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Lichter der Großbaustelle. Die Elbphilharmonie, die auf einem Kai der Hafencity in den Fluss ragt, in abendlicher Beleuchtung.

© Thies Raetzke

Besuch in der Elbphilharmonie: Das Wunder von Hamburg

Bislang stand die Elbphilharmonie vor allem für Skandale: Die Baukosten verzehnfachten sich, die Eröffnung musste mehrmals verschoben werden. Doch wer in diesen Tagen die Baustelle in Hamburg besichtigt, erkennt: Es entsteht ein architektonisches Meisterwerk.

Hier oben möchte man Fofftein machen. Jene fünfzehnminütige Pause, wie sie sich Plattdeutsch sprechende Hafenarbeiter zwischendurch gerne mal gönnen. Einfach nur den Blick schweifen lassen, sich sattsehen. Den Möwen zuhören und den Schiffssirenen. Das Rundumpanorama von der in 37 Meter Höhe gelegenen Piazza der Elbphilharmonie ist noch genauso sensationell wie vor viereinhalb Jahren, als das Richtfest gefeiert wurde für Hamburgs peinlichstes Prestigeprojekt. Noch stehen überall Gerüste, noch dominiert nackter Beton, doch der fantasiebegabte Besucher spürt es nun ganz deutlich: Hier entsteht tatsächlich etwas Großes – nicht bloß in der quantitativen Hinsicht der Höhenmeter.

Lange taugte die dramatische Entstehungsgeschichte der Elbphilharmonie dem Berliner Betrachter vor allem als Balsam für die eigene Seele: Wir Flughafen- und Staatsopern-Desaster-Hauptstädter sind nicht die Einzigen, die wegen ihrer megalomanen Endlosbaustellen verlacht werden. Seit April 2007 wird am historischen Kaispeicher in der Hafencity herumgewerkelt, im verzweifelten Bemühen, einen visionären Entwurf des Schweizer Architekturbüros Herzog & de Meuron umzusetzen.

Ursprünglich sollten die Arbeiten 77 Millionen Euro kosten, dann wurden 114 Millionen veranschlagt, schließlich 575 Millionen. Im April letzten Jahres verkündete Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, schlussendlich werden 789 Millionen Euro fällig. Dafür aber verspricht das Unternehmen Hochtief auch, am 31. Oktober 2016 das Haus schlüsselfertig zu übergeben. Also nur sieben Jahre später als ursprünglich annonciert.

Zwischenzeitlich führten die Finanz- und Verantwortungsstreitigkeiten zwischen Politik und „Generalplaner“ zu einem 18-monatigen Baustopp. Im vergangenen Sommer ging es dann endlich weiter, in diesem August wurde die Dachkonstruktion fertig, 1000 Tonnen schwer. Eine Fläche von 6000 Quadratmetern gliedert sich in acht konkave, gewagte Wellenschwünge, die bis auf 110 Meter hochschießen. 6000 Pailletten mit jeweils einem Meter Durchmesser lassen das Haus jetzt in der Sonne glitzern. Damit ist die Elbphilharmonie regendicht, der Innenausbau kann wetterunabhängig vorangehen. Die Fertigstellung einer Ikone, innovativ und traditionsverbunden zugleich, ganz so wie sich die Bürger der Hansestadt selber gerne sehen.

Die Piazza im zehnten Stock beispielsweise, die Tag und Nacht jedem Interessierten offenstehen wird, bekommt einen roten Klinkerboden. Aus besonders schönen Steinen, mit ganz individueller, im Brennvorgang per Hitze und Zufall generierter Maserung. Die Besucher werden also über genau jenen Werkstoff schreiten, aus dem die bedeutendsten Bauten der Stadt gemacht sind. Vor allem die Hauptkirchen von St. Petri über St. Jacobi bis zum „Michel“, deren Spitzen die Skyline landeinwärts dominieren. Noch spektakulärer präsentiert sich für Ortsfremde aber die Seite, wo sich das Hafenbecken ausbreitet und dahinter schier endlose Industrieflächen mit buntscheckigen Hochsee-Frachtcontainern.

