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Platz für Sexisten? Die Volksbühne mit dem „Räuberrad“.

© Doris Spiekermann-Klaas/TSP

Beschwerden von zehn Frauen: MeToo-Vorwürfe gegen Intendanten der Berliner Volksbühne

Die Senatsverwaltung für Kultur prüft Vorwürfe gegen Intendant Klaus Dörr. Er soll mehrere Frauen sexistisch beleidigt haben.

Theaterkrisen gibt es oft, sie gehören zum Betrieb wie die Kantine. Aber der Shutdown der letzten zwölf Monate ist beispiellos. In den kommenden Wochen sollen einzelne Bühnen in einem Pilotprojekt für kleines Publikum öffnen, dabei steigen die Infektionszahlen wieder. Allmählich muss man sich damit vertraut machen, dass auch diese Spielzeit verloren ist.

Ein Horrorszenario für die gesamte Kultur. Und auch noch das: „Metoo an der Volksbühne – Eine Bühne für Sexisten“, titelt die „taz“ in ihrer Wochenendausgabe. „Mehrere Mitarbeiterinnen der Berliner Volksbühne erheben Vorwürfe gegen Intendant Klaus Dörr.“ Und: „War die Senatsverwaltung gewarnt?“

Schon wieder die Volksbühne! Nach dem Bericht haben zehn Frauen bei Themis, der Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt, Beschwerde eingereicht. Dörr habe den Mitarbeiterinnen unangemessene SMS geschickt, sexistische Bemerkungen gemacht, Frauen im Gespräch erniedrigt und beleidigt und anzüglich angestarrt und auch körperlich berührt. Themis leitete die schriftliche Beschwerde im Januar dieses Jahres an Kultursenator Klaus Lederer (Linke) weiter. Am 2. März soll es dazu ein vertrauliches Gespräch mit der Kulturverwaltung gegeben haben. Dörr möchte sich zu den „halt- und substanzlosen Anschuldigungen“ nicht äußern und hat einen Anwalt eingeschaltet.

Insgesamt zeichnet der „taz“-Artikel ein Bild von Bedrücktheit und Angst an der Volksbühne, der Intendant lege immer wieder übergriffiges Verhalten an den Tag und nutze seine Machtposition aus. Strafrechtlich relevant sei davon praktisch nichts. Aber wer will an einem solchen Haus arbeiten, wenn diese Vorwürfe denn zutreffen? Dahinter steht die Frage, ob es an anderen Bühnen ebenso zugeht und die Probleme systemimmanent sind – in staatlichen Betrieben. MeToo hat sicher manches in Gang gebracht. Aber die Volksbühne ist dann noch einmal ein besonderer Fall.

Klaus Dörr, Jahrgang 1961, wurde 2018 nach der Demission von Chris Dercon als Retter geholt. Er stabilisierte das durchgewirbelte Haus, war zuvor bei Armin Petras am Schauspiel Stuttgart und am Maxim Gorki Theater in Berlin erfolgreich tätig. Als Theaterleiter des Übergangs waren ihm enge Grenzen gesetzt. Dann kam auch noch Corona. Im Sommer soll er an René Pollesch übergeben: Der Regisseur kehrt als Intendant dorthin zurück, wo seine Karriere begann.

Über alldem schwebt der Geist von Frank Castorf, den Dercon nicht beerben konnte. Das legendäre Castorf-Vierteljahrhundert veränderte die Theaterwelt weit über Berlin hinaus. Castorf war der letzte Patriarch. Theaterarbeit und Privatleben, sofern man in dieser Branche überhaupt von Privatheit sprechen kann, zumal damals, waren nicht auseinanderzuhalten. Castorf war auch als Typ einmalig: der unangepasste Linke, der intellektuelle Playboy, unglaublich schlagfertig und charmant – und mit einem Frauenbild in seinen Inszenierungen, das sexistische Züge trägt. Jetzt kann man es so sehen. Vor zehn, zwanzig Jahren spielte das keine Rolle, Castorfs Ironie und Ambivalenz wurden gefeiert. Castorf kam mit allem durch. Die Zeiten ändern sich schnell.

Und Lederer? Er lässt prüfen: „Die Anhörung wird noch ausgewertet, weitere Gespräche folgen. Der Vorgang ist nicht abgeschlossen.“ In ein paar Wochen ist Klaus Dörr weg, und es wird ohnehin nicht gespielt. Vor zwei Jahren verlängerte Lederer den Vertrag mit Daniel Barenboim an der Staatsoper bis 2027. Vorwürfe gegen den Maestro wegen seines Führungsstils erledigten sich irgendwie. Ob es an der Volksbühne wieder so schnell zur Tagesordnung geht? Das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz gilt als linkes, fortschrittliches Theater. Das hat vor Machismo noch nie geschützt. Rüdiger Schaper

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