zum Hauptinhalt
Kunst in Kisten. Und Serge Kliavings schwarz-rot-goldene Arbeit „Was hast du seelisch eingesetzt?“ im Bethanien.

© Mike Wolff

Kreuzberg: Bethanien: Tannert geht

Industriebau statt Sakralraum: Nach jahrelangem Streit mit linken Besetzern zieht das Künstlerhaus Bethanien um. Am 11. Juni ist Eröffnung in der Kottbusser Straße.

Schluss mit der Schlossromantik. Adieu Backsteingebäude mit den zwei Türmen, Adieu Pflasterstraße mit den prächtigen Laternen, Adieu Grünanlage voll wilder Rosen. Vor dem Eingang der alten Diakonissenanstalt Bethanien parkt ein Umzugswagen. Der Lkw ist groß – trotzdem verrät die Aufschrift „Geschirr/Küche“, wie viele ihm noch folgen werden. Eine Menge Zeug hat sich in den 35 Jahren angesammelt, in denen das Künstlerhaus Bethanien als Hauptmieter in dem früheren Krankenhaus am Mariannenplatz wohnte. Eine Menge Vorurteile auch.

„Stupide, gewaltsame Besetzer!“, holt Christoph Tannert aus. Nichts tun außer Pizza backen oder Sprengstoff basteln würden die! Der Leiter der Künstlerhaus GmbH sitzt in einem leer geräumten Zimmer, auf einem der Sofas, die noch nicht abtransportiert worden sind. Er versucht erst gar nicht, seine unverheilten Wunden zu überspielen. In geschliffenen Sätzen lässt er eine angriffslustige Bemerkung nach der anderen fallen. Ereifert sich über „Vandalen“, einen „illegalen Piratenakt“ und den „perversen Mietvertrag“.

Aber der Reihe nach: Fünf Jahre ist es jetzt her, dass sich Bewohner des Hausprojekts Yorck 59 eine neue Bleibe suchen mussten und meinten, diese in Bethaniens einstigen Räumen des Sozialamts gefunden zu haben. Die Linksautonomen ließen sich im Südflügel nieder, bemalten ein paar Wände mit Sprüchen wie „Free your life“, hängten Poster wider die Atomkraft auf, protestierten erfolgreich gegen einen Privatinvestor, der das Gebäude kaufen wollte. Und wurden geduldet. Tannert passte das alles jedoch nicht in den Kram, schädigte das alternative Grüppchen doch das Image seiner Institution, die weltweit Künstler anlockt, um für ein Jahr in einem der 20 Ateliers zu wohnen, arbeiten und präsentieren. Also rebellierte er.

Das Ergebnis: 17 Mal hat der Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz zum Runden Tisch geladen und versucht, seine potenziellen Grünen-Wähler mit dem renommierten Kulturstandort zu versöhnen. Funktioniert hat es nie. Die Besetzer kritisierten das Künstlerhaus als arrogant und menschenverachtend, Tannert warf ihnen Diebstahl und Kriminalität vor: „Die wollten uns ausnehmen wie Weihnachtsgänse.“ Als 2009 zwischenzeitlich auch noch Roma-Familien im Südflügel Unterschlupf fanden, war sein Geduldsfaden schon längst gerissen, der Umzug beschlossene Sache.

Zur Wahl standen das einstige Telegrafenamt und die ehemalige jüdische Mädchenschule in Mitte. Aber Tannert will den Galerien nicht hinterherlaufen. Er will die „flutende, krachende, benzingetränkte Stadt“. Und die bekommt er nun, in der Kottbusser Straße, nahe dem Fraenkelufer, wo die U-Bahn unter den Füßen rumpelt, aus vorbeirauschenden Autos türkischer Rap erklingt und der nächste Lidl eine Fußminute entfernt ist.

Diese Woche siedeln schon die ersten Büros in das Eckhaus um, am 11. Juni sollen die 4300 Quadratmeter Ausstellungs- und Atelierfläche dann von illustren Gästen bewundert werden.

