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Kultur: Bernsteinschimmer

Christina Tilmann über Schlösser, Schafe & die Sehnsucht nach Reproduktion „Matrix Reloaded“ hat es uns wieder gelehrt: das Misstrauen gegenüber dem äußeren Erscheinungsbild. Hochhäuser in einer amerikanischen Metropole, einsame Gebirgslandschaften oder ein Hinterhof in Brooklyn – alles nur virtuelle Simulationen, die man per Mausklick verändern kann.

Christina Tilmann über Schlösser, Schafe & die Sehnsucht nach Reproduktion

„Matrix Reloaded“ hat es uns wieder gelehrt: das Misstrauen gegenüber dem äußeren Erscheinungsbild. Hochhäuser in einer amerikanischen Metropole, einsame Gebirgslandschaften oder ein Hinterhof in Brooklyn – alles nur virtuelle Simulationen, die man per Mausklick verändern kann. Die Menschen: nur noch Rohmaterial, das frisch geklont in Fruchtblasen lagert und dem eine schöne heile Welt vorgegaukelt wird. Das Klonschaf Dolly hätte, wäre es nicht an vorzeitiger Alterung gestorben, auf einer dieser virtuellen Spielwiesen grasen können.

Vielleicht, hätte Neo eine andere Tür geöffnet, wäre er im Petersburger Bernsteinzimmer gelandet, oder im Berliner Schloss. Denn je avancierter die technischen Möglichkeiten, umso größer wird offenbar die Sehnsucht nach Rekonstruktion, nach Wiederherstellung des Urzustands. Früher hat man gelacht über die Amerikaner, die sich in Disneyland Europa im Kleinformat nachbauten oder in „The Cloisters“ ganze romanische Klosteranlagen nach New York transferierten. Nun kämpft man schon seit mehr als zehn Jahren in Berlin für den originalgetreuen Wiederaufbau des nach dem Krieg zerstörten Stadtschlosses. Und in Riesa klont man den Schiefen Turm von Pisa.

Bernd Kauffmann, der clevere Kulturvermittler, hat diese Sehnsucht nach Reproduktion früh erkannt. Als Weimar 1999 Kulturhauptstadt Europas war, schenkte er der Goethestadt ein zweites Gartenhaus. Kauffmanns Argument: Da in dem Gartenhaus am Rande der IlmAuen, in dem Goethe seine Schäferstündchen mit Christine Vulpius abhielt, nach mehreren Restaurierungen ohnehin längst nichts mehr original sei, könne man das bei Touristen außerordentlich beliebte Ausflugsziel auch gleich klonen. Schont auch das Original. 120000 Besucher zählte das geklonte Haus in einem Jahr. Dann wurde es in den Nachbarort Bad Sulza verkauft. Davon träumen auch die russischen Kunsthandwerker, die in zwanzigjähriger Handarbeit Bernsteinzimmer im Katharinenpalast rekonstruiert haben, das heute wieder eröffnet wird. Ein zweites Bernsteinzimmer in Japan, das wär’s. Arbeit für weitere Jahrzehnte und sicherer Lohn dazu. Ein ganz realer Wunsch.

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