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Kultur: Besser wohnen

Die Berliner Akademie der Künste feiert den 100. Geburtstag des Deutschen Werkbunds

Jedes neue Jahrhundert beginnt mit einem Aufstand der Architekten – selbst wenn er sich um ein paar Jahre verspätet. Am 5. und 6. Oktober 1907, schlossen sich zwölf Architekten und Künstler sowie zwölf Industrielle und Politiker im Münchner Hotel „Vier Jahreszeiten“ zu einer der revolutionärsten deutschen Kulturpropaganda-Institutionen des 20. Jahrhunderts zusammen: dem Deutschen Werkbund (DWB).

Auch wenn der formelle Gründungsimpetus heute nach Vereinsmeierei und Hinterzimmerpalaver riecht, war der Anspruch der Werkbündler wahrhaft umfassend. „Vom Sofakissen bis zum Städtebau“, so das Diktum des Mitinitiators Hermann Muthesius, wollte der Werkbund aufräumen mit der angestaubten Produktkultur des späten 19. Jahrhunderts. Am Pranger standen Historismus und Gründerzeit. Nach den Wirren des Jugendstils hoffte die jüngere Generation endlich vorzustoßen zur reinen, sachlichen Form. Der frühe Werkbund war der Durchlauferhitzer einer Moderne im Wartestand.

Zum Beispiel der Begriff „Made in Germany“: Es war ursprünglich die englische Konkurrenz, die ihn erfunden hatte, um minderwertige deutsche Produkte zu verspotten. Nun aber sollte er auf dem Weltmarkt strahlen. Nicht umsonst gehörten neben den kreativen Geistern auch weitblickende Industrielle wie Walther Rathenau und liberale Politiker wie Friedrich Naumann zu den Werkbund-Vätern. Zur Globalisierung strebende Märkte? Alles schon mal da gewesen.

Hundert Jahre Deutscher Werkbund: Das ist auch die Geschichte eines produktfixierten Landes anhand seiner Gegenstände. Die große Jubiläumsausstellung, im Frühjahr in München, nun in der Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg zu sehen, nimmt den Jahrhundertweg im Galopp. Eben noch hatte man sich dort dem dezent ornamentalen Vorgeplänkel englischer Arts-and-CraftsKunststücke hingegeben, schon steht man vor der radikalen Simplizität von Richard Riemerschmids Maschinenmöbeln. Der Künstler, der sich wie viele seiner Generation vom Maler zum Architekten entwickelt hatte, entwarf sie für die Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst in Dresden-Hellerau. Handwerkskunst und Maschinenmöbel: Schon in diesem Wortpaar steckt das ganze Dilemma der Werkbundgründer.

Die im Umkreis des DWB bis 1914 entstandene Produktkultur erzählt viel über die bürgerliche Mentalität im damaligen Deutschland. Industrieprodukte sollten durch intelligente künstlerische Gestaltung „veredelt“ werden – und im täglichen Gebrauch sogar ihre Benutzer erziehen. Heute mutet dieser Furor naiv an. Er hat sich lange gehalten. Bis in die sechziger Jahre erschienen in beiden deutschen Staaten Einrichtungsratgeber in der Art von „Wie wohne ich richtig?“

Doch da war die große Zeit des Werkbunds schon vorbei. Als Propagandainstitut hatte er lange vor allem durch große Ausstellungen und die damit verbundenen Neubauten gewirkt. Die legendäre Werkbund-Ausstellung in Köln 1914, für die Henry van de Velde ein eigenes Theater und Bruno Taut sein berühmtes Glashaus entworfen hatten, musste bei Kriegsbeginn beendet werden; die Bauten wurden abgebrochen. 1927 feierte der Werkbund unter der Leitung von Ludwig Mies van der Rohe seinen größten – und umstrittensten – Erfolg: die Ausstellung „Die Wohnung“ und die als Eins-zu-eins-Modell künftigen Lebens gedachte Siedlung am Weißenhof in Stuttgart. Die zeitgenössischen Fotos heller Villen und Wohnblöcke mit davor posierenden automobilisierten Damen sind zu Ikonen geworden. In der Ausstellung stehen dunkel gebeizte Sitzmöbel des Frankfurter Architekten Ferdinand Kramer aus einem Weißenhof-Interieur. Sie erinnern daran, dass die Architekturm-Moderne nicht zwangsläufig ungemütlich und technizistisch gewesen ist, wie es von konservativen Kritikern gebetsmühlenhaft behauptet wurde.

Dass das Werkbund-Ethos unter den Nationalsozialisten in Nischen wie dem Industriedesign überlebt hat, weiß man. Von Albert Speer als Chef des Amtes „Schönheit der Arbeit“ wurde die Institution sogar benutzt. Neuigkeiten hat das Kuratorenteam um Winfried Nerdinger (Architekturmuseum der TU München) und Werner Durth (TU Darmstadt) über das Ende des alten Werkbunds zu bieten. Die 1933 gleichgeschaltete Vereinigung wurde nicht – wie bislang angenommen – sofort, sondern erst 1938 aufgelöst. Totgesagte leben länger.

Richtig aufgewacht ist der von Aktivisten wie Hans Scharoun unmittelbar nach Kriegsende ideell reanimierte und 1950 offiziell wiederbegründete DWB allerdings nicht mehr. Zwar bestückte man wieder Musterwohnungen: etwa zur Interbau 1957 im Hansaviertel, über dessen Vor- und Baugeschichte eine weitere materialreiche Ausstellung der Darmstädter Kuratoren im Erdgeschoss der Akademie informiert. Als Lehrmittel für Schulen wurden „Werkbundkisten“ mit Produktbeispielen der „guten Form“ propagiert. Und mit einer Tagung über „Die große Landzerstörung“ gehörte man 1959 zu den frühesten Kritikern des ungebremsten Wachstums. All das war ehrenwert – und erreichte doch nie mehr die Signifikanz der ersten Jahrzehnte.

So durfte Julius Posener, dem Berlin die Erhaltung etlicher Bauten von Muthesius und anderen Werkbündlern verdankt, schon 1986 geradeheraus fragen: „Brauchen wir den Werkbund noch?“ Eine klare Antwort geben auch die Kuratoren nicht. Am Ende des Rundgangs steht das Modell der neuen Werkbundsiedlung Wiesenfeld. Im Norden Münchens soll nach dem Entwurf des Japaners Kazunari Sakamoto ein ganzes Viertel experimentelles Wohnen erproben – wie in besten Werkbundzeiten. Derzeit allerdings droht das Projekt an der Finanznot der beteiligten Wohnungsbaugesellschaften zu scheitern. So wenig Zukunft war nie.

Akademie der Künste, Hanseatenweg, bis 18. 11. Katalog (Prestel Verlag) in der Ausstellung 38 €, im Buchhandel 58 €.

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