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Kultur: Betteln für die Kunst

Als im Februar in Paris die neue Kunsthalle "Palais du Tokyo" eingeweiht wurde, kam der französische Premierminister Lionel Jospin gleich im zweiten Satz auf Berlin zu sprechen: Die Berliner "Kunstwerke" seien "eines der dynamischsten Kunstzentren Europas" und Vorbild für die neu gegründete Pariser Institution gewesen. Auch Glenn Lowry, Chef des New Yorker "Museum of Modern Art", findet warme Worte für seinen kleinen Partner in der Berliner Auguststraße, den er als "Labor für Gegenwartskunst" bezeichnet: Durch bewegliche Institutionen wie das New Yorker P.

Als im Februar in Paris die neue Kunsthalle "Palais du Tokyo" eingeweiht wurde, kam der französische Premierminister Lionel Jospin gleich im zweiten Satz auf Berlin zu sprechen: Die Berliner "Kunstwerke" seien "eines der dynamischsten Kunstzentren Europas" und Vorbild für die neu gegründete Pariser Institution gewesen. Auch Glenn Lowry, Chef des New Yorker "Museum of Modern Art", findet warme Worte für seinen kleinen Partner in der Berliner Auguststraße, den er als "Labor für Gegenwartskunst" bezeichnet: Durch bewegliche Institutionen wie das New Yorker P.S.1 und die mit ihm kooperierenden Berliner Kunstwerke würde das MoMA Kontakt zur zeitgenössischen Szene halten, erklärte er unlängst im Tagesspiegel-Interview. Die Kunsthalle Wien bemüht sich - wie das "Palais du Tokyo" - um eine Kooperation mit dem von Klaus Biesenbach 1991 gegründeten Zentrum für Gegenwartskunst, in dem derzeit eine Videoarbeit der Schwestern Jane und Louise Wilson zu sehen ist.

Die internationale Anerkennung hat sich in der Berliner Politik offenbar noch nicht genug herumgesprochen - oder sie zählt einfach nicht. Denn als im Zuge der Haushaltsdebatte auch die Kultur ihr Opfer zu bringen hatte, glaubte Senator Thomas Flierl drei Institutionen schröpfen zu können, die zu den innovativsten Kulturzentren der Stadt zählen. Neben dem Podewil und dem Künstlerhaus Bethanien sollen auch die Kunstwerke, die derzeit mit 500 000 Euro gefördert werden, zwanzig Prozent ihres Etats verlieren, hieß es - wie berichtet - im Anschluss an die Sparklausur Mitte März. Die Absenkung bewege sich im vertretbaren Rahmen, die Arbeitsfähigkeit der Institutionen bleibe gewährleistet.

Das Gegenteil ist der Fall. Insgesamt 400 000 Euro pro Jahr würden nach Flierls Plänen gespart, drei international angesehene Institutionen dadurch zerstört. Alle drei sind vorbildlich schlanke Institutionen, die schon lange strukturell unterfinanziert sind. Die vom Senat bislang bewilligte Unterstützung deckt gerade einmal die Fixkosten von Personal und Gebäudemanagement. Sowohl das Künstlerhaus Bethanien als auch die Kunstwerke haben aus der Not eine Tugend gemacht und sind Meister im Einwerben von Drittmitteln geworden: Ausstellungen, Kataloge, Arbeitsstipendien für Künstler, eigentlich alles, was die inhaltliche Arbeit ausmacht, wird nahezu ausschließlich privat finanziert. 350 000 Euro Drittmittel hat der umtriebige Christoph Tannert für sein Künstlerhaus Bethanien eingeworben - bei einem Etat von 580 000 Euro. Bei den Kunstwerken ist das Verhältnis noch extremer. Was als Vorbild für innovative Kulturfinanzierung gelten müsste, wird nun rüde und einseitig abgestraft.