Nicolas Berggruen wird natürlich auch dabei sein. Der Investor und Sohn des Mäzens Heinz Berggruen will rostige Hallen mit kreativen Köpfen füllen. Sein fünfstöckiger Gewerbekomplex hat Christoph Tannert überzeugt. Drei Geschosse davon werden nun mit 25 Ateliers, Medienlabor, Künstler-Lounge sowie Ausstellungs- und Verwaltungsräumen ausgestattet.

Das fügt sich ja so wunderbar! Wo die Nachbarn hier Architekten und Grafiker sein werden, man sich hinter den großen Fenstern zuwinken kann. Wo endlich keine langen Krankenhausflure mehr beleuchtet und beheizt werden müssen und Nicolas Berggruen Besetzer von seinem Industriebau fernhalten kann. „Kostenersparnis und Schutz“ verspricht sich Tannert vom neuen Zuhause.

Schade nur, dass man so leicht daran vorbei läuft. Klar ist das Haus schön, mit den zarten Reliefs auf der feinen Fassade, dem bisschen Efeu, das am Regenrohr emporrankt. Und klar hat es den Berliner Fabrikcharme, die Fenster vergittert, der Hinterhof voller Müllcontainer. Es ist aber auch relativ schlicht und dem Stil der Wohnhäuser um die Ecke ziemlich ähnlich. Und innen riecht es nicht nach Holz und Staub wie im alten Bethanien. Es riecht nach Lack und Farbe. Noch liegen Kabel und Sandsäcke auf dem Boden, so viel lässt sich trotzdem schon sagen: hell und nüchtern wird es werden, weiß die Wände, einfach die Neonröhren an den Decken. Hier gibt es bestimmt keine Gruselmärchen über Geister oder etwa Spinnweben in den Ecken. Hier gibt es Stellwände.

Galeriecharakter statt Sakralpracht. Die „Garagenatmosphäre“ gefällt Tannert. Er weiß dennoch, was er verliert: „Ein denkmalgeschütztes Haus. Wir haben nicht mehr den Schutz Friedrich Wilhelm IV.“. Der preußische König persönlich versorgte das 1845 erbaute Bethanien mit einem Etat. Und nun wird dem Kreuzberger Kleinod das Herz herausoperiert? Der Künstlerverband BBK, ebenfalls Mieter des Gebäudes, plant zwar weitere Räume zu pachten. Auch die Gesellschaft für Stadtentwicklung GSE versucht, das Loch zu stopfen. Doch das ist ohne Künstlerhaus einfach zu groß.

Gut 250 000 Euro musste die GmbH jährlich für ihr Veranstaltungsprogramm blechen. Allzu viele Kulturbetriebe, die eine solche Summe zu stemmen in der Lage sind, existieren eben nicht. Das stört Tannert mittlerweile wenig. Man hat ihm etwas weggenommen. Er ist wütend. „Verdrängt, verstoßen, mit Füßen getreten“ fühlt sich der Geschäftsführer. Von den „politischen Preisen“ genervt, welche die Besetzer für ihre noble Unterkunft zahlen – angeblich zwei Euro pro Quadratmeter. Dabei waren seitens der Besetzer irgendwann versöhnliche Töne zu vernehmen. Man wolle überhaupt nicht, dass das Künstlerhaus geht. „Krokodilstränen“, folgert Tannert.

Florian Hecker hat gern Besuch im Südflügel. „Offiziell ist es uns nicht erlaubt, hier zu wohnen“, sagt der junge Mann und schließt eine Tür, hinter der Bücherregale stehen und ein Fernseher läuft. Er verstehe den ganzen Aufruhr nicht, die Besetzung sei doch friedlich abgelaufen, „mit Feuerwerfern und so“. Tatsächlich lassen sich weder in der dortigen Kita noch der Heilpraktikschule feindliche Absichten vermuten. Geschweige denn bei dem Mädchen mit Dreadlocks, das auf einem Sessel sitzt und liest. Oder dem Mädchen mit Nasenring, das Hecker kauend begrüßt, die angefangene Falafel in der Hand.

„Feuerwerfer?“ Tannert blickt entrüstet. „Molotow-Cocktails haben die geworfen!“ Jetzt muss er aber zurück in sein Büro. Kisten packen.

Annabelle Seubert

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false