Fels in der Brandung. Das Gebäude der Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron spielt mit maritimen Motiven.
Fels in der Brandung. Das Gebäude der Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron spielt mit maritimen Motiven.

© Thies Raetzke

Den Postkartenblick auf den Komplex, zu dem neben dem Konzertsaal auch ein Hotel und Nobelapartments gehören, wird man von jenseits der Elbe haben, von den Terrassen der beiden Musical-Theater. Staunend sollen die Gäste vom Dauerbrenner „König der Löwen“ und der neuen Show „Das Wunder von Bern“, die Ende November im angrenzenden Neubau Premiere feiert, künftig hinüberschauen – und sich vornehmen, bald auch mal für den Hochkulturtempel Tickets zu kaufen. Zumindest in der Fantasie der Stadtvermarkter.

Eine Attraktion der Musical-Bühnen ist, dass man sie nur per Schiff von den Landungsbrücken aus erreicht. Wenn die Elbphilharmonie nach der internen Erprobungsphase dann tatsächlich im Frühjahr 2017 mit dem Musikbetrieb loslegt, wird sie ebenfalls übers Wasser erreichbar sein. Über eine spezielle Doppel-Rolltreppe, die erst steil nach oben fährt und dann nahtlos in einen sanfteren Anstiegswinkel übergeht, werden die Besucher zur Piazza transportiert.

Viel Ärger gab es um diese Innovation: Weil sie im unteren Teil innen liegend startet, am oberen, offenen Ende aber dem wechselhaften Hamburger Wetter ausgesetzt ist, bildeten sich bald Risse. Das Problem soll nun behoben sein, ein erster Blick in die indirekt beleuchtete Röhre gibt eine Ahnung davon, wie atemberaubend das Entree sein wird.

Ganz neu erfunden werden musste auch das Verfahren für die Verglasung der oberen Stockwerke. Denn die Scheiben werden zuerst mit einer Folie beschichtet und danach erst im Ofen in die charakteristische Form gebracht, die Jacques Herzog, Pierre de Meuron und ihre Mitarbeiter für die Fassade erdacht haben. Von außen sollen sich in den Fenster-Wobbeln Wellen und Wolken besser spiegeln können, von innen ergeben sich „kuratierte“ Ausblicke, weil das Punktmuster der Beschichtung die Glasfläche mal mehr, mal weniger bedeckt. Höhenängstliche wird das beruhigen – und zudem den Energieaufwand um ein Viertel reduzieren, der an sonnigen Tagen zur Kühlung der Innenräume nötig ist.

Streng und schlicht wird die Anmutung der Foyers sein, um den Wow-Effekt beim Betreten des Saals zu maximieren. Das Herzstück der Elbphilharmonie ruht komplett auf Federpaketen, damit die Vibrationen und Bugwellen der vorbeifahrenden Riesentanker im Innern nicht zu spüren sind. Yasuhisa Toyota aus Tokio, einer der weltweit renommiertesten Akustiker, hat die eierschalenfarbene Haut der Halle akustisch optimiert, jede der 10 000 Gipsfaserplatten wurde individuell gefräst, um eine ideale Ausbreitung der Schallwellen zu garantieren. Wer durch den Stangenwald der Gerüste aufwärts schaut, denkt an ein schuppiges Reptil. Wer aber ganz nach oben klettern darf, bis unter die Decke, sieht, wie fein die Auskerbungen gearbeitet sind. Als hätte eine sanfte Wellen Schleifspuren im Strandsand hinterlassen.

Noch dominieren im Musikprogramm der Elbphilharmonie die groben Klänge: eine vielstimmige Presslufthammer-Sinfonie, kombiniert mit einer nicht minder kakofonischen Popmusik-Klangkulisse, weil auf diversen Ebenen unterschiedliche Hitradiosender aus Ghettoblastern plärren. Spätestens zu Ostern 2017 aber wird sich hier die herrlichste Harmonie ausbreiten. Von der Bühne aus, wo das Hausorchester sitzen wird, die NDR-Sinfoniker. Thomas Hengelbrock jedenfalls, der Chefdirigent, hat seinen Vertrag gerade verlängert.

Informationsveranstaltungen finden immer freitags bis sonntags statt, Tickets unter www.elbphilharmonie.de

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