumphiert. Ein bisschen viel rosa Brille für ein Deutschland am Rand des faschistischen Abgrunds.

Bernard von Brentano: Franziska Scheler. Roman. Hrsg. und mit einem Nachwort von Sven Hanuschek, Schöffling Verlag, Frankfurt a.M. 2015. 440 Seiten, 22,95 €.

Gisa Funck

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