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Kultur: Bestiarium: Jürgen Theobaldy sieht Tiere an

Selten seit Apollinaires "Gefolge des Orpheus" sind Tiere so bedichtet worden wie in Jürgen Theobaldys neuem Band "Immer wieder alles". Aber es ist ein hinterlistiges Bestiarium, das der in Bern lebende Lyriker uns da offenbart.

Selten seit Apollinaires "Gefolge des Orpheus" sind Tiere so bedichtet worden wie in Jürgen Theobaldys neuem Band "Immer wieder alles". Aber es ist ein hinterlistiges Bestiarium, das der in Bern lebende Lyriker uns da offenbart. Selten bleiben Ziege, Pferd, Floh, Schwalbe, Amsel Rohrspatz, Maus, Reh oder Hund unter sich. Der Fisch ist gar schon in der Dose gelandet, "zerstückelt, eingesalzen/ und in Öl getunkt". Er "gleicht nicht mehr/ jenem Tier, das flink und silbern durch die Tiefe schwamm". Trotzdem "könnte noch vom Leben dieses Fisches/ ein Etwas aus den Versen tauchen,-/ auch wenn sie nicht mehr riechen,/ wonach der Fisch gerochen hat". Die Maus scheint nur in die Falle gegangen, um mit Wittgenstein sanft zur Räson gebracht zu werden: "Worüber du nicht reden wolltest,/ Feldmaus, davon musst du schweigen." Was sie nun freilich auch nicht mehr rettet. Die Rohrspatzen begegnen uns bei Theobaldy als verwegene Abenteurer, von denen "wenig gewiss" ist, als tragikomische Warner vor dem Wahnsinn einer durchkommerzialisierten Welt. Mit heiterer Leichtigkeit und in äußerst dichten Versen konfrontiert Theobaldy sein tierisches Ausgebot mit einer aus den Fugen geratenen Menschenwelt. Fast zehn Jahre hat der 1944 geborene Dichter sich für dieses schmale Bändchen Zeit gelassen; es ist sein bestes geworden.

Volker Sielaff

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