Ein Zufall ist das nicht: Es scheint, als habe sich der Senat bewusst für Institutionen entschieden, die mit wenig Geld viel Glanz in und über Berlin hinaus verbreiten, aber eben so gar nicht dem Profil der von der PDS favorisierten Kiez-Kultur entsprechen. So hagelt es Proteste von allen Seiten. 10 Sekunden Schuldentilgung würden mit einer "dauerhaften Beschädigung der Attraktivität von Berlin Mitte und Kreuzberg" erkauft, rechnet Carl Hegemann, Chefdramaturg der Volksbühne, in einer Solidaradresse vor. Der Spareffekt bewege sich "in den Dimensionen einer Portokasse". Der Filmregisseur Harun Farocki erzählt, dass er in New York oder Singapur erlebt habe, dass die Kunstwerke die erste Verknüpfung mit Berlin waren. Kritiker, Kuratoren und Künstler in London, New York oder Moskau würden, nach Orten zeitgenössischer Kunst in Berlin gefragt, an erster Stelle die Kunstwerke nennen, sekundiert der Redakteur einer internationalen Kunstzeitschrift. Der Kunstsammler Paul Maenz bezeichnet die Szene rund um das Scheunenviertel als "kreatives Sillicon Valley im märkischen Sand." Und Egidio Marzona, um dessen arte-povera-Sammlung sich Berlin und Bund gerade mit Millionenbeträgen bemühen, betont, die Arbeit der Kunstwerke "hebt das Niveau des Berliner Kulturangebots über das Provinzielle hinaus."

Ziemlich blass um die Nase sitzen Klaus Biesenbach und Judith Becker, künstlerischer Leiter und KW-Geschäftsführerin, deshalb im Café. Sie kommen von einem Treffen mit Kulturstaatssekretärin Krista Tebbe. Vergeblich haben sie versucht, ihr klarzumachen, was die geplante Mittelkürzung für das Kulturzentrum bedeuten würde: Die Schließung. "Wir können unsere Sponsoren doch nicht bitten, auch noch die Heizkosten zu übernehmen", verzweifelt Biesenbach. Mehr als die vage Aussage, die Sparmaßnahmen seien "nicht angemessen" und man werde "gemeinsam nach Lösungsansätzen suchen", haben sie jedoch nicht erreicht. Und der Senator ist im Urlaub.

Die beiden sehen sich um die Anerkennung ihrer Arbeit betrogen. Gerade im März hatten sie sich überlegt, dass sie mit der bestehenden Subvention einfach nicht mehr auskommen. Ein "andauerndes Provisorium" nennt Kurator Anselm Franke die Arbeit in den Kunstwerken, bei der jedes Projekt bei Null beginnen müsse. Zumindest eine Gleichstellung mit dem Künstlerhaus Bethanien oder den Berliner Kunstvereinen hätten sie sich nach jahrelanger erfolgreicher Arbeit "verdient", fanden Biesenbach und Co. - und schrieben einen Brief an den Kultursenator. Doch statt der erhofften Zusage kam die Kürzung. "Jetzt sind wir in der dummen Situation, dass wir schon glücklich sein müssten, wenn wir die Kürzung abwenden können. Gewonnen haben wir damit noch lange nicht", so Biesenbach.

Vielleicht war es der Fluch der Kunstwerke, dass sie so schnell erfolgreich waren. "Wenn sie unser Programm sehen, meinen alle, wir müssten genug Geld haben", vermutet Biesenbach. Immerhin ist die ehemalige Margarinenfabrik in der Auguststraße ein Hot Spot der internationalen Kunstszene. Künstler wie Santiago Sierra, Klaus Demand, Heike Baranowsky, Matthew Barney, Doug Aitken und Janet Cardiff, alle inzwischen internationale Stars und von Biennale zu Biennale weitergereicht, zeigten hier ihre frühen Arbeiten, wohnten zeitweilig in einem der Ateliers unterm Dach und stellen ihre Werke noch immer zu Sonderkonditionen zur Verfügung - was nach außen den Eindruck erwecken mag, die Kunstwerke bräuchten sich um Geld keine Sorgen zu machen. Wenn dann, wie bei der jüngsten Arbeit der Wilson-Sisters, sämtliche (gesponsorten) Projektoren durchbrennen und nicht sofort ersetzt werden können, ist das Geschrei groß. "Wir können mit Top-Leuten einfach nicht mehr auf diesem Niveau arbeiten", sieht auch Biesenbach ein. "Wir müssen irgendwann auch einmal erwachsen werden."

Entsprechend groß war das Unverständnis in der internationalen Kunstszene, als die jüngsten Sparpläne des Senats bekannt wurden. In Mexiko, wo Biesenbach von der Nachricht überrascht wurde, schüttelte man nur den Kopf. Auch die amerikanischen Partner seien fassungslos. "Never change a winning horse", sei deren Devise. In Berlin werden die Pferde lieber geschlachtet.

Christina Tilmann

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