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Kultur: Beton oder Bewegung Berlins Kulturpolitik steht

vor grundsätzlichen Entscheidungen

Die einfachste und eleganteste Lösung in Personalfragen liefert immer wieder das Berliner Ensemble. Kein Gezerre um Namen, kein mühevolles Suchen, Headhunter sind arbeitslos. Denn hier verlängert der Direktor selbst seinen Vertrag. Er darf das, schließlich ist das BE de jure ein Privattheater – das de facto nicht überleben könnte ohne die Senatszuschüsse. Man lebt hier gut, die Bude ist gefüllt, und Claus Peymann, Jahrgang 1937, bleibt erst mal bis 2014. Weitere Selbstverlängerung nicht ausgeschlossen. Er leitet das Haus seit der Spielzeit 1999/2000.

Kontinuität zählt in der angeblich so hektischen Hauptstadt viel. Thomas Ostermeier, Künstlerischer Direktor der Schaubühne, hat zur gleichen Zeit mit Peymann angefangen, freilich war er damals erst Anfang dreißig. Sein Vertrag läuft bis 2015. Auf Zeitdimensionen à la Kohl oder Castro kann allerdings allein Frank Castorf, Jahrgang 1951, verweisen. Er trat seine Intendanz an der Volksbühne anno 1992/93 an und hat noch eine Laufzeit bis 2013. Aus dem Schnellen Brüter vom Rosa-Luxemburg-Platz wurde ein Zwischenlager oder Endlager; aber das weiß man ja auch in Gorleben nicht so genau, was der Stollen eigentlich ist, es wird noch geprüft. Derzeit strahlt die Volksbühne wieder etwas stärker, immerhin.

Volksbühne und Berliner Ensemble, einst tödlich verfeindete Häuser, haben inzwischen vieles gemeinsam. Sie sind Traditionsbewahrer, haben ein treues Publikum und machen der Kulturpolitik kein Kopfzerbrechen. Wer oder was sollte die alten Meister auch ersetzen, wo wären Nachfolger zu finden auf dem abgegrasten Markt der Intendanten? Die Zeiten sind vorüber, in denen ein Frank Baumbauer sagen konnte: Nach sieben Jahren Intendanz ist Schluss. Der Betrieb hat keine neuen Baumbauers hervorgebracht. Und für Neu-Intendanten wiederum sind sieben Jahre eine schier unermessliche Spanne. Die nächste Generation kennt keine Geduld. Also lässt man das Festgefügte bestehen, und der Beton macht das, was er am besten kann: Er bleibt hart.

Tempo 30 ist in der Berliner Theaterlandschaft längst eingeführt. Es gibt allerdings auch einen Matthias Lilienthal. Der will sich partout nicht an die Vorschriften halten. 1993 gründete der passionierte Radfahrer das Hebbel am Ufer – eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Permanentes Festival, Konferenzort, Ausgangspunkt für Stadterkundungen (am kommenden Wochenende geht es in die vietnamesische Diaspora in Berlin), Crossover-Produktionsstätte: Was das HAU genau ist, kann keiner sagen, und darum geht es Lilienthal. Traditionelle Formate, wie man das jetzt nennt, interessieren ihn nicht. Deshalb hat Lilienthal erklärt, dass er 2012 aufhört am HAU.

Ein signifikanter Einschnitt für die hauptstädtische Kultur; das steht fest. Denn es ist nicht denkbar, dass ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin Lilienthals Arbeit als wie auch immer formatierte Kopie weiterführt. Ebenso wenig mag man sich vorstellen, dass ein Motor wie das HAU ausfällt und die Szene den Betonburgen überlassen bleibt. Es ist das Dilemma der Kreativität: Lilienthal findet zum Schluss, weil das Kreative keine unbegrenzte Ressource ist; nicht mit denselben Leuten am selben Ort, ad infinitum. Kann der gebürtige Berliner Matthias Lilienthal der Stadt erhalten bleiben?

Nun läuft Ende 2011 bei den Berliner Festspielen der Vertrag des Intendanten Joachim Sartorius aus. Auch hier stellt sich die Frage, ob es zu einem radikalen Neubeginn kommen muss. Vermutlich nicht: Denn die Festspiele haben mit dem Theatertreffen, dem Jazz-Fest, dem Literaturfestival fest eingespielte Formen. Die soeben wieder angelaufene „Spielzeit Europa“, eine relativ junge Festspielreihe, kann man so oder so gestalten. Aber das frisch renovierte Festspielhaus braucht allein schon räumlich große Inszenierungen, etwas anderes haut nicht hin. Deshalb ist hier auch nicht der Ort für einen Matthias Lilienthal, der sich gerade aus der Festlegung und Routine einer viel kleineren Architektur befreit.

Das Hebbel am Ufer fällt in den Bereich des Senats, die Zukunft der Berliner Festspiele regelt der Bund. Gleichwie, das sind bloß Zuständigkeiten. Wir nähern uns einer heißen kulturpolitischen Phase, die Neubesetzungen beider Häuser sind wegweisend über Berlin hinaus. Dies umso mehr, als vielerorts in der Hauptstadt Beton regiert. Woher kommt Bewegung?

Die Choreografin Sasha Waltz hatte in der vergangenen Woche eine Premiere im Haus der Berliner Festspiele. Am Freitag tanzt ihre Compagnie im Radialsystem, ihrem Stammhaus, eine Uraufführung. Es ist nicht zu überhören, dass Sasha Waltz und ihre Freunde auf eine große Tanzbühne in Eigenregie drängen. Also heraus aus dem wunderschönen, schlanken Bau an der Spree und hinein in eine Burg aus Beton. Heraus aus dem schnellen Kreuzer, hinein in einen dicken Dampfer. Wenn man den zeitgenössischen Tanz betrachtet, der sich gern – und nicht ganz zu Unrecht – von der Kulturpolitik vernachlässigt fühlt, wird der Traum vom Tanz-Opernhaus verständlich. Es ist aber auch eine gefährliche Idee, die manchmal mühsame und gar nicht so schlecht finanzierte Freiheit aufzugeben zugunsten eines Mühlsteins, den man sich um den Hals hängt.

Und was soll das für ein – großes – Haus für den Tanz sein, wo steht es? Eine dauerhafte Kooperation von Sasha Waltz und den Festspielen wäre für beide Seiten sinnvoll. Eine Waltz-Saison an der Schaperstraße, zwei oder drei Monate pro Jahr, warum nicht?

Das Festspielhaus braucht Bespielung, der Tanz sucht einen XXL-Raum. Eine einfache Rechnung, und sie geht auf. Es wäre ein Beispiel für neues Denken in Berlin: Beton zum Schwingen bringen, ohne sich darin einzubunkern.

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